Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Thierische Bewegung. XI. Buch.
des Lebens noch ein wenig überlebt. Folglich würde ich
sie lieber die angeborne, wesentliche, oder eigene Kraft
des Muskels nennen.

§. 12.
Ob diese Kraft in dem thierischen Leime stekke.

Man erlaube mir, diesem noch etwas weniges beizufü-
gen, welches seinen Grund in der Mutmaßung hat. Da
es überhaupt in allen menschlichen Fasern zwei Grund-
stoffe gibt (l), nämlich eine Erde, und ein bindender
Leim, so läst sich fragen, in welchem von beiden Elemen-
ten diese dem Muskel wesentliche Kraft eigentlich befind-
lich sei. Jch habe mich geäussert (m), daß selbige vor-
nämlich in dem Leime verborgen liege. Es zieht sich näm-
lich der Leim selbst, vermöge seiner todten Kraft, und es
ist dieses gleichsam der allererste Grad der Materie, welche
auf das Zusammenziehen Anspruch macht. Bringt man
hingegen die Erde in ihre Anfänge, so ist sie zerreiblich,
ohne allen Zusammenhang, und gelangt, wenn man ihr
den verlornen Leim wiedergibt, zu der vorigen Zähigkeit.
Alle Metalle bekommen ihre Strekkbarkeit unter dem Ham-
mer, die aufs genaueste mit der anziehenden Kraft ihrer
Theile verbunden ist, wenn sie solche verloren, von Fet-
tigkeiten wieder, wenn man solche unter die schmelzende
Metalle mischet. Thiere, welche fast nichts als ein beleb-
ter Gallert sind (n), und deren viele im Wasser leben, be-
sizzen diese reizbare Kraft in einem hohen Grade, so daß
der Polipus so gar vom Lichte gereizt zu werden scheint,
da er keine Augen hat, und alle Thiere an der Kürze sei-
ner Hörner (Aerme) übertrift (n*), welche er nach Ge-

fal-
(l) [Spaltenumbruch] L. I. p. 2. 4.
(m) prem. mem. p. 79. 80.
(n) BEROE Act. helv. T. IV.
p. 37. Medusa p.
38.
(n*) um zehnmal, Phil. trans.
[Spaltenumbruch] n.
469. Es kann sich ein Vielfus
bis auf eine Linie, vom Zolle, d. i.
auf den 12ten Theil seiner Länge,
zusammenziehen. TREMBLEY
T. I. f. 3. 6. p. 25. Conf. Phil.
trans. n. 284. etc.

Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
des Lebens noch ein wenig uͤberlebt. Folglich wuͤrde ich
ſie lieber die angeborne, weſentliche, oder eigene Kraft
des Muſkels nennen.

§. 12.
Ob dieſe Kraft in dem thieriſchen Leime ſtekke.

Man erlaube mir, dieſem noch etwas weniges beizufuͤ-
gen, welches ſeinen Grund in der Mutmaßung hat. Da
es uͤberhaupt in allen menſchlichen Faſern zwei Grund-
ſtoffe gibt (l), naͤmlich eine Erde, und ein bindender
Leim, ſo laͤſt ſich fragen, in welchem von beiden Elemen-
ten dieſe dem Muſkel weſentliche Kraft eigentlich befind-
lich ſei. Jch habe mich geaͤuſſert (m), daß ſelbige vor-
naͤmlich in dem Leime verborgen liege. Es zieht ſich naͤm-
lich der Leim ſelbſt, vermoͤge ſeiner todten Kraft, und es
iſt dieſes gleichſam der allererſte Grad der Materie, welche
auf das Zuſammenziehen Anſpruch macht. Bringt man
hingegen die Erde in ihre Anfaͤnge, ſo iſt ſie zerreiblich,
ohne allen Zuſammenhang, und gelangt, wenn man ihr
den verlornen Leim wiedergibt, zu der vorigen Zaͤhigkeit.
Alle Metalle bekommen ihre Strekkbarkeit unter dem Ham-
mer, die aufs genaueſte mit der anziehenden Kraft ihrer
Theile verbunden iſt, wenn ſie ſolche verloren, von Fet-
tigkeiten wieder, wenn man ſolche unter die ſchmelzende
Metalle miſchet. Thiere, welche faſt nichts als ein beleb-
ter Gallert ſind (n), und deren viele im Waſſer leben, be-
ſizzen dieſe reizbare Kraft in einem hohen Grade, ſo daß
der Polipus ſo gar vom Lichte gereizt zu werden ſcheint,
da er keine Augen hat, und alle Thiere an der Kuͤrze ſei-
ner Hoͤrner (Aerme) uͤbertrift (n*), welche er nach Ge-

fal-
(l) [Spaltenumbruch] L. I. p. 2. 4.
(m) prem. mem. p. 79. 80.
(n) BEROE Act. helv. T. IV.
p. 37. Meduſa p.
38.
(n*) um zehnmal, Phil. tranſ.
[Spaltenumbruch] n.
469. Es kann ſich ein Vielfus
bis auf eine Linie, vom Zolle, d. i.
auf den 12ten Theil ſeiner Laͤnge,
zuſammenziehen. TREMBLEY
T. I. f. 3. 6. p. 25. Conf. Phil.
tranſ. n. 284. etc.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0058" n="40"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Thieri&#x017F;che Bewegung. <hi rendition="#aq">XI.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
des Lebens noch ein wenig u&#x0364;berlebt. Folglich wu&#x0364;rde ich<lb/>
&#x017F;ie lieber die <hi rendition="#fr">angeborne,</hi> we&#x017F;entliche, oder <hi rendition="#fr">eigene</hi> Kraft<lb/>
des Mu&#x017F;kels nennen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 12.<lb/><hi rendition="#b">Ob die&#x017F;e Kraft in dem thieri&#x017F;chen Leime &#x017F;tekke.</hi></head><lb/>
          <p>Man erlaube mir, die&#x017F;em noch etwas weniges beizufu&#x0364;-<lb/>
gen, welches &#x017F;einen Grund in der Mutmaßung hat. Da<lb/>
es u&#x0364;berhaupt in allen men&#x017F;chlichen Fa&#x017F;ern zwei Grund-<lb/>
&#x017F;toffe gibt <note place="foot" n="(l)"><cb/><hi rendition="#aq">L. I. p.</hi> 2. 4.</note>, na&#x0364;mlich eine Erde, und ein bindender<lb/>
Leim, &#x017F;o la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich fragen, in welchem von beiden Elemen-<lb/>
ten die&#x017F;e dem Mu&#x017F;kel we&#x017F;entliche Kraft eigentlich befind-<lb/>
lich &#x017F;ei. Jch habe mich gea&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert <note place="foot" n="(m)"><hi rendition="#aq">prem. mem. p.</hi> 79. 80.</note>, daß &#x017F;elbige vor-<lb/>
na&#x0364;mlich in dem Leime verborgen liege. Es zieht &#x017F;ich na&#x0364;m-<lb/>
lich der Leim &#x017F;elb&#x017F;t, vermo&#x0364;ge &#x017F;einer todten Kraft, und es<lb/>
i&#x017F;t die&#x017F;es gleich&#x017F;am der allerer&#x017F;te Grad der Materie, welche<lb/>
auf das Zu&#x017F;ammenziehen An&#x017F;pruch macht. Bringt man<lb/>
hingegen die Erde in ihre Anfa&#x0364;nge, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie zerreiblich,<lb/>
ohne allen Zu&#x017F;ammenhang, und gelangt, wenn man ihr<lb/>
den verlornen Leim wiedergibt, zu der vorigen Za&#x0364;higkeit.<lb/>
Alle Metalle bekommen ihre Strekkbarkeit unter dem Ham-<lb/>
mer, die aufs genaue&#x017F;te mit der anziehenden Kraft ihrer<lb/>
Theile verbunden i&#x017F;t, wenn &#x017F;ie &#x017F;olche verloren, von Fet-<lb/>
tigkeiten wieder, wenn man &#x017F;olche unter die &#x017F;chmelzende<lb/>
Metalle mi&#x017F;chet. Thiere, welche fa&#x017F;t nichts als ein beleb-<lb/>
ter Gallert &#x017F;ind <note place="foot" n="(n)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">BEROE</hi> Act. helv. T. IV.<lb/>
p. 37. Medu&#x017F;a p.</hi> 38.</note>, und deren viele im Wa&#x017F;&#x017F;er leben, be-<lb/>
&#x017F;izzen die&#x017F;e reizbare Kraft in einem hohen Grade, &#x017F;o daß<lb/>
der Polipus &#x017F;o gar vom Lichte gereizt zu werden &#x017F;cheint,<lb/>
da er keine Augen hat, und alle Thiere an der Ku&#x0364;rze &#x017F;ei-<lb/>
ner Ho&#x0364;rner (Aerme) u&#x0364;bertrift <note place="foot" n="(n*)">um zehnmal, <hi rendition="#aq">Phil. tran&#x017F;.<lb/><cb/>
n.</hi> 469. Es kann &#x017F;ich ein Vielfus<lb/>
bis auf eine Linie, vom Zolle, d. i.<lb/>
auf den 12ten Theil &#x017F;einer La&#x0364;nge,<lb/>
zu&#x017F;ammenziehen. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">TREMBLEY</hi><lb/>
T. I. f. 3. 6. p. 25. Conf. Phil.<lb/>
tran&#x017F;. n. 284. etc.</hi></note>, welche er nach Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fal-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[40/0058] Thieriſche Bewegung. XI. Buch. des Lebens noch ein wenig uͤberlebt. Folglich wuͤrde ich ſie lieber die angeborne, weſentliche, oder eigene Kraft des Muſkels nennen. §. 12. Ob dieſe Kraft in dem thieriſchen Leime ſtekke. Man erlaube mir, dieſem noch etwas weniges beizufuͤ- gen, welches ſeinen Grund in der Mutmaßung hat. Da es uͤberhaupt in allen menſchlichen Faſern zwei Grund- ſtoffe gibt (l), naͤmlich eine Erde, und ein bindender Leim, ſo laͤſt ſich fragen, in welchem von beiden Elemen- ten dieſe dem Muſkel weſentliche Kraft eigentlich befind- lich ſei. Jch habe mich geaͤuſſert (m), daß ſelbige vor- naͤmlich in dem Leime verborgen liege. Es zieht ſich naͤm- lich der Leim ſelbſt, vermoͤge ſeiner todten Kraft, und es iſt dieſes gleichſam der allererſte Grad der Materie, welche auf das Zuſammenziehen Anſpruch macht. Bringt man hingegen die Erde in ihre Anfaͤnge, ſo iſt ſie zerreiblich, ohne allen Zuſammenhang, und gelangt, wenn man ihr den verlornen Leim wiedergibt, zu der vorigen Zaͤhigkeit. Alle Metalle bekommen ihre Strekkbarkeit unter dem Ham- mer, die aufs genaueſte mit der anziehenden Kraft ihrer Theile verbunden iſt, wenn ſie ſolche verloren, von Fet- tigkeiten wieder, wenn man ſolche unter die ſchmelzende Metalle miſchet. Thiere, welche faſt nichts als ein beleb- ter Gallert ſind (n), und deren viele im Waſſer leben, be- ſizzen dieſe reizbare Kraft in einem hohen Grade, ſo daß der Polipus ſo gar vom Lichte gereizt zu werden ſcheint, da er keine Augen hat, und alle Thiere an der Kuͤrze ſei- ner Hoͤrner (Aerme) uͤbertrift (n*), welche er nach Ge- fal- (l) L. I. p. 2. 4. (m) prem. mem. p. 79. 80. (n) BEROE Act. helv. T. IV. p. 37. Meduſa p. 38. (n*) um zehnmal, Phil. tranſ. n. 469. Es kann ſich ein Vielfus bis auf eine Linie, vom Zolle, d. i. auf den 12ten Theil ſeiner Laͤnge, zuſammenziehen. TREMBLEY T. I. f. 3. 6. p. 25. Conf. Phil. tranſ. n. 284. etc.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/58
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/58>, abgerufen am 22.12.2024.