sanftere Bewegung als im Schmerz, und eine stärkere, als in dem Zustande der Unempfindlichkeit ist. Allein wir können doch nicht bestimmen, warum uns die Farben eines Regenbogens schön bedünken (s**), warum uns ge- wisse auf einander folgende Töne angenehm sind, warum uns der Geruch der Rose besser, als der Geruch der Nesseln, und der Geschmakk des Weins besser, als der eines andern starken Getränkes gefällt. Doch man kann auch nicht mit Grunde sagen, daß das eine geringe Wol- lust ist, wobei die Bewegung in dem empfindenden Ner- ven sanfter geschicht, und eine grosse, wobei sie heftig ist; indem das sanfte Wehen der Luft in der Hizze, oder ein Trunk für einen durstenden Menschen, keine heftig rüh- rende Sache ist. Man findet ein grosses Vergnügen, sich beim Jukken zu krazzen, und dennoch schmerzet es nach dem Krazzen noch mehr (t). Doch es läst sich auch hier nicht sagen, warum die Wollust der Verliebten, bei der ganze Glieder zittern und in Krampf gesezzt werden, mit dem Vergnügen verbunden ist; indem alles andre Zittern, und jeder andre Krampf nichts angenehmes bei sich hat (u).
Eine kleine Wollust ist unserm Körper zuträglich, eine grosse zerstört hingegen denselben. So sterben fast alle männliche Jnsekten nach der Begattung, und es sind auch einige Menschen in diesem Zustande umgekommen, so wie die mehresten eine Zeitlang träge werden, und es auf keinerlei Weise ertragen würden, wenn sie solches län- ger fortsezzen wollten.
Hier hat die Wollust, mit den übrigen Krämpfen, gleiche Folge.
Wir
(s**)[Spaltenumbruch]
Auch Blindgebohrne, zie- hen nach erhaltnem Gesichte, die Scharlachfarbe vor, besiehe davon die Histoire de la Chir. III. p. 115. Iourn. de Med. Iuin. 1762.
(t) Daß es Jnsekten sind, die das Julken verursachen, und die zugleich im Mehle wohuen. LINN [Spaltenumbruch]
mirac. insect. p. 20. nach Hyacin- thi CESTONI Entdekkungen. GIORN di Letter d'ltal. T. IX. p. 35. VALISNERI T. III. p. 431.
(u) Die Wollust entsteht von schnellen Schwingungen, die aber nicht gar zu schnell geschehen müs- sen. BONNET p. 91.
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II. Abſchnitt. Der Wille.
ſanftere Bewegung als im Schmerz, und eine ſtaͤrkere, als in dem Zuſtande der Unempfindlichkeit iſt. Allein wir koͤnnen doch nicht beſtimmen, warum uns die Farben eines Regenbogens ſchoͤn beduͤnken (s**), warum uns ge- wiſſe auf einander folgende Toͤne angenehm ſind, warum uns der Geruch der Roſe beſſer, als der Geruch der Neſſeln, und der Geſchmakk des Weins beſſer, als der eines andern ſtarken Getraͤnkes gefaͤllt. Doch man kann auch nicht mit Grunde ſagen, daß das eine geringe Wol- luſt iſt, wobei die Bewegung in dem empfindenden Ner- ven ſanfter geſchicht, und eine groſſe, wobei ſie heftig iſt; indem das ſanfte Wehen der Luft in der Hizze, oder ein Trunk fuͤr einen durſtenden Menſchen, keine heftig ruͤh- rende Sache iſt. Man findet ein groſſes Vergnuͤgen, ſich beim Jukken zu krazzen, und dennoch ſchmerzet es nach dem Krazzen noch mehr (t). Doch es laͤſt ſich auch hier nicht ſagen, warum die Wolluſt der Verliebten, bei der ganze Glieder zittern und in Krampf geſezzt werden, mit dem Vergnuͤgen verbunden iſt; indem alles andre Zittern, und jeder andre Krampf nichts angenehmes bei ſich hat (u).
Eine kleine Wolluſt iſt unſerm Koͤrper zutraͤglich, eine groſſe zerſtoͤrt hingegen denſelben. So ſterben faſt alle maͤnnliche Jnſekten nach der Begattung, und es ſind auch einige Menſchen in dieſem Zuſtande umgekommen, ſo wie die mehreſten eine Zeitlang traͤge werden, und es auf keinerlei Weiſe ertragen wuͤrden, wenn ſie ſolches laͤn- ger fortſezzen wollten.
Hier hat die Wolluſt, mit den uͤbrigen Kraͤmpfen, gleiche Folge.
Wir
(s**)[Spaltenumbruch]
Auch Blindgebohrne, zie- hen nach erhaltnem Geſichte, die Scharlachfarbe vor, beſiehe davon die Hiſtoire de la Chir. III. p. 115. Iourn. de Méd. Iuin. 1762.
(t) Daß es Jnſekten ſind, die das Julken verurſachen, und die zugleich im Mehle wohuen. LINN [Spaltenumbruch]
mirac. inſect. p. 20. nach Hyacin- thi CESTONI Entdekkungen. GIORN di Letter d’ltal. T. IX. p. 35. VALISNERI T. III. p. 431.
(u) Die Wolluſt entſteht von ſchnellen Schwingungen, die aber nicht gar zu ſchnell geſchehen muͤſ- ſen. BONNET p. 91.
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II. Abſchnitt. Der Wille.
ſanftere Bewegung als im Schmerz, und eine ſtaͤrkere,
als in dem Zuſtande der Unempfindlichkeit iſt. Allein
wir koͤnnen doch nicht beſtimmen, warum uns die Farben
eines Regenbogens ſchoͤn beduͤnken (s**), warum uns ge-
wiſſe auf einander folgende Toͤne angenehm ſind, warum
uns der Geruch der Roſe beſſer, als der Geruch der
Neſſeln, und der Geſchmakk des Weins beſſer, als der
eines andern ſtarken Getraͤnkes gefaͤllt. Doch man kann
auch nicht mit Grunde ſagen, daß das eine geringe Wol-
luſt iſt, wobei die Bewegung in dem empfindenden Ner-
ven ſanfter geſchicht, und eine groſſe, wobei ſie heftig iſt;
indem das ſanfte Wehen der Luft in der Hizze, oder ein
Trunk fuͤr einen durſtenden Menſchen, keine heftig ruͤh-
rende Sache iſt. Man findet ein groſſes Vergnuͤgen,
ſich beim Jukken zu krazzen, und dennoch ſchmerzet es nach
dem Krazzen noch mehr (t). Doch es laͤſt ſich auch hier
nicht ſagen, warum die Wolluſt der Verliebten, bei der
ganze Glieder zittern und in Krampf geſezzt werden, mit
dem Vergnuͤgen verbunden iſt; indem alles andre Zittern,
und jeder andre Krampf nichts angenehmes bei ſich
hat (u).
Eine kleine Wolluſt iſt unſerm Koͤrper zutraͤglich, eine
groſſe zerſtoͤrt hingegen denſelben. So ſterben faſt alle
maͤnnliche Jnſekten nach der Begattung, und es ſind
auch einige Menſchen in dieſem Zuſtande umgekommen,
ſo wie die mehreſten eine Zeitlang traͤge werden, und es
auf keinerlei Weiſe ertragen wuͤrden, wenn ſie ſolches laͤn-
ger fortſezzen wollten.
Hier hat die Wolluſt, mit den uͤbrigen Kraͤmpfen,
gleiche Folge.
Wir
(s**)
Auch Blindgebohrne, zie-
hen nach erhaltnem Geſichte, die
Scharlachfarbe vor, beſiehe davon
die Hiſtoire de la Chir. III. p. 115.
Iourn. de Méd. Iuin. 1762.
(t) Daß es Jnſekten ſind, die
das Julken verurſachen, und die
zugleich im Mehle wohuen. LINN
mirac. inſect. p. 20. nach Hyacin-
thi CESTONI Entdekkungen.
GIORN di Letter d’ltal. T. IX.
p. 35. VALISNERI T. III. p. 431.
(u) Die Wolluſt entſteht von
ſchnellen Schwingungen, die aber
nicht gar zu ſchnell geſchehen muͤſ-
ſen. BONNET p. 91.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1131>, abgerufen am 23.11.2024.
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