Wir haben gezeiget, daß die Eindrükke der Sinnen nicht so gleich wieder verschwinden, sondern einige Zeit lang in der Seele gegenwärtig bleiben, wenn auch schon die körperliche Ursache dieser Eindrükke weggeräumt wor- den, wovon der leuchtende Zirkel ein Exempel ist, der aus den Funken eines umgedrehten, und am äussersten Ende glühenden Stabes, gebildet wird (c). Jn der That gewinnt durch diese Fortdauer die Seele Zeit, die Vor- stellung von körperlichen Dingen eine längere Zeit als ge- genwärtig zu behalten. Es kann aber die Seele, nach Belieben (d), die Vorstellung, oder wenigstens doch die Zeichen davon, noch über diese Zeit hinaussezzen, behal- ten, und sich als gegenwärtig vorstellen. Es ist Auf- merksamkeit, wenn die Seele, die ganze Zeit über, als die Vorstellung dauert, blos auf diese Vorstellung ihre Aufmerksamkeit richtet, und indessen alle andre Vorstel- lungen bei Seite sezzt (e), denn dieses kann die Seele thun. Mit Hülfe dieser Aufmerksamkeit werden nun ei- nige Zeichen der Vorstellung dergestalt erhalten (f), daß sie im Menschen lange und vollkommen übrig bleiben, ich sage Zeichen, denn es bleiben die fühlbare, Geschmakk er- regende, und von Körpern refringirte Eindrükke (g), meh- rentheils nicht so übrig, wie wir sie empfangen haben; und so erhalten sich die gehörten Töne einiger maassen, damit auch die Vögel, einen mit Aufmerksamkeit angehör- ten Gesang wiederholen können (h), ob wir uns gleich den Ton selbst, wenn wir gleich wollen, mühsamer, und
nur
(c)[Spaltenumbruch]HARTLEY prop. 3.
(d)WOLF. psychol. Empir. pag. 167.
(e)LOCKE de l'entendement L. II. c. 10.
(f) Die Lebhaftigkeit des Ein- drukks, BONNET Anal. de l'ame p. 107.
(g)[Spaltenumbruch]HARTLEY p. 57.
(h) Nachtigallen lernen von ih- ren Eltern, und ohne deren Um- gang singen sie viel schlechter Ae- dologia p. 10 Conf. von Hunden BONNET p. 179.
Der Verſtand. XVII. Buch.
§. 5. Die Ordnung der Jdeen.
Wir haben gezeiget, daß die Eindruͤkke der Sinnen nicht ſo gleich wieder verſchwinden, ſondern einige Zeit lang in der Seele gegenwaͤrtig bleiben, wenn auch ſchon die koͤrperliche Urſache dieſer Eindruͤkke weggeraͤumt wor- den, wovon der leuchtende Zirkel ein Exempel iſt, der aus den Funken eines umgedrehten, und am aͤuſſerſten Ende gluͤhenden Stabes, gebildet wird (c). Jn der That gewinnt durch dieſe Fortdauer die Seele Zeit, die Vor- ſtellung von koͤrperlichen Dingen eine laͤngere Zeit als ge- genwaͤrtig zu behalten. Es kann aber die Seele, nach Belieben (d), die Vorſtellung, oder wenigſtens doch die Zeichen davon, noch uͤber dieſe Zeit hinausſezzen, behal- ten, und ſich als gegenwaͤrtig vorſtellen. Es iſt Auf- merkſamkeit, wenn die Seele, die ganze Zeit uͤber, als die Vorſtellung dauert, blos auf dieſe Vorſtellung ihre Aufmerkſamkeit richtet, und indeſſen alle andre Vorſtel- lungen bei Seite ſezzt (e), denn dieſes kann die Seele thun. Mit Huͤlfe dieſer Aufmerkſamkeit werden nun ei- nige Zeichen der Vorſtellung dergeſtalt erhalten (f), daß ſie im Menſchen lange und vollkommen uͤbrig bleiben, ich ſage Zeichen, denn es bleiben die fuͤhlbare, Geſchmakk er- regende, und von Koͤrpern refringirte Eindruͤkke (g), meh- rentheils nicht ſo uͤbrig, wie wir ſie empfangen haben; und ſo erhalten ſich die gehoͤrten Toͤne einiger maaſſen, damit auch die Voͤgel, einen mit Aufmerkſamkeit angehoͤr- ten Geſang wiederholen koͤnnen (h), ob wir uns gleich den Ton ſelbſt, wenn wir gleich wollen, muͤhſamer, und
nur
(c)[Spaltenumbruch]HARTLEY prop. 3.
(d)WOLF. pſychol. Empir. pag. 167.
(e)LOCKE de l’entendement L. II. c. 10.
(f) Die Lebhaftigkeit des Ein- drukks, BONNET Anal. de l’ame p. 107.
(g)[Spaltenumbruch]HARTLEY p. 57.
(h) Nachtigallen lernen von ih- ren Eltern, und ohne deren Um- gang ſingen ſie viel ſchlechter Ae- dologia p. 10 Conf. von Hunden BONNET p. 179.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f1072"n="1054"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Der Verſtand. <hirendition="#aq">XVII.</hi> Buch.</hi></fw><lb/><divn="3"><head>§. 5.<lb/>
Die Ordnung der Jdeen.</head><lb/><p>Wir haben gezeiget, daß die Eindruͤkke der Sinnen<lb/>
nicht ſo gleich wieder verſchwinden, ſondern einige Zeit<lb/>
lang in der Seele gegenwaͤrtig bleiben, wenn auch ſchon<lb/>
die koͤrperliche Urſache dieſer Eindruͤkke weggeraͤumt wor-<lb/>
den, wovon der leuchtende Zirkel ein Exempel iſt, der<lb/>
aus den Funken eines umgedrehten, und am aͤuſſerſten<lb/>
Ende gluͤhenden Stabes, gebildet wird <noteplace="foot"n="(c)"><cb/><hirendition="#aq">HARTLEY prop.</hi> 3.</note>. Jn der That<lb/>
gewinnt durch dieſe Fortdauer die Seele Zeit, die Vor-<lb/>ſtellung von koͤrperlichen Dingen eine laͤngere Zeit als ge-<lb/>
genwaͤrtig zu behalten. Es kann aber die Seele, nach<lb/>
Belieben <noteplace="foot"n="(d)"><hirendition="#aq"><hirendition="#g">WOLF.</hi> pſychol. Empir.<lb/>
pag.</hi> 167.</note>, die Vorſtellung, oder wenigſtens doch die<lb/>
Zeichen davon, noch uͤber dieſe Zeit hinausſezzen, behal-<lb/>
ten, und ſich als gegenwaͤrtig vorſtellen. Es iſt <hirendition="#fr">Auf-<lb/>
merkſamkeit,</hi> wenn die Seele, die ganze Zeit uͤber, als<lb/>
die Vorſtellung dauert, blos auf dieſe Vorſtellung ihre<lb/>
Aufmerkſamkeit richtet, und indeſſen alle andre Vorſtel-<lb/>
lungen bei Seite ſezzt <noteplace="foot"n="(e)"><hirendition="#aq">LOCKE de l’entendement<lb/>
L. II. c.</hi> 10.</note>, denn dieſes kann die Seele<lb/>
thun. Mit Huͤlfe dieſer Aufmerkſamkeit werden nun ei-<lb/>
nige Zeichen der Vorſtellung dergeſtalt erhalten <noteplace="foot"n="(f)">Die Lebhaftigkeit des Ein-<lb/>
drukks, <hirendition="#aq">BONNET Anal. de l’ame<lb/>
p.</hi> 107.</note>, daß<lb/>ſie im Menſchen lange und vollkommen uͤbrig bleiben, ich<lb/>ſage Zeichen, denn es bleiben die fuͤhlbare, Geſchmakk er-<lb/>
regende, und von Koͤrpern refringirte Eindruͤkke <noteplace="foot"n="(g)"><cb/><hirendition="#aq">HARTLEY p.</hi> 57.</note>, meh-<lb/>
rentheils nicht ſo uͤbrig, wie wir ſie empfangen haben;<lb/>
und ſo erhalten ſich die gehoͤrten Toͤne einiger maaſſen,<lb/>
damit auch die Voͤgel, einen mit Aufmerkſamkeit angehoͤr-<lb/>
ten Geſang wiederholen koͤnnen <noteplace="foot"n="(h)">Nachtigallen lernen von ih-<lb/>
ren Eltern, und ohne deren Um-<lb/>
gang ſingen ſie viel ſchlechter <hirendition="#aq">Ae-<lb/>
dologia p. 10 Conf.</hi> von Hunden<lb/><hirendition="#aq">BONNET p.</hi> 179.</note>, ob wir uns gleich<lb/>
den Ton ſelbſt, wenn wir gleich wollen, muͤhſamer, und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nur</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[1054/1072]
Der Verſtand. XVII. Buch.
§. 5.
Die Ordnung der Jdeen.
Wir haben gezeiget, daß die Eindruͤkke der Sinnen
nicht ſo gleich wieder verſchwinden, ſondern einige Zeit
lang in der Seele gegenwaͤrtig bleiben, wenn auch ſchon
die koͤrperliche Urſache dieſer Eindruͤkke weggeraͤumt wor-
den, wovon der leuchtende Zirkel ein Exempel iſt, der
aus den Funken eines umgedrehten, und am aͤuſſerſten
Ende gluͤhenden Stabes, gebildet wird (c). Jn der That
gewinnt durch dieſe Fortdauer die Seele Zeit, die Vor-
ſtellung von koͤrperlichen Dingen eine laͤngere Zeit als ge-
genwaͤrtig zu behalten. Es kann aber die Seele, nach
Belieben (d), die Vorſtellung, oder wenigſtens doch die
Zeichen davon, noch uͤber dieſe Zeit hinausſezzen, behal-
ten, und ſich als gegenwaͤrtig vorſtellen. Es iſt Auf-
merkſamkeit, wenn die Seele, die ganze Zeit uͤber, als
die Vorſtellung dauert, blos auf dieſe Vorſtellung ihre
Aufmerkſamkeit richtet, und indeſſen alle andre Vorſtel-
lungen bei Seite ſezzt (e), denn dieſes kann die Seele
thun. Mit Huͤlfe dieſer Aufmerkſamkeit werden nun ei-
nige Zeichen der Vorſtellung dergeſtalt erhalten (f), daß
ſie im Menſchen lange und vollkommen uͤbrig bleiben, ich
ſage Zeichen, denn es bleiben die fuͤhlbare, Geſchmakk er-
regende, und von Koͤrpern refringirte Eindruͤkke (g), meh-
rentheils nicht ſo uͤbrig, wie wir ſie empfangen haben;
und ſo erhalten ſich die gehoͤrten Toͤne einiger maaſſen,
damit auch die Voͤgel, einen mit Aufmerkſamkeit angehoͤr-
ten Geſang wiederholen koͤnnen (h), ob wir uns gleich
den Ton ſelbſt, wenn wir gleich wollen, muͤhſamer, und
nur
(c)
HARTLEY prop. 3.
(d) WOLF. pſychol. Empir.
pag. 167.
(e) LOCKE de l’entendement
L. II. c. 10.
(f) Die Lebhaftigkeit des Ein-
drukks, BONNET Anal. de l’ame
p. 107.
(g)
HARTLEY p. 57.
(h) Nachtigallen lernen von ih-
ren Eltern, und ohne deren Um-
gang ſingen ſie viel ſchlechter Ae-
dologia p. 10 Conf. von Hunden
BONNET p. 179.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1054. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1072>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.