Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
Das Gesicht. XVI. Buch.

Es ist dieser Schuzz den Augen so ohnentbehrlich, daß
Augen, denen die Augenlieder fehlen, theils von allen
Verlezzungen leiden, theils den so angenehmen Schlaf
vermissen. Wenigstens lesen wir, daß der Consul Re-
gulus,
den die Carthaginenser durch alle Arten der
Marter umgebracht haben sollen, in beständiger Schlaf-
losigkeit (z), weil man ihm die Augenlieder endlich ab-
geschnitten, sein Leben geendigt habe (a); wenn dieses
nicht eine römische Verleumdung ist, denn andere wol-
len, daß er durch ein langsames Gift umgekommen,
und es hat überhaupt die ganze Erzählung wenig Wahr-
scheinlichkeit. Man lieset, daß bei den Sinesen, oder
Japanern ein heiliger Mann, mit Namen Darma,
nachdem er alles vergebens ausgestanden, endlich durch
das Abschneiden der Augenlieder zuwege gebracht habe,
daß ihn kein Schlaf in seinen hohen Betrachtungen stö-
ren mußte (a*).

Es ist daher ein tödtliches Zeichen, wenn die Augen-
lieder im Schlafe nicht zusammen schliessen wollen (b),
indem hier die Seele nachläßig wirkt, und den Nach-
theil ihres Körpers nicht mehr empfindet.

Es hat daher die Noth, wo man beständigen Schnee
hat, und die Sonnenstrahlen immer am Horizonte her-
um spielen, und also den Augen Gefahr drohen, die
barbarischen Völker gelehret, sich gedoppelte künstliche
Augenlieder zu machen, und diese beweisen fast in die-
sem einzigen Stükke allein einen Wizz. Es sind dieses
Schuzzwehren von Holze, oder Elfenbein, (c) in denen
eine zarte Spalte das Licht durchläßt. Was die Renn-

thiere
(z) [Spaltenumbruch] CICERO de offiic. L. III.
(a) A. GELLIUS L. IV. c. 4.
(a*) KAEMPFER, Amoen.
Exot. p.
609. 610.
(b) [Spaltenumbruch] HIPPOCR. aphor. S. VI.
n. 52. prognost. Sect. II. pag 4.
CELSUS L. II. c. 6. p. m.
54.
(c) ELLIS voyage tot Hud-
sonsbay etc. p.
137. 143.
Das Geſicht. XVI. Buch.

Es iſt dieſer Schuzz den Augen ſo ohnentbehrlich, daß
Augen, denen die Augenlieder fehlen, theils von allen
Verlezzungen leiden, theils den ſo angenehmen Schlaf
vermiſſen. Wenigſtens leſen wir, daß der Conſul Re-
gulus,
den die Carthaginenſer durch alle Arten der
Marter umgebracht haben ſollen, in beſtaͤndiger Schlaf-
loſigkeit (z), weil man ihm die Augenlieder endlich ab-
geſchnitten, ſein Leben geendigt habe (a); wenn dieſes
nicht eine roͤmiſche Verleumdung iſt, denn andere wol-
len, daß er durch ein langſames Gift umgekommen,
und es hat uͤberhaupt die ganze Erzaͤhlung wenig Wahr-
ſcheinlichkeit. Man lieſet, daß bei den Sineſen, oder
Japanern ein heiliger Mann, mit Namen Darma,
nachdem er alles vergebens ausgeſtanden, endlich durch
das Abſchneiden der Augenlieder zuwege gebracht habe,
daß ihn kein Schlaf in ſeinen hohen Betrachtungen ſtoͤ-
ren mußte (a*).

Es iſt daher ein toͤdtliches Zeichen, wenn die Augen-
lieder im Schlafe nicht zuſammen ſchlieſſen wollen (b),
indem hier die Seele nachlaͤßig wirkt, und den Nach-
theil ihres Koͤrpers nicht mehr empfindet.

Es hat daher die Noth, wo man beſtaͤndigen Schnee
hat, und die Sonnenſtrahlen immer am Horizonte her-
um ſpielen, und alſo den Augen Gefahr drohen, die
barbariſchen Voͤlker gelehret, ſich gedoppelte kuͤnſtliche
Augenlieder zu machen, und dieſe beweiſen faſt in die-
ſem einzigen Stuͤkke allein einen Wizz. Es ſind dieſes
Schuzzwehren von Holze, oder Elfenbein, (c) in denen
eine zarte Spalte das Licht durchlaͤßt. Was die Renn-

thiere
(z) [Spaltenumbruch] CICERO de offiic. L. III.
(a) A. GELLIUS L. IV. c. 4.
(a*) KAEMPFER, Amoen.
Exot. p.
609. 610.
(b) [Spaltenumbruch] HIPPOCR. aphor. S. VI.
n. 52. prognoſt. Sect. II. pag 4.
CELSUS L. II. c. 6. p. m.
54.
(c) ELLIS voyage tot Hud-
ſonsbay etc. p.
137. 143.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0742" n="724"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Das Ge&#x017F;icht. <hi rendition="#aq">XVI.</hi> Buch.</hi> </fw><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t die&#x017F;er Schuzz den Augen &#x017F;o ohnentbehrlich, daß<lb/>
Augen, denen die Augenlieder fehlen, theils von allen<lb/>
Verlezzungen leiden, theils den &#x017F;o angenehmen Schlaf<lb/>
vermi&#x017F;&#x017F;en. Wenig&#x017F;tens le&#x017F;en wir, daß der Con&#x017F;ul <hi rendition="#fr">Re-<lb/>
gulus,</hi> den die Carthaginen&#x017F;er durch alle Arten der<lb/>
Marter umgebracht haben &#x017F;ollen, in be&#x017F;ta&#x0364;ndiger Schlaf-<lb/>
lo&#x017F;igkeit <note place="foot" n="(z)"><cb/><hi rendition="#aq">CICERO de offiic. L. III.</hi></note>, weil man ihm die Augenlieder endlich ab-<lb/>
ge&#x017F;chnitten, &#x017F;ein Leben geendigt habe <note place="foot" n="(a)"><hi rendition="#aq">A. GELLIUS L. IV. c.</hi> 4.</note>; wenn die&#x017F;es<lb/>
nicht eine ro&#x0364;mi&#x017F;che Verleumdung i&#x017F;t, denn andere wol-<lb/>
len, daß er durch ein lang&#x017F;ames Gift umgekommen,<lb/>
und es hat u&#x0364;berhaupt die ganze Erza&#x0364;hlung wenig Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit. Man lie&#x017F;et, daß bei den Sine&#x017F;en, oder<lb/>
Japanern ein heiliger Mann, mit Namen <hi rendition="#fr">Darma,</hi><lb/>
nachdem er alles vergebens ausge&#x017F;tanden, endlich durch<lb/>
das Ab&#x017F;chneiden der Augenlieder zuwege gebracht habe,<lb/>
daß ihn kein Schlaf in &#x017F;einen hohen Betrachtungen &#x017F;to&#x0364;-<lb/>
ren mußte <note place="foot" n="(a*)"><hi rendition="#aq">KAEMPFER, Amoen.<lb/>
Exot. p.</hi> 609. 610.</note>.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t daher ein to&#x0364;dtliches Zeichen, wenn die Augen-<lb/>
lieder im Schlafe nicht zu&#x017F;ammen &#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en wollen <note place="foot" n="(b)"><cb/><hi rendition="#aq">HIPPOCR. aphor. S. VI.<lb/>
n. 52. progno&#x017F;t. Sect. II. pag 4.<lb/>
CELSUS L. II. c. 6. p. m.</hi> 54.</note>,<lb/>
indem hier die Seele nachla&#x0364;ßig wirkt, und den Nach-<lb/>
theil ihres Ko&#x0364;rpers nicht mehr empfindet.</p><lb/>
            <p>Es hat daher die Noth, wo man be&#x017F;ta&#x0364;ndigen Schnee<lb/>
hat, und die Sonnen&#x017F;trahlen immer am Horizonte her-<lb/>
um &#x017F;pielen, und al&#x017F;o den Augen Gefahr drohen, die<lb/>
barbari&#x017F;chen Vo&#x0364;lker gelehret, &#x017F;ich gedoppelte ku&#x0364;n&#x017F;tliche<lb/>
Augenlieder zu machen, und die&#x017F;e bewei&#x017F;en fa&#x017F;t in die-<lb/>
&#x017F;em einzigen Stu&#x0364;kke allein einen Wizz. Es &#x017F;ind die&#x017F;es<lb/>
Schuzzwehren von Holze, oder Elfenbein, <note place="foot" n="(c)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">ELLIS</hi> voyage tot Hud-<lb/>
&#x017F;onsbay etc. p.</hi> 137. 143.</note> in denen<lb/>
eine zarte Spalte das Licht durchla&#x0364;ßt. Was die Renn-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">thiere</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[724/0742] Das Geſicht. XVI. Buch. Es iſt dieſer Schuzz den Augen ſo ohnentbehrlich, daß Augen, denen die Augenlieder fehlen, theils von allen Verlezzungen leiden, theils den ſo angenehmen Schlaf vermiſſen. Wenigſtens leſen wir, daß der Conſul Re- gulus, den die Carthaginenſer durch alle Arten der Marter umgebracht haben ſollen, in beſtaͤndiger Schlaf- loſigkeit (z), weil man ihm die Augenlieder endlich ab- geſchnitten, ſein Leben geendigt habe (a); wenn dieſes nicht eine roͤmiſche Verleumdung iſt, denn andere wol- len, daß er durch ein langſames Gift umgekommen, und es hat uͤberhaupt die ganze Erzaͤhlung wenig Wahr- ſcheinlichkeit. Man lieſet, daß bei den Sineſen, oder Japanern ein heiliger Mann, mit Namen Darma, nachdem er alles vergebens ausgeſtanden, endlich durch das Abſchneiden der Augenlieder zuwege gebracht habe, daß ihn kein Schlaf in ſeinen hohen Betrachtungen ſtoͤ- ren mußte (a*). Es iſt daher ein toͤdtliches Zeichen, wenn die Augen- lieder im Schlafe nicht zuſammen ſchlieſſen wollen (b), indem hier die Seele nachlaͤßig wirkt, und den Nach- theil ihres Koͤrpers nicht mehr empfindet. Es hat daher die Noth, wo man beſtaͤndigen Schnee hat, und die Sonnenſtrahlen immer am Horizonte her- um ſpielen, und alſo den Augen Gefahr drohen, die barbariſchen Voͤlker gelehret, ſich gedoppelte kuͤnſtliche Augenlieder zu machen, und dieſe beweiſen faſt in die- ſem einzigen Stuͤkke allein einen Wizz. Es ſind dieſes Schuzzwehren von Holze, oder Elfenbein, (c) in denen eine zarte Spalte das Licht durchlaͤßt. Was die Renn- thiere (z) CICERO de offiic. L. III. (a) A. GELLIUS L. IV. c. 4. (a*) KAEMPFER, Amoen. Exot. p. 609. 610. (b) HIPPOCR. aphor. S. VI. n. 52. prognoſt. Sect. II. pag 4. CELSUS L. II. c. 6. p. m. 54. (c) ELLIS voyage tot Hud- ſonsbay etc. p. 137. 143.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/742
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 724. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/742>, abgerufen am 22.11.2024.