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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Das Fühlen XII. Buch.

Dieses Reiben verwandelt sich, wenn ein grosser Nerve
entblöst darunter liegt, in ein Kizzeln. Von einem sanften
Reiben der Lefzen: von einem dergleichen Reiben der
Fussole, oder der flachen Hand, und bei einigen Men-
schen von dem Reiben der Haut, welche zwischen den
Ribben und den Darmknochen liegt, entsteht dieses Kiz-
zeln, welches in der That eine heftige Empfindung ist, da
der Nerve gros ist, und eine unausstehliche Bewegung
verursacht (t). Andre Menschen, welche vom Kizzel we-
niger ausstehen, scheinen in dieser Gegend entweder kleinere
oder doch tiefer liegende Nerven, eine dichtere Haut, oder
doch Nerven mit mehr Fett bedekkt, zu haben.

Schmerz ist derjenige Zustand des Körpers, der uns
zuwider ist. Es wird an einem andern Orte gezeigt wer-
den, daß (u) in den Nerven die Zerstörung keine solche
Statt findet, indem oft der allerunschuldigste Schmerz,
ohne eine Spur zu hinterlassen, verschwindet; sondern daß
irgend eine stärkere Bewegung darinnen vorgeht, ich sage,
eine stärkere, denn es verursacht einerlei Ursache in einem
Menschen, der callöse ist, Wollust, in einem zärtlichen
hingegen Schmerz, und folglich sind keine andre Zwischen-
graden, als daß die geringere Bewegung der Seele wohl-
thut, und die grössere misfällt.

Der Schmerz ist allen Nerven wesentlich, und hat
also überall in allen Theilen des Körpers seinen Sizz, nur
daß er grösser ist, wo die Nerven grösser sind, dem Gehirne
näher liegen, und mehr entblöst getroffen werden. Der
allerempfindlichste Schmerz trift eine entblöste Haut, da,
wo sie viele Wärzchen hat. Die amerikanische Wilden,
die sich eine Ehre daraus machen, wenn sie von ihren
Feinden die ärgste Schmerzen leiden, und dieselbe eben
so wieder bezahlen können, verstehen, was die Standhaf-

tig-
(t) [Spaltenumbruch] Der absterbende KLOEK-
HOF
de morb. anim. p.
53.
(u) [Spaltenumbruch] L. XVII. Sect. II. n. 1.
Das Fuͤhlen XII. Buch.

Dieſes Reiben verwandelt ſich, wenn ein groſſer Nerve
entbloͤſt darunter liegt, in ein Kizzeln. Von einem ſanften
Reiben der Lefzen: von einem dergleichen Reiben der
Fusſole, oder der flachen Hand, und bei einigen Men-
ſchen von dem Reiben der Haut, welche zwiſchen den
Ribben und den Darmknochen liegt, entſteht dieſes Kiz-
zeln, welches in der That eine heftige Empfindung iſt, da
der Nerve gros iſt, und eine unausſtehliche Bewegung
verurſacht (t). Andre Menſchen, welche vom Kizzel we-
niger ausſtehen, ſcheinen in dieſer Gegend entweder kleinere
oder doch tiefer liegende Nerven, eine dichtere Haut, oder
doch Nerven mit mehr Fett bedekkt, zu haben.

Schmerz iſt derjenige Zuſtand des Koͤrpers, der uns
zuwider iſt. Es wird an einem andern Orte gezeigt wer-
den, daß (u) in den Nerven die Zerſtoͤrung keine ſolche
Statt findet, indem oft der allerunſchuldigſte Schmerz,
ohne eine Spur zu hinterlaſſen, verſchwindet; ſondern daß
irgend eine ſtaͤrkere Bewegung darinnen vorgeht, ich ſage,
eine ſtaͤrkere, denn es verurſacht einerlei Urſache in einem
Menſchen, der calloͤſe iſt, Wolluſt, in einem zaͤrtlichen
hingegen Schmerz, und folglich ſind keine andre Zwiſchen-
graden, als daß die geringere Bewegung der Seele wohl-
thut, und die groͤſſere misfaͤllt.

Der Schmerz iſt allen Nerven weſentlich, und hat
alſo uͤberall in allen Theilen des Koͤrpers ſeinen Sizz, nur
daß er groͤſſer iſt, wo die Nerven groͤſſer ſind, dem Gehirne
naͤher liegen, und mehr entbloͤſt getroffen werden. Der
allerempfindlichſte Schmerz trift eine entbloͤſte Haut, da,
wo ſie viele Waͤrzchen hat. Die amerikaniſche Wilden,
die ſich eine Ehre daraus machen, wenn ſie von ihren
Feinden die aͤrgſte Schmerzen leiden, und dieſelbe eben
ſo wieder bezahlen koͤnnen, verſtehen, was die Standhaf-

tig-
(t) [Spaltenumbruch] Der abſterbende KLOEK-
HOF
de morb. anim. p.
53.
(u) [Spaltenumbruch] L. XVII. Sect. II. n. 1.
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[382/0400] Das Fuͤhlen XII. Buch. Dieſes Reiben verwandelt ſich, wenn ein groſſer Nerve entbloͤſt darunter liegt, in ein Kizzeln. Von einem ſanften Reiben der Lefzen: von einem dergleichen Reiben der Fusſole, oder der flachen Hand, und bei einigen Men- ſchen von dem Reiben der Haut, welche zwiſchen den Ribben und den Darmknochen liegt, entſteht dieſes Kiz- zeln, welches in der That eine heftige Empfindung iſt, da der Nerve gros iſt, und eine unausſtehliche Bewegung verurſacht (t). Andre Menſchen, welche vom Kizzel we- niger ausſtehen, ſcheinen in dieſer Gegend entweder kleinere oder doch tiefer liegende Nerven, eine dichtere Haut, oder doch Nerven mit mehr Fett bedekkt, zu haben. Schmerz iſt derjenige Zuſtand des Koͤrpers, der uns zuwider iſt. Es wird an einem andern Orte gezeigt wer- den, daß (u) in den Nerven die Zerſtoͤrung keine ſolche Statt findet, indem oft der allerunſchuldigſte Schmerz, ohne eine Spur zu hinterlaſſen, verſchwindet; ſondern daß irgend eine ſtaͤrkere Bewegung darinnen vorgeht, ich ſage, eine ſtaͤrkere, denn es verurſacht einerlei Urſache in einem Menſchen, der calloͤſe iſt, Wolluſt, in einem zaͤrtlichen hingegen Schmerz, und folglich ſind keine andre Zwiſchen- graden, als daß die geringere Bewegung der Seele wohl- thut, und die groͤſſere misfaͤllt. Der Schmerz iſt allen Nerven weſentlich, und hat alſo uͤberall in allen Theilen des Koͤrpers ſeinen Sizz, nur daß er groͤſſer iſt, wo die Nerven groͤſſer ſind, dem Gehirne naͤher liegen, und mehr entbloͤſt getroffen werden. Der allerempfindlichſte Schmerz trift eine entbloͤſte Haut, da, wo ſie viele Waͤrzchen hat. Die amerikaniſche Wilden, die ſich eine Ehre daraus machen, wenn ſie von ihren Feinden die aͤrgſte Schmerzen leiden, und dieſelbe eben ſo wieder bezahlen koͤnnen, verſtehen, was die Standhaf- tig- (t) Der abſterbende KLOEK- HOF de morb. anim. p. 53. (u) L. XVII. Sect. II. n. 1.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/400>, abgerufen am 25.11.2024.