mit angesehen, und wobei kein Jrrthum überhaupt zu gegen war; aber doch die zu grosse Munterkeit der Jdeen, wilde und grausame Handlungen veranlaste, von welcher Art ich jezzo eine Person im Gefängnisse habe, die aus Begierde zur Rache wüthend ist (e).
Dennoch ist auch in dieser Klasse überhaupt der noth- wendige Zusammenhang der Jdeen unterbrochen, und man kann solches in den erbärmlichen Gräbern gewahr werden, wo man lebendige Menschen einschliest, die ih- ren Verstand verlohren, oder von Sinnen gekommen. Man siehet wie diese von einer Jdee, auf eine andre höchst ungereimte (f) verfallen, die mit der ersten in gar keiner Verbindung steht, und keine Vergleichung leidet, folg- lich wo gar keine Beurtheilung, kein Vernunftschluß, und keine Verbindung des Künftigen mit dem Gegen- wärtigen statt findet.
Eine andre Art von Tollen, legt sich einen falschen Sazz zum Grunde, und leitet daraus überhaupt Schlüsse her, die natürlich daraus folgen würden, aber zugleich mit ihrem Grundsazze nichtig sind. Es kömmt diese Art häufig vor, und solche Leute sind durch eine, in den Aber- glauben ausgeartete Andacht, durch eine übermäßige furchtsame Begierde nach einem andern Leben (f*), durch eine unglükkliche Liebe, durch ein Schikksal, welches sich nicht nach ihrem Ehrgeize bequemen will, durch eine ver- gebliche Rachgierde, durch unzeitige Meditationen, an irgend eine Jdee (g) so gebunden, daß dieselbe immer wie- der aufsteigt, und sich dergestalt in die Seele einschleicht, daß die Seele dieselbe mit Gewalt glauben mus (h), als
sonst
(e)[Spaltenumbruch]MONRO on madness. p. 7.
(f) Dieses scheint zu glauben, MURATORI l. c. p. 93.
(f*) Vom Lesen medicinischer Bücher, entfland Furchtsamkeit, Melancholie, und Wuth: TULP L. IV. c. 54.
(g)Melancholia ost atumii epi min fantasin ARETAEUS diut l. c. [Spaltenumbruch]
5 add. CHEYNE sanit infirm. p. 185. LALLEMANT mecant des pass. p. 142. TRALLES vir. opii IV p. 49. Conf. CORNACHINI della Pazzia pag. 27. QUESNAI des fievres p. 184.
(h)p. 543. NICOLAI phantas. pag 105.
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I. Abſchnitt. Der Verſtand.
mit angeſehen, und wobei kein Jrrthum uͤberhaupt zu gegen war; aber doch die zu groſſe Munterkeit der Jdeen, wilde und grauſame Handlungen veranlaſte, von welcher Art ich jezzo eine Perſon im Gefaͤngniſſe habe, die aus Begierde zur Rache wuͤthend iſt (e).
Dennoch iſt auch in dieſer Klaſſe uͤberhaupt der noth- wendige Zuſammenhang der Jdeen unterbrochen, und man kann ſolches in den erbaͤrmlichen Graͤbern gewahr werden, wo man lebendige Menſchen einſchlieſt, die ih- ren Verſtand verlohren, oder von Sinnen gekommen. Man ſiehet wie dieſe von einer Jdee, auf eine andre hoͤchſt ungereimte (f) verfallen, die mit der erſten in gar keiner Verbindung ſteht, und keine Vergleichung leidet, folg- lich wo gar keine Beurtheilung, kein Vernunftſchluß, und keine Verbindung des Kuͤnftigen mit dem Gegen- waͤrtigen ſtatt findet.
Eine andre Art von Tollen, legt ſich einen falſchen Sazz zum Grunde, und leitet daraus uͤberhaupt Schluͤſſe her, die natuͤrlich daraus folgen wuͤrden, aber zugleich mit ihrem Grundſazze nichtig ſind. Es koͤmmt dieſe Art haͤufig vor, und ſolche Leute ſind durch eine, in den Aber- glauben ausgeartete Andacht, durch eine uͤbermaͤßige furchtſame Begierde nach einem andern Leben (f*), durch eine ungluͤkkliche Liebe, durch ein Schikkſal, welches ſich nicht nach ihrem Ehrgeize bequemen will, durch eine ver- gebliche Rachgierde, durch unzeitige Meditationen, an irgend eine Jdee (g) ſo gebunden, daß dieſelbe immer wie- der aufſteigt, und ſich dergeſtalt in die Seele einſchleicht, daß die Seele dieſelbe mit Gewalt glauben mus (h), als
ſonſt
(e)[Spaltenumbruch]MONRO on madneſſ. p. 7.
(f) Dieſes ſcheint zu glauben, MURATORI l. c. p. 93.
(f*) Vom Leſen mediciniſcher Buͤcher, entfland Furchtſamkeit, Melancholie, und Wuth: TULP L. IV. c. 54.
(g)Melancholia oſt atumii epi min fantaſin ARETÆUS diut l. c. [Spaltenumbruch]
5 add. CHEYNE ſanit infirm. p. 185. LALLEMANT mécant des paſſ. p. 142. TRALLES vir. opii IV p. 49. Conf. CORNACHINI della Pazzia pag. 27. QUESNAI des fievres p. 184.
(h)p. 543. NICOLAI phantaſ. pag 105.
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I. Abſchnitt. Der Verſtand.
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gegen war; aber doch die zu groſſe Munterkeit der Jdeen,
wilde und grauſame Handlungen veranlaſte, von welcher
Art ich jezzo eine Perſon im Gefaͤngniſſe habe, die aus
Begierde zur Rache wuͤthend iſt (e).
Dennoch iſt auch in dieſer Klaſſe uͤberhaupt der noth-
wendige Zuſammenhang der Jdeen unterbrochen, und
man kann ſolches in den erbaͤrmlichen Graͤbern gewahr
werden, wo man lebendige Menſchen einſchlieſt, die ih-
ren Verſtand verlohren, oder von Sinnen gekommen.
Man ſiehet wie dieſe von einer Jdee, auf eine andre hoͤchſt
ungereimte (f) verfallen, die mit der erſten in gar keiner
Verbindung ſteht, und keine Vergleichung leidet, folg-
lich wo gar keine Beurtheilung, kein Vernunftſchluß,
und keine Verbindung des Kuͤnftigen mit dem Gegen-
waͤrtigen ſtatt findet.
Eine andre Art von Tollen, legt ſich einen falſchen
Sazz zum Grunde, und leitet daraus uͤberhaupt Schluͤſſe
her, die natuͤrlich daraus folgen wuͤrden, aber zugleich
mit ihrem Grundſazze nichtig ſind. Es koͤmmt dieſe Art
haͤufig vor, und ſolche Leute ſind durch eine, in den Aber-
glauben ausgeartete Andacht, durch eine uͤbermaͤßige
furchtſame Begierde nach einem andern Leben (f*), durch
eine ungluͤkkliche Liebe, durch ein Schikkſal, welches ſich
nicht nach ihrem Ehrgeize bequemen will, durch eine ver-
gebliche Rachgierde, durch unzeitige Meditationen, an
irgend eine Jdee (g) ſo gebunden, daß dieſelbe immer wie-
der aufſteigt, und ſich dergeſtalt in die Seele einſchleicht,
daß die Seele dieſelbe mit Gewalt glauben mus (h), als
ſonſt
(e)
MONRO on madneſſ. p. 7.
(f) Dieſes ſcheint zu glauben,
MURATORI l. c. p. 93.
(f*) Vom Leſen mediciniſcher
Buͤcher, entfland Furchtſamkeit,
Melancholie, und Wuth: TULP
L. IV. c. 54.
(g) Melancholia oſt atumii epi
min fantaſin ARETÆUS diut l. c.
5 add. CHEYNE ſanit infirm. p.
185. LALLEMANT mécant des
paſſ. p. 142. TRALLES vir. opii
IV p. 49. Conf. CORNACHINI
della Pazzia pag. 27. QUESNAI
des fievres p. 184.
(h) p. 543. NICOLAI phantaſ.
pag 105.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1097. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1115>, abgerufen am 23.11.2024.
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