zige Nation, die ohne Ehe wäre; deren beständiges Band zugleich eine beständige Ergözzung ist. Nun scheinet kein sicherer Beweis der Weisheit, als die Reizze zu sein, wel- che uns dasjenige höchst angenehm machen, was uns zu thun nothwendig ist.
Es hat der Schmerz viele Dinge mit dem Vergnügen gemein, beides sind starke Empfindungen, in beiden fliest das Blut nach dem Theile stärker hin, der das Vergnü- gen oder den Schmerz leidet: dieses lässet sich durch die Werkzeuge, die den Beischlaf verrichten, durch die ge- riebne Augen, und das Reiben der Haut, erläutern.
§. 3. Andre Begierden.
Aus diesen Reizzen bestehet gemeiniglich das Leben der Thiere. Sie sind von der Natur bestimmt, eine Zeit- lang, und gewisse Jahre über, ihren Theil an Futter von Kräutern, oder thierischen Materien zu verzehren, und ihre Art zu erhalten. Zu diesem Geschäfte werden sie vom Schmerz, Hunger, Durste, und der Wollust an- getrieben.
Der Mensch hat dieses nicht allein mit den Thieren gemein, sondern er ist auch noch zu andern Dingen be- stimmt, und folglich wird er auch durch andre Reizze be- lebt. Der vornehmste ist, wodurch er sich unterscheidet, die Hoffnung, und die Betrachtung einer entfernten und künftigen Folge. Stellet man uns die Ameisen, und Bienen; die zimmernde Biber, die Bergmäuse, die Hamster mit ihren vollen Bakken, entgegen, so siehet man, daß ihr ganzer gesammelter Vorrath, nur zur Nah- rung und Fortpflanzung ihrer Art dienen soll, wofern die- ses Hoffen ist, und wofern diese Thiere bei ihrer Ar- beit auf das Künftige sehen.
Dahingegen schliest der Mensch nach Gründen, von der gegenwärtigen Ursache auf die entfernte Folgen, auf
diese
II. Abſchnitt. Der Wille.
zige Nation, die ohne Ehe waͤre; deren beſtaͤndiges Band zugleich eine beſtaͤndige Ergoͤzzung iſt. Nun ſcheinet kein ſicherer Beweis der Weisheit, als die Reizze zu ſein, wel- che uns dasjenige hoͤchſt angenehm machen, was uns zu thun nothwendig iſt.
Es hat der Schmerz viele Dinge mit dem Vergnuͤgen gemein, beides ſind ſtarke Empfindungen, in beiden flieſt das Blut nach dem Theile ſtaͤrker hin, der das Vergnuͤ- gen oder den Schmerz leidet: dieſes laͤſſet ſich durch die Werkzeuge, die den Beiſchlaf verrichten, durch die ge- riebne Augen, und das Reiben der Haut, erlaͤutern.
§. 3. Andre Begierden.
Aus dieſen Reizzen beſtehet gemeiniglich das Leben der Thiere. Sie ſind von der Natur beſtimmt, eine Zeit- lang, und gewiſſe Jahre uͤber, ihren Theil an Futter von Kraͤutern, oder thieriſchen Materien zu verzehren, und ihre Art zu erhalten. Zu dieſem Geſchaͤfte werden ſie vom Schmerz, Hunger, Durſte, und der Wolluſt an- getrieben.
Der Menſch hat dieſes nicht allein mit den Thieren gemein, ſondern er iſt auch noch zu andern Dingen be- ſtimmt, und folglich wird er auch durch andre Reizze be- lebt. Der vornehmſte iſt, wodurch er ſich unterſcheidet, die Hoffnung, und die Betrachtung einer entfernten und kuͤnftigen Folge. Stellet man uns die Ameiſen, und Bienen; die zimmernde Biber, die Bergmaͤuſe, die Hamſter mit ihren vollen Bakken, entgegen, ſo ſiehet man, daß ihr ganzer geſammelter Vorrath, nur zur Nah- rung und Fortpflanzung ihrer Art dienen ſoll, wofern die- ſes Hoffen iſt, und wofern dieſe Thiere bei ihrer Ar- beit auf das Kuͤnftige ſehen.
Dahingegen ſchlieſt der Menſch nach Gruͤnden, von der gegenwaͤrtigen Urſache auf die entfernte Folgen, auf
dieſe
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II. Abſchnitt. Der Wille.
zige Nation, die ohne Ehe waͤre; deren beſtaͤndiges Band
zugleich eine beſtaͤndige Ergoͤzzung iſt. Nun ſcheinet kein
ſicherer Beweis der Weisheit, als die Reizze zu ſein, wel-
che uns dasjenige hoͤchſt angenehm machen, was uns zu
thun nothwendig iſt.
Es hat der Schmerz viele Dinge mit dem Vergnuͤgen
gemein, beides ſind ſtarke Empfindungen, in beiden flieſt
das Blut nach dem Theile ſtaͤrker hin, der das Vergnuͤ-
gen oder den Schmerz leidet: dieſes laͤſſet ſich durch die
Werkzeuge, die den Beiſchlaf verrichten, durch die ge-
riebne Augen, und das Reiben der Haut, erlaͤutern.
§. 3.
Andre Begierden.
Aus dieſen Reizzen beſtehet gemeiniglich das Leben der
Thiere. Sie ſind von der Natur beſtimmt, eine Zeit-
lang, und gewiſſe Jahre uͤber, ihren Theil an Futter von
Kraͤutern, oder thieriſchen Materien zu verzehren, und
ihre Art zu erhalten. Zu dieſem Geſchaͤfte werden ſie
vom Schmerz, Hunger, Durſte, und der Wolluſt an-
getrieben.
Der Menſch hat dieſes nicht allein mit den Thieren
gemein, ſondern er iſt auch noch zu andern Dingen be-
ſtimmt, und folglich wird er auch durch andre Reizze be-
lebt. Der vornehmſte iſt, wodurch er ſich unterſcheidet,
die Hoffnung, und die Betrachtung einer entfernten und
kuͤnftigen Folge. Stellet man uns die Ameiſen, und
Bienen; die zimmernde Biber, die Bergmaͤuſe, die
Hamſter mit ihren vollen Bakken, entgegen, ſo ſiehet
man, daß ihr ganzer geſammelter Vorrath, nur zur Nah-
rung und Fortpflanzung ihrer Art dienen ſoll, wofern die-
ſes Hoffen iſt, und wofern dieſe Thiere bei ihrer Ar-
beit auf das Kuͤnftige ſehen.
Dahingegen ſchlieſt der Menſch nach Gruͤnden, von
der gegenwaͤrtigen Urſache auf die entfernte Folgen, auf
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1133>, abgerufen am 20.11.2024.
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