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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Der Verstand. XVII. Buch.
in Wasser (z), wodurch man auch die Trunkenheit plözzlich
heben kann (a). Andre haben durch harte und tägliche Arbeit
(b) die Gesundheit des Gemüths wieder erlangt. Nicht
selten werden Kranke vor dem Tode gesund, und sie er-
langen ihr Gedächtnis und gesunden Verstand wieder (c),
vielleicht durch diejenige Schwachheit, welche in der gan-
zen Maschine überhand nimmt. Selbst die Beizfalken,
verlieren, wenn sie frische Federn bekommen, aus Schwach-
heit, ihre Raserei, und wollen nun keine Reiher mehr
verfolgen (d).

Welche wegen einer falschen Jdee, die sie für wahr
annehmen, wahnwizzig sind, lassen sich durch keine Ver-
nunftschlüsse bessern. Es kann die Empfindung nie durch
Zeichen überwältigt werden, so wenig als die Jdee, wel-
che eben so stark, als die Empfindung ist. Jch erinnere
mich noch, da ich ein schlimmes Frieselfieber hatte, daß
ich in Phantasien verfallen, wenn man mir ein warmes
Dekokt zu trinken gab, und ich bildete mir dann ein, wie
ich mich noch wohl erinnere, daß es bei hellem Tage fin-
ster sei, und ich mich in dieser Finsternis befände. Jch
sezzte mich kraft der noch rükkständigen Vernunft, wider
diesen Jrrthum, und befahl Lichter anzuzünden, doch konn-
te ich mir nicht diese Jdee von Dunkelheit aus dem Sinne
schlagen, ob ich gleich übrigens ohne Phantasie war.
Eben so kann die Seele öfters nicht das Ohrenklingen von
dem wirklichen Klange der Glokken unterscheiden.

Die Unsinnigen, und in einem einzigen Stükke, Wahn-
wizzigen, werden oft mit einmal wieder gesund, wenn sie
durch eine augenscheinliche Empfindung entweder wirklich
von ihrem Jrrthum überzeugt werden, oder wenn ihnen we-
nigstens doch eine neue Jdee, die eben so stark ist, beigebracht

wird,
(z) [Spaltenumbruch] HELMONT hom. & morb.
p. 33. parad discurs. p. 77. GAU-
BII sermo. p.
107.
(a) Eph. Nat. Cur. Dec. I. ann.
2. obs.
217.
(b) [Spaltenumbruch] SANCASSANI l. c.
(c) BEHRENS consider. anim.
p 55. FONTAN. anal. p.
17.
(d) Hamburg. Magaz. T. V.
pag.
156.

Der Verſtand. XVII. Buch.
in Waſſer (z), wodurch man auch die Trunkenheit ploͤzzlich
heben kann (a). Andre haben durch harte und taͤgliche Arbeit
(b) die Geſundheit des Gemuͤths wieder erlangt. Nicht
ſelten werden Kranke vor dem Tode geſund, und ſie er-
langen ihr Gedaͤchtnis und geſunden Verſtand wieder (c),
vielleicht durch diejenige Schwachheit, welche in der gan-
zen Maſchine uͤberhand nimmt. Selbſt die Beizfalken,
verlieren, wenn ſie friſche Federn bekommen, aus Schwach-
heit, ihre Raſerei, und wollen nun keine Reiher mehr
verfolgen (d).

Welche wegen einer falſchen Jdee, die ſie fuͤr wahr
annehmen, wahnwizzig ſind, laſſen ſich durch keine Ver-
nunftſchluͤſſe beſſern. Es kann die Empfindung nie durch
Zeichen uͤberwaͤltigt werden, ſo wenig als die Jdee, wel-
che eben ſo ſtark, als die Empfindung iſt. Jch erinnere
mich noch, da ich ein ſchlimmes Frieſelfieber hatte, daß
ich in Phantaſien verfallen, wenn man mir ein warmes
Dekokt zu trinken gab, und ich bildete mir dann ein, wie
ich mich noch wohl erinnere, daß es bei hellem Tage fin-
ſter ſei, und ich mich in dieſer Finſternis befaͤnde. Jch
ſezzte mich kraft der noch ruͤkkſtaͤndigen Vernunft, wider
dieſen Jrrthum, und befahl Lichter anzuzuͤnden, doch konn-
te ich mir nicht dieſe Jdee von Dunkelheit aus dem Sinne
ſchlagen, ob ich gleich uͤbrigens ohne Phantaſie war.
Eben ſo kann die Seele oͤfters nicht das Ohrenklingen von
dem wirklichen Klange der Glokken unterſcheiden.

Die Unſinnigen, und in einem einzigen Stuͤkke, Wahn-
wizzigen, werden oft mit einmal wieder geſund, wenn ſie
durch eine augenſcheinliche Empfindung entweder wirklich
von ihrem Jrrthum uͤberzeugt werden, oder wenn ihnen we-
nigſtens doch eine neue Jdee, die eben ſo ſtark iſt, beigebracht

wird,
(z) [Spaltenumbruch] HELMONT hom. & morb.
p. 33. parad diſcurſ. p. 77. GAU-
BII ſermo. p.
107.
(a) Eph. Nat. Cur. Dec. I. ann.
2. obſ.
217.
(b) [Spaltenumbruch] SANCASSANI l. c.
(c) BEHRENS conſider. anim.
p 55. FONTAN. anal. p.
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(d) Hamburg. Magaz. T. V.
pag.
156.
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[1102/1120] Der Verſtand. XVII. Buch. in Waſſer (z), wodurch man auch die Trunkenheit ploͤzzlich heben kann (a). Andre haben durch harte und taͤgliche Arbeit (b) die Geſundheit des Gemuͤths wieder erlangt. Nicht ſelten werden Kranke vor dem Tode geſund, und ſie er- langen ihr Gedaͤchtnis und geſunden Verſtand wieder (c), vielleicht durch diejenige Schwachheit, welche in der gan- zen Maſchine uͤberhand nimmt. Selbſt die Beizfalken, verlieren, wenn ſie friſche Federn bekommen, aus Schwach- heit, ihre Raſerei, und wollen nun keine Reiher mehr verfolgen (d). Welche wegen einer falſchen Jdee, die ſie fuͤr wahr annehmen, wahnwizzig ſind, laſſen ſich durch keine Ver- nunftſchluͤſſe beſſern. Es kann die Empfindung nie durch Zeichen uͤberwaͤltigt werden, ſo wenig als die Jdee, wel- che eben ſo ſtark, als die Empfindung iſt. Jch erinnere mich noch, da ich ein ſchlimmes Frieſelfieber hatte, daß ich in Phantaſien verfallen, wenn man mir ein warmes Dekokt zu trinken gab, und ich bildete mir dann ein, wie ich mich noch wohl erinnere, daß es bei hellem Tage fin- ſter ſei, und ich mich in dieſer Finſternis befaͤnde. Jch ſezzte mich kraft der noch ruͤkkſtaͤndigen Vernunft, wider dieſen Jrrthum, und befahl Lichter anzuzuͤnden, doch konn- te ich mir nicht dieſe Jdee von Dunkelheit aus dem Sinne ſchlagen, ob ich gleich uͤbrigens ohne Phantaſie war. Eben ſo kann die Seele oͤfters nicht das Ohrenklingen von dem wirklichen Klange der Glokken unterſcheiden. Die Unſinnigen, und in einem einzigen Stuͤkke, Wahn- wizzigen, werden oft mit einmal wieder geſund, wenn ſie durch eine augenſcheinliche Empfindung entweder wirklich von ihrem Jrrthum uͤberzeugt werden, oder wenn ihnen we- nigſtens doch eine neue Jdee, die eben ſo ſtark iſt, beigebracht wird, (z) HELMONT hom. & morb. p. 33. parad diſcurſ. p. 77. GAU- BII ſermo. p. 107. (a) Eph. Nat. Cur. Dec. I. ann. 2. obſ. 217. (b) SANCASSANI l. c. (c) BEHRENS conſider. anim. p 55. FONTAN. anal. p. 17. (d) Hamburg. Magaz. T. V. pag. 156.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1120>, abgerufen am 23.11.2024.