Es würde nämlich der Einwurf nichtig sein, wenn man sagen wollte, daß Muskeln, welche von der Ner- venkraft getrieben werden, nicht in eine wirkliche Thätig- keit ausbrechen, folglich wäre die Arbeit der Natur da- bei geringer; man zeigt nämlich, wie es kommen könne, daß sie eden so gros werde, und daß ein Muskel alsdenn nicht weniger arbeite, wenn er gegen einen gleichstarken Gegner hundert Pfunde aufzuheben bemüht ist, welche jener niedergedrükkt, als er damals arbeitete (y), da er ohne einen Gegner wirklich hundert Pfunde in die Höhe hob.
Es wäre ferner diese äusserste Verschwendung der Kräfte ohne eine gewisse Absicht und man kann ohnmög- lich von der weisen Natur erwarten, daß sich die Biege- muskeln beständig, vermöge der Nervenkraft, anstrengen, und diese Kraft zugleich von dem Wiederstande der aus- strekkenden Muskeln verzeren lassen sollte.
Mit einem Worte, es herrscht in den Muskeln eine, denselben eingepflanzte Kraft (z), wodurch die Glieder in ein gewisses Gleichgewichte gesezzt werden. Hingegen wirkt die Nervenkraft nicht, ohne den Befel des Willens, und es ist sich die Seele dieses Bestrebens, welches sich durch das Verlangen nach einer Bewegung äussert, mehr als zu wohl bewust. Nun ist sie sich eines dergleichen Be- strebens in der Ruhe nicht bewust, und da sie überhaupt eingeschränkt ist (a), und in einerlei Zeit nur wenig Ge- genstände empfinden kann, so würde die Seele einer so grossen Arbeit, nämlich das auf gewisse Weise eingerichtete Bestreben so vieler Muskeln, im Schlafe und in allerlei Lebensumständen in Ordnung zu bringen und darüber die Aufsicht zu führen, schwerlich gewachsen sein. Die Na-
tur
(y)[Spaltenumbruch]pag. 447.
(z)pag. 453 seqq.
(a)[Spaltenumbruch]vide Sect. 3.
H. Phisiol. 5. B. D
II. Abſchnitt. Erſcheinungen.
Es wuͤrde naͤmlich der Einwurf nichtig ſein, wenn man ſagen wollte, daß Muſkeln, welche von der Ner- venkraft getrieben werden, nicht in eine wirkliche Thaͤtig- keit ausbrechen, folglich waͤre die Arbeit der Natur da- bei geringer; man zeigt naͤmlich, wie es kommen koͤnne, daß ſie eden ſo gros werde, und daß ein Muſkel alsdenn nicht weniger arbeite, wenn er gegen einen gleichſtarken Gegner hundert Pfunde aufzuheben bemuͤht iſt, welche jener niedergedruͤkkt, als er damals arbeitete (y), da er ohne einen Gegner wirklich hundert Pfunde in die Hoͤhe hob.
Es waͤre ferner dieſe aͤuſſerſte Verſchwendung der Kraͤfte ohne eine gewiſſe Abſicht und man kann ohnmoͤg- lich von der weiſen Natur erwarten, daß ſich die Biege- muſkeln beſtaͤndig, vermoͤge der Nervenkraft, anſtrengen, und dieſe Kraft zugleich von dem Wiederſtande der aus- ſtrekkenden Muſkeln verzeren laſſen ſollte.
Mit einem Worte, es herrſcht in den Muſkeln eine, denſelben eingepflanzte Kraft (z), wodurch die Glieder in ein gewiſſes Gleichgewichte geſezzt werden. Hingegen wirkt die Nervenkraft nicht, ohne den Befel des Willens, und es iſt ſich die Seele dieſes Beſtrebens, welches ſich durch das Verlangen nach einer Bewegung aͤuſſert, mehr als zu wohl bewuſt. Nun iſt ſie ſich eines dergleichen Be- ſtrebens in der Ruhe nicht bewuſt, und da ſie uͤberhaupt eingeſchraͤnkt iſt (a), und in einerlei Zeit nur wenig Ge- genſtaͤnde empfinden kann, ſo wuͤrde die Seele einer ſo groſſen Arbeit, naͤmlich das auf gewiſſe Weiſe eingerichtete Beſtreben ſo vieler Muſkeln, im Schlafe und in allerlei Lebensumſtaͤnden in Ordnung zu bringen und daruͤber die Aufſicht zu fuͤhren, ſchwerlich gewachſen ſein. Die Na-
tur
(y)[Spaltenumbruch]pag. 447.
(z)pag. 453 ſeqq.
(a)[Spaltenumbruch]vide Sect. 3.
H. Phiſiol. 5. B. D
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II. Abſchnitt. Erſcheinungen.
Es wuͤrde naͤmlich der Einwurf nichtig ſein, wenn
man ſagen wollte, daß Muſkeln, welche von der Ner-
venkraft getrieben werden, nicht in eine wirkliche Thaͤtig-
keit ausbrechen, folglich waͤre die Arbeit der Natur da-
bei geringer; man zeigt naͤmlich, wie es kommen koͤnne,
daß ſie eden ſo gros werde, und daß ein Muſkel alsdenn
nicht weniger arbeite, wenn er gegen einen gleichſtarken
Gegner hundert Pfunde aufzuheben bemuͤht iſt, welche
jener niedergedruͤkkt, als er damals arbeitete (y), da er
ohne einen Gegner wirklich hundert Pfunde in die Hoͤhe
hob.
Es waͤre ferner dieſe aͤuſſerſte Verſchwendung der
Kraͤfte ohne eine gewiſſe Abſicht und man kann ohnmoͤg-
lich von der weiſen Natur erwarten, daß ſich die Biege-
muſkeln beſtaͤndig, vermoͤge der Nervenkraft, anſtrengen,
und dieſe Kraft zugleich von dem Wiederſtande der aus-
ſtrekkenden Muſkeln verzeren laſſen ſollte.
Mit einem Worte, es herrſcht in den Muſkeln eine,
denſelben eingepflanzte Kraft (z), wodurch die Glieder
in ein gewiſſes Gleichgewichte geſezzt werden. Hingegen
wirkt die Nervenkraft nicht, ohne den Befel des Willens,
und es iſt ſich die Seele dieſes Beſtrebens, welches ſich
durch das Verlangen nach einer Bewegung aͤuſſert, mehr
als zu wohl bewuſt. Nun iſt ſie ſich eines dergleichen Be-
ſtrebens in der Ruhe nicht bewuſt, und da ſie uͤberhaupt
eingeſchraͤnkt iſt (a), und in einerlei Zeit nur wenig Ge-
genſtaͤnde empfinden kann, ſo wuͤrde die Seele einer ſo
groſſen Arbeit, naͤmlich das auf gewiſſe Weiſe eingerichtete
Beſtreben ſo vieler Muſkeln, im Schlafe und in allerlei
Lebensumſtaͤnden in Ordnung zu bringen und daruͤber die
Aufſicht zu fuͤhren, ſchwerlich gewachſen ſein. Die Na-
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/67>, abgerufen am 22.11.2024.
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