Boyle darinnen nachgefolget wäre. Wenn wir indessen überhaupt entweder das Leben und das langsame Fortwach- sen der Pflanzen, oder der Thiere betrachten, so finden wir, daß die ersten Anfänge beider Geschlechter gemeiniglich im männlichen Saamen einen sumpfen (fatuus) mehligen, oder wenigstens doch Wollust erwekkenden Geruch besiz- zen, welcher mit dem mehligen Wesen etwas hizziges ver- bindet. Derjenige ist nur zart, welchen ich an den ersten Grundzügen der Vögel bemerkte, da ich ihrer Bildung nachspürte; und er ist gleichfals zart, oder überhaupt gar nicht vorhanden in dem Saamen der meisten Bäume, und in dem Keime dieser Saamen.
Das Leben der Thiere bekömmt einen Zuwachs von wirksamen Veränderungen, Pflanzen geniessen ausser einer wässrigen Narung und der Saame kaum etwas mehr. Und dennoch kommen aus diesem geruchlosen Mehle des Nelkensaamens allmälich Blumen hervor, welche einen kenntlichen Kräutergeruch besizzen, um bei einem einfälti- gen Exempel stehen zu bleiben. Allmälich entwikkelt die angeneme Wärme, sonderlich von der Sonne an diesen Blumenblättern nach der grünen Farbe die weisse, nach der weissen einen lebhaften Purpur und die Natur streuet zu gleicher Zeit nebst der Farbe durch die Blätter ein sehr angenehmes Gewürze aus, welches nunmehr ganz was neues ist, dergleichen weder im Saamen noch in dem Safte war, von welchem die Pflanze ihr Wachstum er- hielt, und welcher blos wässrig hätte sein können. Man siehet, daß aus Wasser und sehr wenig Mehl mittelst der Wärme gewürzhafte Geruchstheile erzeugt werden, ob- gleich keine fremde Ursache dazu gekommen.
Jm Menschen theilet eben diese Wärme dem geruch- losen Wasser zwar keinen angenemen, aber doch starken Geruch mit, so hat z. E. der frische Schweis an der Schaamseite, welcher sich an einer gesunden und schönen Frauensperson eben einfindet, nichts als einen sumpfen
Geruch
II. Abſchnitt. Werkzeug.
Boyle darinnen nachgefolget waͤre. Wenn wir indeſſen uͤberhaupt entweder das Leben und das langſame Fortwach- ſen der Pflanzen, oder der Thiere betrachten, ſo finden wir, daß die erſten Anfaͤnge beider Geſchlechter gemeiniglich im maͤnnlichen Saamen einen ſumpfen (fatuus) mehligen, oder wenigſtens doch Wolluſt erwekkenden Geruch beſiz- zen, welcher mit dem mehligen Weſen etwas hizziges ver- bindet. Derjenige iſt nur zart, welchen ich an den erſten Grundzuͤgen der Voͤgel bemerkte, da ich ihrer Bildung nachſpuͤrte; und er iſt gleichfals zart, oder uͤberhaupt gar nicht vorhanden in dem Saamen der meiſten Baͤume, und in dem Keime dieſer Saamen.
Das Leben der Thiere bekoͤmmt einen Zuwachs von wirkſamen Veraͤnderungen, Pflanzen genieſſen auſſer einer waͤſſrigen Narung und der Saame kaum etwas mehr. Und dennoch kommen aus dieſem geruchloſen Mehle des Nelkenſaamens allmaͤlich Blumen hervor, welche einen kenntlichen Kraͤutergeruch beſizzen, um bei einem einfaͤlti- gen Exempel ſtehen zu bleiben. Allmaͤlich entwikkelt die angeneme Waͤrme, ſonderlich von der Sonne an dieſen Blumenblaͤttern nach der gruͤnen Farbe die weiſſe, nach der weiſſen einen lebhaften Purpur und die Natur ſtreuet zu gleicher Zeit nebſt der Farbe durch die Blaͤtter ein ſehr angenehmes Gewuͤrze aus, welches nunmehr ganz was neues iſt, dergleichen weder im Saamen noch in dem Safte war, von welchem die Pflanze ihr Wachstum er- hielt, und welcher blos waͤſſrig haͤtte ſein koͤnnen. Man ſiehet, daß aus Waſſer und ſehr wenig Mehl mittelſt der Waͤrme gewuͤrzhafte Geruchstheile erzeugt werden, ob- gleich keine fremde Urſache dazu gekommen.
Jm Menſchen theilet eben dieſe Waͤrme dem geruch- loſen Waſſer zwar keinen angenemen, aber doch ſtarken Geruch mit, ſo hat z. E. der friſche Schweis an der Schaamſeite, welcher ſich an einer geſunden und ſchoͤnen Frauensperſon eben einfindet, nichts als einen ſumpfen
Geruch
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II. Abſchnitt. Werkzeug.
Boyle darinnen nachgefolget waͤre. Wenn wir indeſſen
uͤberhaupt entweder das Leben und das langſame Fortwach-
ſen der Pflanzen, oder der Thiere betrachten, ſo finden wir,
daß die erſten Anfaͤnge beider Geſchlechter gemeiniglich
im maͤnnlichen Saamen einen ſumpfen (fatuus) mehligen,
oder wenigſtens doch Wolluſt erwekkenden Geruch beſiz-
zen, welcher mit dem mehligen Weſen etwas hizziges ver-
bindet. Derjenige iſt nur zart, welchen ich an den erſten
Grundzuͤgen der Voͤgel bemerkte, da ich ihrer Bildung
nachſpuͤrte; und er iſt gleichfals zart, oder uͤberhaupt
gar nicht vorhanden in dem Saamen der meiſten Baͤume,
und in dem Keime dieſer Saamen.
Das Leben der Thiere bekoͤmmt einen Zuwachs von
wirkſamen Veraͤnderungen, Pflanzen genieſſen auſſer einer
waͤſſrigen Narung und der Saame kaum etwas mehr.
Und dennoch kommen aus dieſem geruchloſen Mehle
des Nelkenſaamens allmaͤlich Blumen hervor, welche einen
kenntlichen Kraͤutergeruch beſizzen, um bei einem einfaͤlti-
gen Exempel ſtehen zu bleiben. Allmaͤlich entwikkelt die
angeneme Waͤrme, ſonderlich von der Sonne an dieſen
Blumenblaͤttern nach der gruͤnen Farbe die weiſſe, nach
der weiſſen einen lebhaften Purpur und die Natur ſtreuet
zu gleicher Zeit nebſt der Farbe durch die Blaͤtter ein ſehr
angenehmes Gewuͤrze aus, welches nunmehr ganz was
neues iſt, dergleichen weder im Saamen noch in dem
Safte war, von welchem die Pflanze ihr Wachstum er-
hielt, und welcher blos waͤſſrig haͤtte ſein koͤnnen. Man
ſiehet, daß aus Waſſer und ſehr wenig Mehl mittelſt der
Waͤrme gewuͤrzhafte Geruchstheile erzeugt werden, ob-
gleich keine fremde Urſache dazu gekommen.
Jm Menſchen theilet eben dieſe Waͤrme dem geruch-
loſen Waſſer zwar keinen angenemen, aber doch ſtarken
Geruch mit, ſo hat z. E. der friſche Schweis an der
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Frauensperſon eben einfindet, nichts als einen ſumpfen
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/513>, abgerufen am 22.11.2024.
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