Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
Thierische Bewegung. XI. Buch.
§. 7.
Andre Einwürfe.

Doch es verändert sich, so sagen berümte Männer (p),
das Schlagen des Herzens, nach den Gemütsbewegun-
gen der Seele; nun hat die Seele über die Gemütsbewe-
gungen, und folglich auch über das Herz, Gewalt.

Hiervon ist ein Theil wahr, und ein Theil falsch. Es
ist gewis, daß das Schlagen des Herzens von scharfem
Weingeiste, von Gift, und von der Jdee eines mir ge-
genwärtigen Misvergnügens, sehr heftig werde. Doch
es ist darum nicht wahr, daß diese Veränderungen will-
kürlich sind, oder daß das Herz im Zorne, auf Befel der
Seele schlagen soll.

Es hängt gar nicht von dem Willen ab, unberauscht
zu bleiben, wenn man zu viel Wein getrunken; es hängt
vom Willen nicht ab, in einer geruhigen Gemütsfassung
zu verharren, wenn wir Dinge, die unsrer Ehre zuwider
sind, für ein Uebel ansehen, welches wir unverdienter
Weise leiden.

Es stand in unserm Belieben, keinen Wein zu trinken,
und dasjenige für kein grosses Uebel zu halten, was man
wider unsre Ehre vornahm, und wir könnten dieses Uebel
dadurch niederschlagen, daß wir es mit demjenigen Uebel
vergleichen, welches die Erfahrung, oder die Religion,
als eine Folge des Zorns angiebt.

Wenn die Nerven einmal, entweder von den Wein-
dünsten, oder von der Empfindung eines erlittnen Un-
rechts, in Bewegung gesezzt worden, so hat die Seele
keine freie Gewalt mehr, dem Herzen das schnelle Schla-
gen zu verbieten, dergleichen ein gesunder und ruhiger
Mensch hat. Wir können freylich verhindern, daß in
uns keine Leidenschaften entstehen, allein, sind sie schon

ent-
(p) SAUVAGES loc. cit.
Thieriſche Bewegung. XI. Buch.
§. 7.
Andre Einwuͤrfe.

Doch es veraͤndert ſich, ſo ſagen beruͤmte Maͤnner (p),
das Schlagen des Herzens, nach den Gemuͤtsbewegun-
gen der Seele; nun hat die Seele uͤber die Gemuͤtsbewe-
gungen, und folglich auch uͤber das Herz, Gewalt.

Hiervon iſt ein Theil wahr, und ein Theil falſch. Es
iſt gewis, daß das Schlagen des Herzens von ſcharfem
Weingeiſte, von Gift, und von der Jdee eines mir ge-
genwaͤrtigen Misvergnuͤgens, ſehr heftig werde. Doch
es iſt darum nicht wahr, daß dieſe Veraͤnderungen will-
kuͤrlich ſind, oder daß das Herz im Zorne, auf Befel der
Seele ſchlagen ſoll.

Es haͤngt gar nicht von dem Willen ab, unberauſcht
zu bleiben, wenn man zu viel Wein getrunken; es haͤngt
vom Willen nicht ab, in einer geruhigen Gemuͤtsfaſſung
zu verharren, wenn wir Dinge, die unſrer Ehre zuwider
ſind, fuͤr ein Uebel anſehen, welches wir unverdienter
Weiſe leiden.

Es ſtand in unſerm Belieben, keinen Wein zu trinken,
und dasjenige fuͤr kein groſſes Uebel zu halten, was man
wider unſre Ehre vornahm, und wir koͤnnten dieſes Uebel
dadurch niederſchlagen, daß wir es mit demjenigen Uebel
vergleichen, welches die Erfahrung, oder die Religion,
als eine Folge des Zorns angiebt.

Wenn die Nerven einmal, entweder von den Wein-
duͤnſten, oder von der Empfindung eines erlittnen Un-
rechts, in Bewegung geſezzt worden, ſo hat die Seele
keine freie Gewalt mehr, dem Herzen das ſchnelle Schla-
gen zu verbieten, dergleichen ein geſunder und ruhiger
Menſch hat. Wir koͤnnen freylich verhindern, daß in
uns keine Leidenſchaften entſtehen, allein, ſind ſie ſchon

ent-
(p) SAUVAGES loc. cit.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0158" n="140"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Thieri&#x017F;che Bewegung. <hi rendition="#aq">XI.</hi> Buch.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">§. 7.<lb/>
Andre Einwu&#x0364;rfe.</hi> </head><lb/>
          <p>Doch es vera&#x0364;ndert &#x017F;ich, &#x017F;o &#x017F;agen beru&#x0364;mte Ma&#x0364;nner <note place="foot" n="(p)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SAUVAGES</hi> loc. cit.</hi></note>,<lb/>
das Schlagen des Herzens, nach den Gemu&#x0364;tsbewegun-<lb/>
gen der Seele; nun hat die Seele u&#x0364;ber die Gemu&#x0364;tsbewe-<lb/>
gungen, und folglich auch u&#x0364;ber das Herz, Gewalt.</p><lb/>
          <p>Hiervon i&#x017F;t ein Theil wahr, und ein Theil fal&#x017F;ch. Es<lb/>
i&#x017F;t gewis, daß das Schlagen des Herzens von &#x017F;charfem<lb/>
Weingei&#x017F;te, von Gift, und von der Jdee eines mir ge-<lb/>
genwa&#x0364;rtigen Misvergnu&#x0364;gens, &#x017F;ehr heftig werde. Doch<lb/>
es i&#x017F;t darum nicht wahr, daß die&#x017F;e Vera&#x0364;nderungen will-<lb/>
ku&#x0364;rlich &#x017F;ind, oder daß das Herz im Zorne, auf Befel der<lb/>
Seele &#x017F;chlagen &#x017F;oll.</p><lb/>
          <p>Es ha&#x0364;ngt gar nicht von dem Willen ab, unberau&#x017F;cht<lb/>
zu bleiben, wenn man zu viel Wein getrunken; es ha&#x0364;ngt<lb/>
vom Willen nicht ab, in einer geruhigen Gemu&#x0364;tsfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
zu verharren, wenn wir Dinge, die un&#x017F;rer Ehre zuwider<lb/>
&#x017F;ind, fu&#x0364;r ein Uebel an&#x017F;ehen, welches wir unverdienter<lb/>
Wei&#x017F;e leiden.</p><lb/>
          <p>Es &#x017F;tand in un&#x017F;erm Belieben, keinen Wein zu trinken,<lb/>
und dasjenige fu&#x0364;r kein gro&#x017F;&#x017F;es Uebel zu halten, was man<lb/>
wider un&#x017F;re Ehre vornahm, und wir ko&#x0364;nnten die&#x017F;es Uebel<lb/>
dadurch nieder&#x017F;chlagen, daß wir es mit demjenigen Uebel<lb/>
vergleichen, welches die Erfahrung, oder die Religion,<lb/>
als eine Folge des Zorns angiebt.</p><lb/>
          <p>Wenn die Nerven einmal, entweder von den Wein-<lb/>
du&#x0364;n&#x017F;ten, oder von der Empfindung eines erlittnen Un-<lb/>
rechts, in Bewegung ge&#x017F;ezzt worden, &#x017F;o hat die Seele<lb/>
keine freie Gewalt mehr, dem Herzen das &#x017F;chnelle Schla-<lb/>
gen zu verbieten, dergleichen ein ge&#x017F;under und ruhiger<lb/>
Men&#x017F;ch hat. Wir ko&#x0364;nnen freylich verhindern, daß in<lb/>
uns keine Leiden&#x017F;chaften ent&#x017F;tehen, allein, &#x017F;ind &#x017F;ie &#x017F;chon<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ent-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0158] Thieriſche Bewegung. XI. Buch. §. 7. Andre Einwuͤrfe. Doch es veraͤndert ſich, ſo ſagen beruͤmte Maͤnner (p), das Schlagen des Herzens, nach den Gemuͤtsbewegun- gen der Seele; nun hat die Seele uͤber die Gemuͤtsbewe- gungen, und folglich auch uͤber das Herz, Gewalt. Hiervon iſt ein Theil wahr, und ein Theil falſch. Es iſt gewis, daß das Schlagen des Herzens von ſcharfem Weingeiſte, von Gift, und von der Jdee eines mir ge- genwaͤrtigen Misvergnuͤgens, ſehr heftig werde. Doch es iſt darum nicht wahr, daß dieſe Veraͤnderungen will- kuͤrlich ſind, oder daß das Herz im Zorne, auf Befel der Seele ſchlagen ſoll. Es haͤngt gar nicht von dem Willen ab, unberauſcht zu bleiben, wenn man zu viel Wein getrunken; es haͤngt vom Willen nicht ab, in einer geruhigen Gemuͤtsfaſſung zu verharren, wenn wir Dinge, die unſrer Ehre zuwider ſind, fuͤr ein Uebel anſehen, welches wir unverdienter Weiſe leiden. Es ſtand in unſerm Belieben, keinen Wein zu trinken, und dasjenige fuͤr kein groſſes Uebel zu halten, was man wider unſre Ehre vornahm, und wir koͤnnten dieſes Uebel dadurch niederſchlagen, daß wir es mit demjenigen Uebel vergleichen, welches die Erfahrung, oder die Religion, als eine Folge des Zorns angiebt. Wenn die Nerven einmal, entweder von den Wein- duͤnſten, oder von der Empfindung eines erlittnen Un- rechts, in Bewegung geſezzt worden, ſo hat die Seele keine freie Gewalt mehr, dem Herzen das ſchnelle Schla- gen zu verbieten, dergleichen ein geſunder und ruhiger Menſch hat. Wir koͤnnen freylich verhindern, daß in uns keine Leidenſchaften entſtehen, allein, ſind ſie ſchon ent- (p) SAUVAGES loc. cit.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/158
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/158>, abgerufen am 20.11.2024.