Wenn man endlich, Ueberlegungen zu machen, Lust hat, warum die Wunden, welche oben am Gehirnmar- ke und an dessen äusserstem Ende vorfallen, weder alle- mal grausame Schmerzen, noch iederzeit Krämpfe erwe- cken, welches doch unten an dem Marke geschicht, so läßt sich solches nach dieser Hipotese begreiflich machen. Es scheint nämlich die Empfindlichkeit der kleinsten in eine einzige Schnur vereinigten Schnüre, schärfer, und deren Gewalt auf die Bewegung desto grösser zu werden. Doch ich sehe und gestehe, daß es eine Hipotese sei.
Vielleicht scheinen eben diese Schnüre und die Queerverbindungen [Spaltenumbruch]g des Gehirnmarkes, auch zu ma- chen, daß, wenn der rechte Theil des Gehirns verletzt worden, so oft die linke Seite fühllos wird h. Schon die Alten hatten den Satz, daß die Gehirnnerven übers Kreutz entspringen i.
Es scheint auch von eben dieser Ursache her zu rüh- ren, da sich nämlich die Anfänge des| rechten und linken Nerven unter einander mischen, daß wir so oft beide Au- gen, beide Hände, und beide Füsse gleichmäßig bewe- gen, so wie im Gliederzittern gemeiniglich k zwei ver- wandte Glieder zugleich zittern, und was dergleichen mehr ist. Denn obgleich alle diese Streifen vielmehr nach der Queere k*, als über das Kreutz laufen, so ha- ben doch beiderlei Richtungen einerlei Folgen.
Und dennoch scheint hierbei einiger Unterschied vor- zukommen, so, daß bei manchen Menschen die rechte Seite, mit der linken nicht so deutlich übereinstimmt, in- dem oft nur die eine Seite des Leibes k**, der eine
Arm
g Am verlängerten Marke, Mi- stichelli p. 58.
hp. 331. seqq.
iCassius n. 41. daß aus den rech- ten Pulsadern die linke Nerven und so umgekehrt entspringen, Cae- [Spaltenumbruch]
salpin. Q. Med. L. II. quaest. 10. von der Durchkreutzung schreibt Vater vis. dupl. & dimid. p. 24. &c.
kLillie de palpit p. 76.
k*Morgagn. epist. XIII. p. 496.
k**Wharton. p. 7.
R r 3
VIII. Abſchnitt. Die Muthmaſſungen.
Wenn man endlich, Ueberlegungen zu machen, Luſt hat, warum die Wunden, welche oben am Gehirnmar- ke und an deſſen aͤuſſerſtem Ende vorfallen, weder alle- mal grauſame Schmerzen, noch iederzeit Kraͤmpfe erwe- cken, welches doch unten an dem Marke geſchicht, ſo laͤßt ſich ſolches nach dieſer Hipoteſe begreiflich machen. Es ſcheint naͤmlich die Empfindlichkeit der kleinſten in eine einzige Schnur vereinigten Schnuͤre, ſchaͤrfer, und deren Gewalt auf die Bewegung deſto groͤſſer zu werden. Doch ich ſehe und geſtehe, daß es eine Hipoteſe ſei.
Vielleicht ſcheinen eben dieſe Schnuͤre und die Queerverbindungen [Spaltenumbruch]g des Gehirnmarkes, auch zu ma- chen, daß, wenn der rechte Theil des Gehirns verletzt worden, ſo oft die linke Seite fuͤhllos wird h. Schon die Alten hatten den Satz, daß die Gehirnnerven uͤbers Kreutz entſpringen i.
Es ſcheint auch von eben dieſer Urſache her zu ruͤh- ren, da ſich naͤmlich die Anfaͤnge des| rechten und linken Nerven unter einander miſchen, daß wir ſo oft beide Au- gen, beide Haͤnde, und beide Fuͤſſe gleichmaͤßig bewe- gen, ſo wie im Gliederzittern gemeiniglich k zwei ver- wandte Glieder zugleich zittern, und was dergleichen mehr iſt. Denn obgleich alle dieſe Streifen vielmehr nach der Queere k*, als uͤber das Kreutz laufen, ſo ha- ben doch beiderlei Richtungen einerlei Folgen.
Und dennoch ſcheint hierbei einiger Unterſchied vor- zukommen, ſo, daß bei manchen Menſchen die rechte Seite, mit der linken nicht ſo deutlich uͤbereinſtimmt, in- dem oft nur die eine Seite des Leibes k**, der eine
Arm
g Am verlaͤngerten Marke, Mi- ſtichelli p. 58.
hp. 331. ſeqq.
iCaſſius n. 41. daß aus den rech- ten Pulsadern die linke Nerven und ſo umgekehrt entſpringen, Cæ- [Spaltenumbruch]
ſalpin. Q. Med. L. II. quaeſt. 10. von der Durchkreutzung ſchreibt Vater viſ. dupl. & dimid. p. 24. &c.
kLillie de palpit p. 76.
k*Morgagn. epiſt. XIII. p. 496.
k**Wharton. p. 7.
R r 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0665"n="629"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#aq">VIII.</hi> Abſchnitt. Die Muthmaſſungen.</hi></fw><lb/><p>Wenn man endlich, Ueberlegungen zu machen, Luſt<lb/>
hat, warum die Wunden, welche oben am Gehirnmar-<lb/>
ke und an deſſen aͤuſſerſtem Ende vorfallen, weder alle-<lb/>
mal grauſame Schmerzen, noch iederzeit Kraͤmpfe erwe-<lb/>
cken, welches doch unten an dem Marke geſchicht, ſo<lb/>
laͤßt ſich ſolches nach dieſer Hipoteſe begreiflich machen.<lb/>
Es ſcheint naͤmlich die Empfindlichkeit der kleinſten in<lb/>
eine einzige Schnur vereinigten Schnuͤre, ſchaͤrfer, und<lb/>
deren Gewalt auf die Bewegung deſto groͤſſer zu werden.<lb/>
Doch ich ſehe und geſtehe, daß es eine Hipoteſe ſei.</p><lb/><p>Vielleicht ſcheinen eben dieſe Schnuͤre und die<lb/>
Queerverbindungen <cb/><noteplace="foot"n="g">Am verlaͤngerten Marke, <hirendition="#aq"><hirendition="#i">Mi-<lb/>ſtichelli</hi> p.</hi> 58.</note> des Gehirnmarkes, auch zu ma-<lb/>
chen, daß, wenn der rechte Theil des Gehirns verletzt<lb/>
worden, ſo oft die linke Seite fuͤhllos wird <noteplace="foot"n="h"><hirendition="#aq">p. 331. ſeqq.</hi></note>. Schon<lb/>
die Alten hatten den Satz, daß die Gehirnnerven uͤbers<lb/>
Kreutz entſpringen <noteplace="foot"n="i"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Caſſius</hi> n.</hi> 41. daß aus den rech-<lb/>
ten Pulsadern die linke Nerven<lb/>
und ſo umgekehrt entſpringen, <hirendition="#aq"><hirendition="#i">Cæ-<lb/><cb/>ſalpin.</hi> Q. Med. L. II. quaeſt.</hi> 10.<lb/>
von der Durchkreutzung ſchreibt<lb/><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Vater</hi> viſ. dupl. & dimid. p. 24.<lb/>&c.</hi></note>.</p><lb/><p>Es ſcheint auch von eben dieſer Urſache her zu ruͤh-<lb/>
ren, da ſich naͤmlich die Anfaͤnge des| rechten und linken<lb/>
Nerven unter einander miſchen, daß wir ſo oft beide Au-<lb/>
gen, beide Haͤnde, und beide Fuͤſſe gleichmaͤßig bewe-<lb/>
gen, ſo wie im Gliederzittern gemeiniglich <noteplace="foot"n="k"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Lillie</hi> de palpit p.</hi> 76.</note> zwei ver-<lb/>
wandte Glieder zugleich zittern, und was dergleichen<lb/>
mehr iſt. Denn obgleich alle dieſe Streifen vielmehr<lb/>
nach der Queere <noteplace="foot"n="k*"><hirendition="#aq"><hirendition="#i">Morgagn.</hi> epiſt. XIII. p.</hi> 496.</note>, als uͤber das Kreutz laufen, ſo ha-<lb/>
ben doch beiderlei Richtungen einerlei Folgen.</p><lb/><p>Und dennoch ſcheint hierbei einiger Unterſchied vor-<lb/>
zukommen, ſo, daß bei manchen Menſchen die rechte<lb/>
Seite, mit der linken nicht ſo deutlich uͤbereinſtimmt, in-<lb/>
dem oft nur die eine Seite des Leibes <noteplace="foot"n="k**"><hirendition="#aq">W<hirendition="#i">harton.</hi> p.</hi> 7.</note>, der eine<lb/><fwplace="bottom"type="sig">R r 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Arm</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[629/0665]
VIII. Abſchnitt. Die Muthmaſſungen.
Wenn man endlich, Ueberlegungen zu machen, Luſt
hat, warum die Wunden, welche oben am Gehirnmar-
ke und an deſſen aͤuſſerſtem Ende vorfallen, weder alle-
mal grauſame Schmerzen, noch iederzeit Kraͤmpfe erwe-
cken, welches doch unten an dem Marke geſchicht, ſo
laͤßt ſich ſolches nach dieſer Hipoteſe begreiflich machen.
Es ſcheint naͤmlich die Empfindlichkeit der kleinſten in
eine einzige Schnur vereinigten Schnuͤre, ſchaͤrfer, und
deren Gewalt auf die Bewegung deſto groͤſſer zu werden.
Doch ich ſehe und geſtehe, daß es eine Hipoteſe ſei.
Vielleicht ſcheinen eben dieſe Schnuͤre und die
Queerverbindungen
g des Gehirnmarkes, auch zu ma-
chen, daß, wenn der rechte Theil des Gehirns verletzt
worden, ſo oft die linke Seite fuͤhllos wird h. Schon
die Alten hatten den Satz, daß die Gehirnnerven uͤbers
Kreutz entſpringen i.
Es ſcheint auch von eben dieſer Urſache her zu ruͤh-
ren, da ſich naͤmlich die Anfaͤnge des| rechten und linken
Nerven unter einander miſchen, daß wir ſo oft beide Au-
gen, beide Haͤnde, und beide Fuͤſſe gleichmaͤßig bewe-
gen, ſo wie im Gliederzittern gemeiniglich k zwei ver-
wandte Glieder zugleich zittern, und was dergleichen
mehr iſt. Denn obgleich alle dieſe Streifen vielmehr
nach der Queere k*, als uͤber das Kreutz laufen, ſo ha-
ben doch beiderlei Richtungen einerlei Folgen.
Und dennoch ſcheint hierbei einiger Unterſchied vor-
zukommen, ſo, daß bei manchen Menſchen die rechte
Seite, mit der linken nicht ſo deutlich uͤbereinſtimmt, in-
dem oft nur die eine Seite des Leibes k**, der eine
Arm
g Am verlaͤngerten Marke, Mi-
ſtichelli p. 58.
h p. 331. ſeqq.
i Caſſius n. 41. daß aus den rech-
ten Pulsadern die linke Nerven
und ſo umgekehrt entſpringen, Cæ-
ſalpin. Q. Med. L. II. quaeſt. 10.
von der Durchkreutzung ſchreibt
Vater viſ. dupl. & dimid. p. 24.
&c.
k Lillie de palpit p. 76.
k* Morgagn. epiſt. XIII. p. 496.
k** Wharton. p. 7.
R r 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 629. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/665>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.