Dinge klein sind (s). Doch auch wir sehen in der That entfernte Dinge klein (t). Die Seele wird durch den langen Gebrauch der Dinge klüger (u), bleibt aber den- noch allezeit noch unvollkommen unterrichtet, wenn sie von dem Unterschiede der Distanzen urtheilen lernt (x).
Cartesius glaubte, die Seele beurtheile die Distanz nach der Art eines Blinden, nemlich aus der Grösse des Winkels (y), den die im Objecte zusammenkommende Sehachsen machen: Es ist aber dieser Winkel allezeit grösser, je näher das Object, und kleiner, je entfernter das Object ist.
Diesen Winkel können weder Vögel noch Fische (z), noch einäugigte Personen, wie auch diejenigen nicht haben, welche mit einem einzigen Auge sehen. Deswegen bedienen sie sich entweder des Winkels, der vom strahlendem Punkte auf die Gränzen der Hornhaut gezogen wird (a), oder desjenigen Winkels, den die Enden eines sichtbaren Ob- jects, mit dem empfindenden Punkte der Nezzhaut ma- chen, weil beide Winkel um so viel grösser sind, je näher das Object, und so im Gegentheil.
Jndessen kennet die Seele doch diese Winkel wirklich nicht (b), und es gehöret das Urtheil, welches man dem Winkel zuschreibet, einzig und allein zu der Empfindung von der Grösse, von der eben dieser Winkel das Maaß ist (c). Wir bedienen uns überhaupt der Regel, daß die Distanzen verkehrt, wie die sichtbare Grössen sind (d), ob wir gleich nicht genan in einer gedoppelten Entfernung,
Dinge
(s)[Spaltenumbruch]HARTLEY p. 201.
(t)BUFFON T. III. p. 313.
(u)STURM ocul. Teoskopos p. 17. de vision ocul. p. 34.
(x)PORTERFIELD I. pag. 23. SMITH popul. tract. n. 139. HART- LEY p. 201.
(y)MUSSCHENBROECK n. 1242. le CAT p. 473. HARTLEY p. 202.
(z)[Spaltenumbruch]PORTERFIELD of the eyes T. I. p. 77. 116.
(a)KEPLER. PLEMP. L. IV. probl. 46.
(b)BERKLEY p. 223
(c)pag. 521.
(d)SMITH n. 139. PORTER- FIELD II. p. 392. IURIN pag. 32. & 38.
IV. Abſchnitt. Das Sehen.
Dinge klein ſind (s). Doch auch wir ſehen in der That entfernte Dinge klein (t). Die Seele wird durch den langen Gebrauch der Dinge kluͤger (u), bleibt aber den- noch allezeit noch unvollkommen unterrichtet, wenn ſie von dem Unterſchiede der Diſtanzen urtheilen lernt (x).
Carteſius glaubte, die Seele beurtheile die Diſtanz nach der Art eines Blinden, nemlich aus der Groͤſſe des Winkels (y), den die im Objecte zuſammenkommende Sehachſen machen: Es iſt aber dieſer Winkel allezeit groͤſſer, je naͤher das Object, und kleiner, je entfernter das Object iſt.
Dieſen Winkel koͤnnen weder Voͤgel noch Fiſche (z), noch einaͤugigte Perſonen, wie auch diejenigen nicht haben, welche mit einem einzigen Auge ſehen. Deswegen bedienen ſie ſich entweder des Winkels, der vom ſtrahlendem Punkte auf die Graͤnzen der Hornhaut gezogen wird (a), oder desjenigen Winkels, den die Enden eines ſichtbaren Ob- jects, mit dem empfindenden Punkte der Nezzhaut ma- chen, weil beide Winkel um ſo viel groͤſſer ſind, je naͤher das Object, und ſo im Gegentheil.
Jndeſſen kennet die Seele doch dieſe Winkel wirklich nicht (b), und es gehoͤret das Urtheil, welches man dem Winkel zuſchreibet, einzig und allein zu der Empfindung von der Groͤſſe, von der eben dieſer Winkel das Maaß iſt (c). Wir bedienen uns uͤberhaupt der Regel, daß die Diſtanzen verkehrt, wie die ſichtbare Groͤſſen ſind (d), ob wir gleich nicht genan in einer gedoppelten Entfernung,
Dinge
(s)[Spaltenumbruch]HARTLEY p. 201.
(t)BUFFON T. III. p. 313.
(u)STURM ocul. Teoskopos p. 17. de viſion ocul. p. 34.
(x)PORTERFIELD I. pag. 23. SMITH popul. tract. n. 139. HART- LEY p. 201.
(y)MUSSCHENBROECK n. 1242. le CAT p. 473. HARTLEY p. 202.
(z)[Spaltenumbruch]PORTERFIELD of the eyes T. I. p. 77. 116.
(a)KEPLER. PLEMP. L. IV. probl. 46.
(b)BERKLEY p. 223
(c)pag. 521.
(d)SMITH n. 139. PORTER- FIELD II. p. 392. IURIN pag. 32. & 38.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f1053"n="1035"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">IV.</hi> Abſchnitt. Das Sehen.</hi></fw><lb/>
Dinge klein ſind <noteplace="foot"n="(s)"><cb/><hirendition="#aq">HARTLEY p.</hi> 201.</note>. Doch auch wir ſehen in der That<lb/>
entfernte Dinge klein <noteplace="foot"n="(t)"><hirendition="#aq">BUFFON T. III. p.</hi> 313.</note>. Die Seele wird durch den<lb/>
langen Gebrauch der Dinge kluͤger <noteplace="foot"n="(u)"><hirendition="#aq">STURM ocul. Teoskopos<lb/>
p. 17. de viſion ocul. p.</hi> 34.</note>, bleibt aber den-<lb/>
noch allezeit noch unvollkommen unterrichtet, wenn ſie<lb/>
von dem Unterſchiede der Diſtanzen urtheilen lernt <noteplace="foot"n="(x)"><hirendition="#aq">PORTERFIELD I. pag. 23.<lb/>
SMITH popul. tract. n. 139. HART-<lb/>
LEY p.</hi> 201.</note>.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Carteſius</hi> glaubte, die Seele beurtheile die Diſtanz<lb/>
nach der Art eines Blinden, nemlich aus der Groͤſſe des<lb/>
Winkels <noteplace="foot"n="(y)"><hirendition="#aq">MUSSCHENBROECK n.<lb/>
1242. le CAT p. 473. HARTLEY<lb/>
p.</hi> 202.</note>, den die im Objecte zuſammenkommende<lb/>
Sehachſen machen: Es iſt aber dieſer Winkel allezeit<lb/>
groͤſſer, je naͤher das Object, und kleiner, je entfernter<lb/>
das Object iſt.</p><lb/><p>Dieſen Winkel koͤnnen weder Voͤgel noch Fiſche <noteplace="foot"n="(z)"><cb/><hirendition="#aq">PORTERFIELD of the eyes<lb/>
T. I. p.</hi> 77. 116.</note>,<lb/>
noch einaͤugigte Perſonen, wie auch diejenigen nicht haben,<lb/>
welche mit einem einzigen Auge ſehen. Deswegen bedienen<lb/>ſie ſich entweder des Winkels, der vom ſtrahlendem Punkte<lb/>
auf die Graͤnzen der Hornhaut gezogen wird <noteplace="foot"n="(a)"><hirendition="#aq">KEPLER. PLEMP. L. IV.<lb/>
probl.</hi> 46.</note>, oder<lb/>
desjenigen Winkels, den die Enden eines ſichtbaren Ob-<lb/>
jects, mit dem empfindenden Punkte der Nezzhaut ma-<lb/>
chen, weil beide Winkel um ſo viel groͤſſer ſind, je naͤher<lb/>
das Object, und ſo im Gegentheil.</p><lb/><p>Jndeſſen kennet die Seele doch dieſe Winkel wirklich<lb/>
nicht <noteplace="foot"n="(b)"><hirendition="#aq">BERKLEY p.</hi> 223</note>, und es gehoͤret das Urtheil, welches man dem<lb/>
Winkel zuſchreibet, einzig und allein zu der Empfindung<lb/>
von der Groͤſſe, von der eben dieſer Winkel das Maaß<lb/>
iſt <noteplace="foot"n="(c)"><hirendition="#aq">pag.</hi> 521.</note>. Wir bedienen uns uͤberhaupt der Regel, daß die<lb/>
Diſtanzen verkehrt, wie die ſichtbare Groͤſſen ſind <noteplace="foot"n="(d)"><hirendition="#aq">SMITH n. 139. PORTER-<lb/>
FIELD II. p. 392. IURIN pag.</hi> 32.<lb/>& 38.</note>, ob<lb/>
wir gleich nicht genan in einer gedoppelten Entfernung,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Dinge</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[1035/1053]
IV. Abſchnitt. Das Sehen.
Dinge klein ſind (s). Doch auch wir ſehen in der That
entfernte Dinge klein (t). Die Seele wird durch den
langen Gebrauch der Dinge kluͤger (u), bleibt aber den-
noch allezeit noch unvollkommen unterrichtet, wenn ſie
von dem Unterſchiede der Diſtanzen urtheilen lernt (x).
Carteſius glaubte, die Seele beurtheile die Diſtanz
nach der Art eines Blinden, nemlich aus der Groͤſſe des
Winkels (y), den die im Objecte zuſammenkommende
Sehachſen machen: Es iſt aber dieſer Winkel allezeit
groͤſſer, je naͤher das Object, und kleiner, je entfernter
das Object iſt.
Dieſen Winkel koͤnnen weder Voͤgel noch Fiſche (z),
noch einaͤugigte Perſonen, wie auch diejenigen nicht haben,
welche mit einem einzigen Auge ſehen. Deswegen bedienen
ſie ſich entweder des Winkels, der vom ſtrahlendem Punkte
auf die Graͤnzen der Hornhaut gezogen wird (a), oder
desjenigen Winkels, den die Enden eines ſichtbaren Ob-
jects, mit dem empfindenden Punkte der Nezzhaut ma-
chen, weil beide Winkel um ſo viel groͤſſer ſind, je naͤher
das Object, und ſo im Gegentheil.
Jndeſſen kennet die Seele doch dieſe Winkel wirklich
nicht (b), und es gehoͤret das Urtheil, welches man dem
Winkel zuſchreibet, einzig und allein zu der Empfindung
von der Groͤſſe, von der eben dieſer Winkel das Maaß
iſt (c). Wir bedienen uns uͤberhaupt der Regel, daß die
Diſtanzen verkehrt, wie die ſichtbare Groͤſſen ſind (d), ob
wir gleich nicht genan in einer gedoppelten Entfernung,
Dinge
(s)
HARTLEY p. 201.
(t) BUFFON T. III. p. 313.
(u) STURM ocul. Teoskopos
p. 17. de viſion ocul. p. 34.
(x) PORTERFIELD I. pag. 23.
SMITH popul. tract. n. 139. HART-
LEY p. 201.
(y) MUSSCHENBROECK n.
1242. le CAT p. 473. HARTLEY
p. 202.
(z)
PORTERFIELD of the eyes
T. I. p. 77. 116.
(a) KEPLER. PLEMP. L. IV.
probl. 46.
(b) BERKLEY p. 223
(c) pag. 521.
(d) SMITH n. 139. PORTER-
FIELD II. p. 392. IURIN pag. 32.
& 38.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 1035. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/1053>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.