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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

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Der Verstand. XVII. Buch.
Ohren bringen kann, und es fällt uns schwer zu unter-
scheiden, ob man wirklich Glokken höre, oder ob die hin-
terlassne Spuren im Gehirne eben diesen Ton nachklingen.

Wenn überhaupt eine Empfindung eine sehr lebhafte
Spur von sich hinterläst, so kann diese so stark, als eine
neue Empfindung (e), und eben so sinnlich (f) werden,
man kann sie ebenfalls für einen so wirklichen Eindrukk
eines äusserlichen Objects halten, als man einen durch die
Sinne eingedrungenen Eindrukk für was wirkliches hält.
Hieher sind die Gesichte zu rechnen. Dahin gehören die
Flammen, welche in fieberhaften Personen der Seele vor
Gesichte schweben; hieher gehöret der Schwindel, da
man gleichsam fallen will; und hieher sind die trüglichen
Jdeen der Schwermüthigen (g) zu ziehen, die sie, wenn
sie gleich ihres Jrrthums bewust sind, dennoch nicht los
werden können. Hieher gehören auch noch die Bilder,
die wir in den Träumen sehen, und denen wir gemeinig-
lich unsren Beifall nicht versagen können.

Dergleichen Lebhaftigkeit rühret aber sonderlich von der
Wiederholung her (h). Kinder lernen (i) ihre Lektionen
auswendig hersagen, wenn sie selbige oft überlesen. Wir
erkennen Menschen, die wir oft ansehen. Es scheinet
eine jegliche Empfindung, die erste Spur gleichsam immer
etwas tiefer einzudrükken, doch ich verstehe durch diese
Worte nicht eine wirkliche Furche und einige Einschnitte,
sondern eine unbekannte auf das Gehirn gemachte Ope-
ration, wodurch die Empfindung lebhafter, und dauer-
hafter wird. Dieses ist aber einerlei, es mag sich die
Seele auf eine Empfindung wieder besinnen, oder sie mag

von
(e) [Spaltenumbruch] Schwach nach dem Wolf.
Psycholog. Empir. p.
58. Giebt
einer starken nicht nach.
(f) NICOLAI Einbild. &c. p.
27. HARTLEY prop
14.
(g) Zod. Med. Gall ann. IV.
m. Mart. MEAD de venen. p 33.
34. BOERHAAVE
nennt es eine
[Spaltenumbruch] zwote Einbildungskraft. Praelect.
T. IV. p. 470. n. 533. ROBINSON
of the splean. p.
186. 187.
(h) NICOLA[verlorenes Material - 1 Zeichen fehlt] l. c. HARTLEY
p. 397 Elem. de psychologie p.
19. Add. LALLEMANT. mecan.
des pass. p.
142.
(i) Conf. HOOKE p. 145.

Der Verſtand. XVII. Buch.
Ohren bringen kann, und es faͤllt uns ſchwer zu unter-
ſcheiden, ob man wirklich Glokken hoͤre, oder ob die hin-
terlaſſne Spuren im Gehirne eben dieſen Ton nachklingen.

Wenn uͤberhaupt eine Empfindung eine ſehr lebhafte
Spur von ſich hinterlaͤſt, ſo kann dieſe ſo ſtark, als eine
neue Empfindung (e), und eben ſo ſinnlich (f) werden,
man kann ſie ebenfalls fuͤr einen ſo wirklichen Eindrukk
eines aͤuſſerlichen Objects halten, als man einen durch die
Sinne eingedrungenen Eindrukk fuͤr was wirkliches haͤlt.
Hieher ſind die Geſichte zu rechnen. Dahin gehoͤren die
Flammen, welche in fieberhaften Perſonen der Seele vor
Geſichte ſchweben; hieher gehoͤret der Schwindel, da
man gleichſam fallen will; und hieher ſind die truͤglichen
Jdeen der Schwermuͤthigen (g) zu ziehen, die ſie, wenn
ſie gleich ihres Jrrthums bewuſt ſind, dennoch nicht los
werden koͤnnen. Hieher gehoͤren auch noch die Bilder,
die wir in den Traͤumen ſehen, und denen wir gemeinig-
lich unſren Beifall nicht verſagen koͤnnen.

Dergleichen Lebhaftigkeit ruͤhret aber ſonderlich von der
Wiederholung her (h). Kinder lernen (i) ihre Lektionen
auswendig herſagen, wenn ſie ſelbige oft uͤberleſen. Wir
erkennen Menſchen, die wir oft anſehen. Es ſcheinet
eine jegliche Empfindung, die erſte Spur gleichſam immer
etwas tiefer einzudruͤkken, doch ich verſtehe durch dieſe
Worte nicht eine wirkliche Furche und einige Einſchnitte,
ſondern eine unbekannte auf das Gehirn gemachte Ope-
ration, wodurch die Empfindung lebhafter, und dauer-
hafter wird. Dieſes iſt aber einerlei, es mag ſich die
Seele auf eine Empfindung wieder beſinnen, oder ſie mag

von
(e) [Spaltenumbruch] Schwach nach dem Wolf.
Pſycholog. Empir. p.
58. Giebt
einer ſtarken nicht nach.
(f) NICOLAI Einbild. &c. p.
27. HARTLEY prop
14.
(g) Zod. Med. Gall ann. IV.
m. Mart. MEAD de venen. p 33.
34. BOERHAAVE
nennt es eine
[Spaltenumbruch] zwote Einbildungskraft. Prælect.
T. IV. p. 470. n. 533. ROBINSON
of the ſplean. p.
186. 187.
(h) NICOLA[verlorenes Material – 1 Zeichen fehlt] l. c. HARTLEY
p. 397 Elém. de pſychologie p.
19. Add. LALLEMANT. mécan.
des paſſ. p.
142.
(i) Conf. HOOKE p. 145.
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[1064/1082] Der Verſtand. XVII. Buch. Ohren bringen kann, und es faͤllt uns ſchwer zu unter- ſcheiden, ob man wirklich Glokken hoͤre, oder ob die hin- terlaſſne Spuren im Gehirne eben dieſen Ton nachklingen. Wenn uͤberhaupt eine Empfindung eine ſehr lebhafte Spur von ſich hinterlaͤſt, ſo kann dieſe ſo ſtark, als eine neue Empfindung (e), und eben ſo ſinnlich (f) werden, man kann ſie ebenfalls fuͤr einen ſo wirklichen Eindrukk eines aͤuſſerlichen Objects halten, als man einen durch die Sinne eingedrungenen Eindrukk fuͤr was wirkliches haͤlt. Hieher ſind die Geſichte zu rechnen. Dahin gehoͤren die Flammen, welche in fieberhaften Perſonen der Seele vor Geſichte ſchweben; hieher gehoͤret der Schwindel, da man gleichſam fallen will; und hieher ſind die truͤglichen Jdeen der Schwermuͤthigen (g) zu ziehen, die ſie, wenn ſie gleich ihres Jrrthums bewuſt ſind, dennoch nicht los werden koͤnnen. Hieher gehoͤren auch noch die Bilder, die wir in den Traͤumen ſehen, und denen wir gemeinig- lich unſren Beifall nicht verſagen koͤnnen. Dergleichen Lebhaftigkeit ruͤhret aber ſonderlich von der Wiederholung her (h). Kinder lernen (i) ihre Lektionen auswendig herſagen, wenn ſie ſelbige oft uͤberleſen. Wir erkennen Menſchen, die wir oft anſehen. Es ſcheinet eine jegliche Empfindung, die erſte Spur gleichſam immer etwas tiefer einzudruͤkken, doch ich verſtehe durch dieſe Worte nicht eine wirkliche Furche und einige Einſchnitte, ſondern eine unbekannte auf das Gehirn gemachte Ope- ration, wodurch die Empfindung lebhafter, und dauer- hafter wird. Dieſes iſt aber einerlei, es mag ſich die Seele auf eine Empfindung wieder beſinnen, oder ſie mag von (e) Schwach nach dem Wolf. Pſycholog. Empir. p. 58. Giebt einer ſtarken nicht nach. (f) NICOLAI Einbild. &c. p. 27. HARTLEY prop 14. (g) Zod. Med. Gall ann. IV. m. Mart. MEAD de venen. p 33. 34. BOERHAAVE nennt es eine zwote Einbildungskraft. Prælect. T. IV. p. 470. n. 533. ROBINSON of the ſplean. p. 186. 187. (h) NICOLA_ l. c. HARTLEY p. 397 Elém. de pſychologie p. 19. Add. LALLEMANT. mécan. des paſſ. p. 142. (i) Conf. HOOKE p. 145.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1064. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1082>, abgerufen am 23.11.2024.