Ein andrer Quell der Jrrthümer ist eben so willkür- lich, nämlich der sich auf das Ansehn andrer verläst. Dieses Vergehen ist heut zu Tage nicht mehr so herrschend, als ehedem, allein doch noch nicht völlig ausser Mode ge- kommen. Boerhaave, den sie verehren, sagt so und so; folglich ist es wahr. Sie thun daran Recht, daß sie diesen Mann lieb haben, indem niemals ein Lehrer mehr verdient hat, seinen Schülern werth zu sein, als dieser: er war aber ein Mensch, und man mus seinen güldnen Mund nicht hören, sondern es verlangt derselbe blos von uns den Beifall. Sie hassen den Stahl einen hizzigen Mann, der sich weder durch seinen Vortrag, noch durch die beständige Verachtung aller derer beliebt zu machen weis, welche er anführt, und denen er sich ganz allein entgegen stellt. Und dennoch sagt Stahl nicht selten die Wahrheit, und oft sehr nüzzliche Wahrheiten.
Auf solche Art entstehen oft aus dem Obigen schlim- me Partheien, und diese finden endlich eine Fortdauer in der Folge der Zeit.
§. 16. Die Raserei.
Wir irren im gesunden Zustande, weil wir betrogen sein wollen. Allein, wenn der Körper von anderer Be- schaffenheit ist, so ist es unvermeidlich, auf die schreklich- ste Jrrthümer zu gerathen: und hiervon mus ich eine kurze Erwähnung thun.
Hieran ist nun gemeiniglich eine schnelle Bewegung des Blutes nach dem Gehirn Schuld (q), es mag solches vom starken Weingeiste (r), und dieses ist der gewöhn- lichste Fall, oder von den Walddämpfen der Spaawas- ser (s); oder von hizzigen Arzneimitteln (t); von reinem
oder
(q)[Spaltenumbruch]HALES haemast. p. 137.
(r)CARTHEUSER mat. med. Sect. XI. BARON über den LE- MERY chem. p. 689.
(s)[Spaltenumbruch]Geronster HEERS P. 14. Sau- veneire le PRESSEUX p. 2. Alt- wasser primit. Polon. II. p. 235.
(t)VALISNERI T. II. p. 272.
Z z z 4
I. Abſchnitt. Der Verſtand.
Ein andrer Quell der Jrrthuͤmer iſt eben ſo willkuͤr- lich, naͤmlich der ſich auf das Anſehn andrer verlaͤſt. Dieſes Vergehen iſt heut zu Tage nicht mehr ſo herrſchend, als ehedem, allein doch noch nicht voͤllig auſſer Mode ge- kommen. Boerhaave, den ſie verehren, ſagt ſo und ſo; folglich iſt es wahr. Sie thun daran Recht, daß ſie dieſen Mann lieb haben, indem niemals ein Lehrer mehr verdient hat, ſeinen Schuͤlern werth zu ſein, als dieſer: er war aber ein Menſch, und man mus ſeinen guͤldnen Mund nicht hoͤren, ſondern es verlangt derſelbe blos von uns den Beifall. Sie haſſen den Stahl einen hizzigen Mann, der ſich weder durch ſeinen Vortrag, noch durch die beſtaͤndige Verachtung aller derer beliebt zu machen weis, welche er anfuͤhrt, und denen er ſich ganz allein entgegen ſtellt. Und dennoch ſagt Stahl nicht ſelten die Wahrheit, und oft ſehr nuͤzzliche Wahrheiten.
Auf ſolche Art entſtehen oft aus dem Obigen ſchlim- me Partheien, und dieſe finden endlich eine Fortdauer in der Folge der Zeit.
§. 16. Die Raſerei.
Wir irren im geſunden Zuſtande, weil wir betrogen ſein wollen. Allein, wenn der Koͤrper von anderer Be- ſchaffenheit iſt, ſo iſt es unvermeidlich, auf die ſchreklich- ſte Jrrthuͤmer zu gerathen: und hiervon mus ich eine kurze Erwaͤhnung thun.
Hieran iſt nun gemeiniglich eine ſchnelle Bewegung des Blutes nach dem Gehirn Schuld (q), es mag ſolches vom ſtarken Weingeiſte (r), und dieſes iſt der gewoͤhn- lichſte Fall, oder von den Walddaͤmpfen der Spaawaſ- ſer (s); oder von hizzigen Arzneimitteln (t); von reinem
oder
(q)[Spaltenumbruch]HALES hæmaſt. p. 137.
(r)CARTHEUSER mat. med. Sect. XI. BARON uͤber den LE- MERY chem. p. 689.
(s)[Spaltenumbruch]Geronſter HEERS P. 14. Sau- veneire le PRESSEUX p. 2. Alt- waſſer primit. Polon. II. p. 235.
(t)VALISNERI T. II. p. 272.
Z z z 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f1113"n="1095"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">I.</hi> Abſchnitt. Der Verſtand.</hi></fw><lb/><p>Ein andrer Quell der Jrrthuͤmer iſt eben ſo willkuͤr-<lb/>
lich, naͤmlich der ſich auf das Anſehn andrer verlaͤſt.<lb/>
Dieſes Vergehen iſt heut zu Tage nicht mehr ſo herrſchend,<lb/>
als ehedem, allein doch noch nicht voͤllig auſſer Mode ge-<lb/>
kommen. <hirendition="#fr">Boerhaave,</hi> den ſie verehren, ſagt ſo und<lb/>ſo; folglich iſt es wahr. Sie thun daran Recht, daß ſie<lb/>
dieſen Mann lieb haben, indem niemals ein Lehrer mehr<lb/>
verdient hat, ſeinen Schuͤlern werth zu ſein, als dieſer:<lb/>
er war aber ein Menſch, und man mus ſeinen guͤldnen<lb/>
Mund nicht hoͤren, ſondern es verlangt derſelbe blos von<lb/>
uns den Beifall. Sie haſſen den <hirendition="#fr">Stahl</hi> einen hizzigen<lb/>
Mann, der ſich weder durch ſeinen Vortrag, noch durch<lb/>
die beſtaͤndige Verachtung aller derer beliebt zu machen<lb/>
weis, welche er anfuͤhrt, und denen er ſich ganz allein<lb/>
entgegen ſtellt. Und dennoch ſagt <hirendition="#fr">Stahl</hi> nicht ſelten die<lb/>
Wahrheit, und oft ſehr nuͤzzliche Wahrheiten.</p><lb/><p>Auf ſolche Art entſtehen oft aus dem Obigen ſchlim-<lb/>
me Partheien, und dieſe finden endlich eine Fortdauer in<lb/>
der Folge der Zeit.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">§. 16.<lb/><hirendition="#g">Die Raſerei.</hi></hi></head><lb/><p>Wir irren im geſunden Zuſtande, weil wir betrogen<lb/>ſein wollen. Allein, wenn der Koͤrper von anderer Be-<lb/>ſchaffenheit iſt, ſo iſt es unvermeidlich, auf die ſchreklich-<lb/>ſte Jrrthuͤmer zu gerathen: und hiervon mus ich eine kurze<lb/>
Erwaͤhnung thun.</p><lb/><p>Hieran iſt nun gemeiniglich eine ſchnelle Bewegung<lb/>
des Blutes nach dem Gehirn Schuld <noteplace="foot"n="(q)"><cb/><hirendition="#aq">HALES hæmaſt. p.</hi> 137.</note>, es mag ſolches<lb/>
vom ſtarken Weingeiſte <noteplace="foot"n="(r)"><hirendition="#aq">CARTHEUSER mat. med.<lb/>
Sect. XI. BARON</hi> uͤber den <hirendition="#aq">LE-<lb/>
MERY chem. p.</hi> 689.</note>, und dieſes iſt der gewoͤhn-<lb/>
lichſte Fall, oder von den Walddaͤmpfen der Spaawaſ-<lb/>ſer <noteplace="foot"n="(s)"><cb/><hirendition="#aq">Geronſter HEERS P. 14. Sau-<lb/>
veneire le PRESSEUX p. 2. Alt-<lb/>
waſſer primit. Polon. II. p.</hi> 235.</note>; oder von hizzigen Arzneimitteln <noteplace="foot"n="(t)"><hirendition="#aq">VALISNERI T. II. p.</hi> 272.</note>; von reinem<lb/><fwplace="bottom"type="sig">Z z z 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">oder</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[1095/1113]
I. Abſchnitt. Der Verſtand.
Ein andrer Quell der Jrrthuͤmer iſt eben ſo willkuͤr-
lich, naͤmlich der ſich auf das Anſehn andrer verlaͤſt.
Dieſes Vergehen iſt heut zu Tage nicht mehr ſo herrſchend,
als ehedem, allein doch noch nicht voͤllig auſſer Mode ge-
kommen. Boerhaave, den ſie verehren, ſagt ſo und
ſo; folglich iſt es wahr. Sie thun daran Recht, daß ſie
dieſen Mann lieb haben, indem niemals ein Lehrer mehr
verdient hat, ſeinen Schuͤlern werth zu ſein, als dieſer:
er war aber ein Menſch, und man mus ſeinen guͤldnen
Mund nicht hoͤren, ſondern es verlangt derſelbe blos von
uns den Beifall. Sie haſſen den Stahl einen hizzigen
Mann, der ſich weder durch ſeinen Vortrag, noch durch
die beſtaͤndige Verachtung aller derer beliebt zu machen
weis, welche er anfuͤhrt, und denen er ſich ganz allein
entgegen ſtellt. Und dennoch ſagt Stahl nicht ſelten die
Wahrheit, und oft ſehr nuͤzzliche Wahrheiten.
Auf ſolche Art entſtehen oft aus dem Obigen ſchlim-
me Partheien, und dieſe finden endlich eine Fortdauer in
der Folge der Zeit.
§. 16.
Die Raſerei.
Wir irren im geſunden Zuſtande, weil wir betrogen
ſein wollen. Allein, wenn der Koͤrper von anderer Be-
ſchaffenheit iſt, ſo iſt es unvermeidlich, auf die ſchreklich-
ſte Jrrthuͤmer zu gerathen: und hiervon mus ich eine kurze
Erwaͤhnung thun.
Hieran iſt nun gemeiniglich eine ſchnelle Bewegung
des Blutes nach dem Gehirn Schuld (q), es mag ſolches
vom ſtarken Weingeiſte (r), und dieſes iſt der gewoͤhn-
lichſte Fall, oder von den Walddaͤmpfen der Spaawaſ-
ſer (s); oder von hizzigen Arzneimitteln (t); von reinem
oder
(q)
HALES hæmaſt. p. 137.
(r) CARTHEUSER mat. med.
Sect. XI. BARON uͤber den LE-
MERY chem. p. 689.
(s)
Geronſter HEERS P. 14. Sau-
veneire le PRESSEUX p. 2. Alt-
waſſer primit. Polon. II. p. 235.
(t) VALISNERI T. II. p. 272.
Z z z 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1095. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1113>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.