Wir haben einige von diesen Hipotesen schon an dem Orte erwogen, wo wir die Ursachen des Zusammenziehens untersuchten. Es tritt nämlich das Blut eben so wenig aus einem zusammengezognen Muskel (m), als es in einen erschlaffenden eindringt (n).
Wir haben hier das Wechselspiel der Gegenmuskeln nicht nötig; indem sich die Fasern des Herzens schlaff machen, und zusammenziehen, ohngeachtet sie keinen Gegner haben. Es findet auch in einem und eben dem- selben einzelnen Muskel, welcher keinen Gegner hat, den- noch das Wechseln des Zusammenziehens und Erschlaffens statt (o). Endlich folgt erst die Handlung eines Gegners, wenn die zusammenziehende Nervenkraft aus dem wirken- den Muskel zurükke gewichen. Man kann nun bei der einfachern Hipotese, welche wir den übrigen vorgezogen haben, die Erschlaffung des Muskels, der Unterbrechung des Zuflusses der Nervengeister, welche den Faserleim zum Zusammenziehen vermögen und reizen, zuschreiben. Sol- chergestalt wird zwar die Zusammenziehungskraft bleiben, sie wird aber nur so mäßig sein, als sie an einem schlaffen oder erschlafften Muskel ist. Es könnte aber, nach dem Belieben der Seele, entweder die gesamte Nervenkraft den Muskel dergestalt verlassen, daß er vollkommen er- schlafft, oder nur ein Theil dieser Gewalt verloren gehen, daß sich ein Muskel nur um die Helfte, oder noch weniger, zusammen zu ziehen vermag.
Jndessen bleibt hier doch noch ein Knoten übrig, wel- cher mir viel Mühe zu machen scheint. Wo geht dieser Nervengeist hin, welcher, wenn er überflüßig in den Muskel eindrang, am Muskel eine Bewegung hervor- brachte? Es mus aber gezeiget werden, wohin sich der- selbe so plözzlich zurükke ziehe, indem ein Tonkünstler schnel- ler, als in einem Augenblikke, einige Fingermuskeln erschlaffen läst, indem er andre in Bewegung sezzt.
Keh-
(m)[Spaltenumbruch]pag. 476. 477.
(n)[Spaltenumbruch]Ibid.
(o)[Spaltenumbruch]pag. 471.
Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
Wir haben einige von dieſen Hipoteſen ſchon an dem Orte erwogen, wo wir die Urſachen des Zuſammenziehens unterſuchten. Es tritt naͤmlich das Blut eben ſo wenig aus einem zuſammengezognen Muſkel (m), als es in einen erſchlaffenden eindringt (n).
Wir haben hier das Wechſelſpiel der Gegenmuſkeln nicht noͤtig; indem ſich die Faſern des Herzens ſchlaff machen, und zuſammenziehen, ohngeachtet ſie keinen Gegner haben. Es findet auch in einem und eben dem- ſelben einzelnen Muſkel, welcher keinen Gegner hat, den- noch das Wechſeln des Zuſammenziehens und Erſchlaffens ſtatt (o). Endlich folgt erſt die Handlung eines Gegners, wenn die zuſammenziehende Nervenkraft aus dem wirken- den Muſkel zuruͤkke gewichen. Man kann nun bei der einfachern Hipoteſe, welche wir den uͤbrigen vorgezogen haben, die Erſchlaffung des Muſkels, der Unterbrechung des Zufluſſes der Nervengeiſter, welche den Faſerleim zum Zuſammenziehen vermoͤgen und reizen, zuſchreiben. Sol- chergeſtalt wird zwar die Zuſammenziehungskraft bleiben, ſie wird aber nur ſo maͤßig ſein, als ſie an einem ſchlaffen oder erſchlafften Muſkel iſt. Es koͤnnte aber, nach dem Belieben der Seele, entweder die geſamte Nervenkraft den Muſkel dergeſtalt verlaſſen, daß er vollkommen er- ſchlafft, oder nur ein Theil dieſer Gewalt verloren gehen, daß ſich ein Muſkel nur um die Helfte, oder noch weniger, zuſammen zu ziehen vermag.
Jndeſſen bleibt hier doch noch ein Knoten uͤbrig, wel- cher mir viel Muͤhe zu machen ſcheint. Wo geht dieſer Nervengeiſt hin, welcher, wenn er uͤberfluͤßig in den Muſkel eindrang, am Muſkel eine Bewegung hervor- brachte? Es mus aber gezeiget werden, wohin ſich der- ſelbe ſo ploͤzzlich zuruͤkke ziehe, indem ein Tonkuͤnſtler ſchnel- ler, als in einem Augenblikke, einige Fingermuſkeln erſchlaffen laͤſt, indem er andre in Bewegung ſezzt.
Keh-
(m)[Spaltenumbruch]pag. 476. 477.
(n)[Spaltenumbruch]Ibid.
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[196/0214]
Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
Wir haben einige von dieſen Hipoteſen ſchon an dem
Orte erwogen, wo wir die Urſachen des Zuſammenziehens
unterſuchten. Es tritt naͤmlich das Blut eben ſo wenig
aus einem zuſammengezognen Muſkel (m), als es in
einen erſchlaffenden eindringt (n).
Wir haben hier das Wechſelſpiel der Gegenmuſkeln
nicht noͤtig; indem ſich die Faſern des Herzens ſchlaff
machen, und zuſammenziehen, ohngeachtet ſie keinen
Gegner haben. Es findet auch in einem und eben dem-
ſelben einzelnen Muſkel, welcher keinen Gegner hat, den-
noch das Wechſeln des Zuſammenziehens und Erſchlaffens
ſtatt (o). Endlich folgt erſt die Handlung eines Gegners,
wenn die zuſammenziehende Nervenkraft aus dem wirken-
den Muſkel zuruͤkke gewichen. Man kann nun bei der
einfachern Hipoteſe, welche wir den uͤbrigen vorgezogen
haben, die Erſchlaffung des Muſkels, der Unterbrechung
des Zufluſſes der Nervengeiſter, welche den Faſerleim zum
Zuſammenziehen vermoͤgen und reizen, zuſchreiben. Sol-
chergeſtalt wird zwar die Zuſammenziehungskraft bleiben,
ſie wird aber nur ſo maͤßig ſein, als ſie an einem ſchlaffen
oder erſchlafften Muſkel iſt. Es koͤnnte aber, nach dem
Belieben der Seele, entweder die geſamte Nervenkraft
den Muſkel dergeſtalt verlaſſen, daß er vollkommen er-
ſchlafft, oder nur ein Theil dieſer Gewalt verloren gehen,
daß ſich ein Muſkel nur um die Helfte, oder noch weniger,
zuſammen zu ziehen vermag.
Jndeſſen bleibt hier doch noch ein Knoten uͤbrig, wel-
cher mir viel Muͤhe zu machen ſcheint. Wo geht dieſer
Nervengeiſt hin, welcher, wenn er uͤberfluͤßig in den
Muſkel eindrang, am Muſkel eine Bewegung hervor-
brachte? Es mus aber gezeiget werden, wohin ſich der-
ſelbe ſo ploͤzzlich zuruͤkke ziehe, indem ein Tonkuͤnſtler ſchnel-
ler, als in einem Augenblikke, einige Fingermuſkeln
erſchlaffen laͤſt, indem er andre in Bewegung ſezzt.
Keh-
(m)
pag. 476. 477.
(n)
Ibid.
(o)
pag. 471.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/214>, abgerufen am 22.11.2024.
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