Andre empfanden überhaupt nichts vom Hunger und Durst (r).
Da also in den verschiednen Beschaffenheiten des Kör- pers, das Gedächtnis wächset, oder abnimmt, verschwin- det, wiederhergestellt wird, und es nicht wahrscheinlich ist, daß die Seele von dem Stosse eines Dachziegels Em- pfindungen habe, oder den Drukk eines ausgetretnen Blutes fühle; so mus folglich in dem körperlichen Gehirne der Sizz der Spuren angetroffen werden, welche die Empfindungen hinter sich gelassen haben, besonders aber müssen darinnen die Merkmaale der Zeichen anzutreffen sein, welche unsre Seele mit den Empfindungen zu verbinden gelernt hat. Und dieses ist der erste Grund von der wechselweisen Wirkung des Körpers in der Seele bei Em- pfindungen, und der Herrschaft der Seele über den Kör- per, indem sie die Merkmaale, welche niemals ohne die Seele entstehen würden, in das Gehirn eindrükkt.
§. 7. Das Gedächtnis. Die Einbildungskraft.
Jch glaube gezeiget zu haben, daß das Gedächtnis im Gehirne seinen Wohnsizz habe, es stekken aber in die- ser Sache viele Wunder, deren Wahrheit sich zum Theil erweislich machen läst, ob gleich niemand im Stande ist, die Art und Weise selbst zu erklären (s).
Jch glaube erstlich, daß man nicht entdekken werde, was die Sachen für Spuren von sich hinterlassen. Diese Spuren sind keine Bilder (u), denn dieses Wort drük- ket blos den einen Sinn aus, und man kann es, ohne zu irren, nicht auf die Spuren der Töne anwenden. Es sind ferner nicht etwa Bewegungen, ob sie gleich aus der
Be-
(r)[Spaltenumbruch]FISCHER l. c. BONNETUS in sepulchr.
(s)BONNET analyse pag. 39. le CAMUS Pag 89. 100. MURA- [Spaltenumbruch]
TORI fantasia p. 32 HELVETIUS esprit. l. p. 11. 12. HOOKE posth. p. 140. HARTLEY p. 374.
(u)pag. 531. &c.
X x x 3
I. Abſchnitt. Der Verſtand.
Andre empfanden uͤberhaupt nichts vom Hunger und Durſt (r).
Da alſo in den verſchiednen Beſchaffenheiten des Koͤr- pers, das Gedaͤchtnis waͤchſet, oder abnimmt, verſchwin- det, wiederhergeſtellt wird, und es nicht wahrſcheinlich iſt, daß die Seele von dem Stoſſe eines Dachziegels Em- pfindungen habe, oder den Drukk eines ausgetretnen Blutes fuͤhle; ſo mus folglich in dem koͤrperlichen Gehirne der Sizz der Spuren angetroffen werden, welche die Empfindungen hinter ſich gelaſſen haben, beſonders aber muͤſſen darinnen die Merkmaale der Zeichen anzutreffen ſein, welche unſre Seele mit den Empfindungen zu verbinden gelernt hat. Und dieſes iſt der erſte Grund von der wechſelweiſen Wirkung des Koͤrpers in der Seele bei Em- pfindungen, und der Herrſchaft der Seele uͤber den Koͤr- per, indem ſie die Merkmaale, welche niemals ohne die Seele entſtehen wuͤrden, in das Gehirn eindruͤkkt.
§. 7. Das Gedaͤchtnis. Die Einbildungskraft.
Jch glaube gezeiget zu haben, daß das Gedaͤchtnis im Gehirne ſeinen Wohnſizz habe, es ſtekken aber in die- ſer Sache viele Wunder, deren Wahrheit ſich zum Theil erweislich machen laͤſt, ob gleich niemand im Stande iſt, die Art und Weiſe ſelbſt zu erklaͤren (s).
Jch glaube erſtlich, daß man nicht entdekken werde, was die Sachen fuͤr Spuren von ſich hinterlaſſen. Dieſe Spuren ſind keine Bilder (u), denn dieſes Wort druͤk- ket blos den einen Sinn aus, und man kann es, ohne zu irren, nicht auf die Spuren der Toͤne anwenden. Es ſind ferner nicht etwa Bewegungen, ob ſie gleich aus der
Be-
(r)[Spaltenumbruch]FISCHER l. c. BONNETUS in ſepulchr.
(s)BONNET analyſe pag. 39. le CAMUS Pag 89. 100. MURA- [Spaltenumbruch]
TORI fantaſia p. 32 HELVETIUS eſprit. l. p. 11. 12. HOOKE poſth. p. 140. HARTLEY p. 374.
(u)pag. 531. &c.
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I. Abſchnitt. Der Verſtand.
Andre empfanden uͤberhaupt nichts vom Hunger und
Durſt (r).
Da alſo in den verſchiednen Beſchaffenheiten des Koͤr-
pers, das Gedaͤchtnis waͤchſet, oder abnimmt, verſchwin-
det, wiederhergeſtellt wird, und es nicht wahrſcheinlich
iſt, daß die Seele von dem Stoſſe eines Dachziegels Em-
pfindungen habe, oder den Drukk eines ausgetretnen
Blutes fuͤhle; ſo mus folglich in dem koͤrperlichen Gehirne
der Sizz der Spuren angetroffen werden, welche die
Empfindungen hinter ſich gelaſſen haben, beſonders aber
muͤſſen darinnen die Merkmaale der Zeichen anzutreffen ſein,
welche unſre Seele mit den Empfindungen zu verbinden
gelernt hat. Und dieſes iſt der erſte Grund von der
wechſelweiſen Wirkung des Koͤrpers in der Seele bei Em-
pfindungen, und der Herrſchaft der Seele uͤber den Koͤr-
per, indem ſie die Merkmaale, welche niemals ohne die
Seele entſtehen wuͤrden, in das Gehirn eindruͤkkt.
§. 7.
Das Gedaͤchtnis. Die Einbildungskraft.
Jch glaube gezeiget zu haben, daß das Gedaͤchtnis
im Gehirne ſeinen Wohnſizz habe, es ſtekken aber in die-
ſer Sache viele Wunder, deren Wahrheit ſich zum Theil
erweislich machen laͤſt, ob gleich niemand im Stande iſt,
die Art und Weiſe ſelbſt zu erklaͤren (s).
Jch glaube erſtlich, daß man nicht entdekken werde,
was die Sachen fuͤr Spuren von ſich hinterlaſſen. Dieſe
Spuren ſind keine Bilder (u), denn dieſes Wort druͤk-
ket blos den einen Sinn aus, und man kann es, ohne zu
irren, nicht auf die Spuren der Toͤne anwenden. Es
ſind ferner nicht etwa Bewegungen, ob ſie gleich aus der
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FISCHER l. c. BONNETUS
in ſepulchr.
(s) BONNET analyſe pag. 39.
le CAMUS Pag 89. 100. MURA-
TORI fantaſia p. 32 HELVETIUS
eſprit. l. p. 11. 12. HOOKE poſth.
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(u) pag. 531. &c.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1061. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1079>, abgerufen am 20.11.2024.
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