Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

Thierische Bewegung. XI. Buch.
Aberglauben, was von derjenigen Verehrung herrürt,
mit welcher die Aerzte die hippokratischen Schriften
verfolgt haben. Und dennoch stammen diejenigen Stel-
len, welche der Natur so viel zuschreiben, gemeiniglich
nicht von den ächten Werken dieses grossen Vorfaren her.
Endlich hat noch der berümte Cigna die Stahlische
Theorie durch die Bestimmung der Reizbarkeit über den
Haufen fallen gesehen, weil es eine andre Ursache zu den
bewegenden Kräften (l) giebt, die da notwendig, und
körperlich ist. Jch mag auch die Ursache nicht zu ergrün-
den suchen, warum die Anhänger dieser Partei ihre
Kräfte so sehr angestrengt, mich zu unterdrücken.

§. 11.
Die Ursache, warum diese Klasse von reizbaren
Muskeln dem Willen keinen Gehorsam
leistet.

Nunmehr |ist es, da wir das vorhergehende mit Fleis
untersucht haben, nicht mehr schwer, diese Sache zu be-
antworten. Erstlich werden alle Muskeln von einem
Reize in Bewegung gesezzt (m). Es bringt aber die
Natur zu den Kräften des Lebens und des Willens fol-
gende Reizmittel. Das Herz und die Schlagadern be-
kommen das Blut, der Magen und das Gedärme, Luft
und Speise, die Harnblase den Urin, die Gallenblase
die Galle, die Saamengefässe den Saamen, die Gebär-
mutter die Frucht, der Regenbogen das Licht (n). Wenn
nun diese Muskeln gereizt werden, so müssen sie notwen-
dig zu wirken anfangen; denn sie würden bei Empfindung
des Reizes wirksam werden, wenn sie gleich auch willkür-
lich wären (o).

Wir
(l) [Spaltenumbruch] Disp. n. 2. p. 18.
(m) pag. 448.
(n) Nämlich am Nezzhäutgen,
das mit dem Regendogen einstim-
mig ist.
(o) [Spaltenumbruch] Besiehe die unwillkürliche
Bewegungen an den Käumuskeln,
an dem grossen Zeen, am Schen-
kel, Arme u. s. w. ap. Marc.
DONATUM L. II. c.
3. Ein
drei-

Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
Aberglauben, was von derjenigen Verehrung herruͤrt,
mit welcher die Aerzte die hippokratiſchen Schriften
verfolgt haben. Und dennoch ſtammen diejenigen Stel-
len, welche der Natur ſo viel zuſchreiben, gemeiniglich
nicht von den aͤchten Werken dieſes groſſen Vorfaren her.
Endlich hat noch der beruͤmte Cigna die Stahliſche
Theorie durch die Beſtimmung der Reizbarkeit uͤber den
Haufen fallen geſehen, weil es eine andre Urſache zu den
bewegenden Kraͤften (l) giebt, die da notwendig, und
koͤrperlich iſt. Jch mag auch die Urſache nicht zu ergruͤn-
den ſuchen, warum die Anhaͤnger dieſer Partei ihre
Kraͤfte ſo ſehr angeſtrengt, mich zu unterdruͤcken.

§. 11.
Die Urſache, warum dieſe Klaſſe von reizbaren
Muſkeln dem Willen keinen Gehorſam
leiſtet.

Nunmehr |iſt es, da wir das vorhergehende mit Fleis
unterſucht haben, nicht mehr ſchwer, dieſe Sache zu be-
antworten. Erſtlich werden alle Muſkeln von einem
Reize in Bewegung geſezzt (m). Es bringt aber die
Natur zu den Kraͤften des Lebens und des Willens fol-
gende Reizmittel. Das Herz und die Schlagadern be-
kommen das Blut, der Magen und das Gedaͤrme, Luft
und Speiſe, die Harnblaſe den Urin, die Gallenblaſe
die Galle, die Saamengefaͤſſe den Saamen, die Gebaͤr-
mutter die Frucht, der Regenbogen das Licht (n). Wenn
nun dieſe Muſkeln gereizt werden, ſo muͤſſen ſie notwen-
dig zu wirken anfangen; denn ſie wuͤrden bei Empfindung
des Reizes wirkſam werden, wenn ſie gleich auch willkuͤr-
lich waͤren (o).

Wir
(l) [Spaltenumbruch] Diſp. n. 2. p. 18.
(m) pag. 448.
(n) Naͤmlich am Nezzhaͤutgen,
das mit dem Regendogen einſtim-
mig iſt.
(o) [Spaltenumbruch] Beſiehe die unwillkuͤrliche
Bewegungen an den Kaͤumuſkeln,
an dem groſſen Zeen, am Schen-
kel, Arme u. ſ. w. ap. Marc.
DONATUM L. II. c.
3. Ein
drei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0172" n="154"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Thieri&#x017F;che Bewegung. <hi rendition="#aq">XI.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
Aberglauben, was von derjenigen Verehrung herru&#x0364;rt,<lb/>
mit welcher die Aerzte die <hi rendition="#fr">hippokrati&#x017F;chen</hi> Schriften<lb/>
verfolgt haben. Und dennoch &#x017F;tammen diejenigen Stel-<lb/>
len, welche der Natur &#x017F;o viel zu&#x017F;chreiben, gemeiniglich<lb/>
nicht von den a&#x0364;chten Werken die&#x017F;es gro&#x017F;&#x017F;en Vorfaren her.<lb/>
Endlich hat noch der beru&#x0364;mte <hi rendition="#fr">Cigna</hi> die <hi rendition="#fr">Stahli&#x017F;che</hi><lb/>
Theorie durch die Be&#x017F;timmung der Reizbarkeit u&#x0364;ber den<lb/>
Haufen fallen ge&#x017F;ehen, weil es eine andre Ur&#x017F;ache zu den<lb/>
bewegenden Kra&#x0364;ften <note place="foot" n="(l)"><cb/><hi rendition="#aq">Di&#x017F;p. n. 2. p.</hi> 18.</note> giebt, die da notwendig, und<lb/>
ko&#x0364;rperlich i&#x017F;t. Jch mag auch die Ur&#x017F;ache nicht zu ergru&#x0364;n-<lb/>
den &#x017F;uchen, warum die Anha&#x0364;nger die&#x017F;er Partei ihre<lb/>
Kra&#x0364;fte &#x017F;o &#x017F;ehr ange&#x017F;trengt, mich zu unterdru&#x0364;cken.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">§. 11.<lb/>
Die Ur&#x017F;ache, warum die&#x017F;e Kla&#x017F;&#x017F;e von reizbaren<lb/>
Mu&#x017F;keln dem Willen keinen Gehor&#x017F;am<lb/>
lei&#x017F;tet.</hi> </head><lb/>
          <p>Nunmehr |i&#x017F;t es, da wir das vorhergehende mit Fleis<lb/>
unter&#x017F;ucht haben, nicht mehr &#x017F;chwer, die&#x017F;e Sache zu be-<lb/>
antworten. Er&#x017F;tlich werden alle Mu&#x017F;keln von einem<lb/>
Reize in Bewegung ge&#x017F;ezzt <note place="foot" n="(m)"><hi rendition="#aq">pag.</hi> 448.</note>. Es bringt aber die<lb/>
Natur zu den Kra&#x0364;ften des Lebens und des Willens fol-<lb/>
gende Reizmittel. Das Herz und die Schlagadern be-<lb/>
kommen das Blut, der Magen und das Geda&#x0364;rme, Luft<lb/>
und Spei&#x017F;e, die Harnbla&#x017F;e den Urin, die Gallenbla&#x017F;e<lb/>
die Galle, die Saamengefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e den Saamen, die Geba&#x0364;r-<lb/>
mutter die Frucht, der Regenbogen das Licht <note place="foot" n="(n)">Na&#x0364;mlich am Nezzha&#x0364;utgen,<lb/>
das mit dem Regendogen ein&#x017F;tim-<lb/>
mig i&#x017F;t.</note>. Wenn<lb/>
nun die&#x017F;e Mu&#x017F;keln gereizt werden, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie notwen-<lb/>
dig zu wirken anfangen; denn &#x017F;ie wu&#x0364;rden bei Empfindung<lb/>
des Reizes wirk&#x017F;am werden, wenn &#x017F;ie gleich auch willku&#x0364;r-<lb/>
lich wa&#x0364;ren <note xml:id="f27" next="#f28" place="foot" n="(o)"><cb/>
Be&#x017F;iehe die unwillku&#x0364;rliche<lb/>
Bewegungen an den Ka&#x0364;umu&#x017F;keln,<lb/>
an dem gro&#x017F;&#x017F;en Zeen, am Schen-<lb/>
kel, Arme u. &#x017F;. w. <hi rendition="#aq">ap. Marc.<lb/><hi rendition="#g">DONATUM</hi> L. II. c.</hi> 3. Ein<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">drei-</fw></note>.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Wir</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[154/0172] Thieriſche Bewegung. XI. Buch. Aberglauben, was von derjenigen Verehrung herruͤrt, mit welcher die Aerzte die hippokratiſchen Schriften verfolgt haben. Und dennoch ſtammen diejenigen Stel- len, welche der Natur ſo viel zuſchreiben, gemeiniglich nicht von den aͤchten Werken dieſes groſſen Vorfaren her. Endlich hat noch der beruͤmte Cigna die Stahliſche Theorie durch die Beſtimmung der Reizbarkeit uͤber den Haufen fallen geſehen, weil es eine andre Urſache zu den bewegenden Kraͤften (l) giebt, die da notwendig, und koͤrperlich iſt. Jch mag auch die Urſache nicht zu ergruͤn- den ſuchen, warum die Anhaͤnger dieſer Partei ihre Kraͤfte ſo ſehr angeſtrengt, mich zu unterdruͤcken. §. 11. Die Urſache, warum dieſe Klaſſe von reizbaren Muſkeln dem Willen keinen Gehorſam leiſtet. Nunmehr |iſt es, da wir das vorhergehende mit Fleis unterſucht haben, nicht mehr ſchwer, dieſe Sache zu be- antworten. Erſtlich werden alle Muſkeln von einem Reize in Bewegung geſezzt (m). Es bringt aber die Natur zu den Kraͤften des Lebens und des Willens fol- gende Reizmittel. Das Herz und die Schlagadern be- kommen das Blut, der Magen und das Gedaͤrme, Luft und Speiſe, die Harnblaſe den Urin, die Gallenblaſe die Galle, die Saamengefaͤſſe den Saamen, die Gebaͤr- mutter die Frucht, der Regenbogen das Licht (n). Wenn nun dieſe Muſkeln gereizt werden, ſo muͤſſen ſie notwen- dig zu wirken anfangen; denn ſie wuͤrden bei Empfindung des Reizes wirkſam werden, wenn ſie gleich auch willkuͤr- lich waͤren (o). Wir (l) Diſp. n. 2. p. 18. (m) pag. 448. (n) Naͤmlich am Nezzhaͤutgen, das mit dem Regendogen einſtim- mig iſt. (o) Beſiehe die unwillkuͤrliche Bewegungen an den Kaͤumuſkeln, an dem groſſen Zeen, am Schen- kel, Arme u. ſ. w. ap. Marc. DONATUM L. II. c. 3. Ein drei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/172
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/172>, abgerufen am 20.11.2024.