Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768.

Bild:
<< vorherige Seite

VIII. Abschnitt. Die Muthmassungen.
Eindrucke mehrmal hin und her beben, und ihre Schläge
vervielfachen könnten.

Wir wissen aber, was elastische Körper eigentlich
sind, und wir erkennen mit Zuverläßigkeit, daß das
breiige Wesen des Gehirns, und der Nerven, dahin nicht
gezogen werden kann. Man konnte in der That zu einer
Schwingekraft kein ungereimteres Mittel, als einen
Brei, erdenken, der den Eindruck vom Finger in sich neh-
men, und die eingedruckte Strasse unverrückt behalten
soll, die vom Eindrucke zerfließt, und nimmermehr ihre
angeborne Figur wieder erlangen kann [Spaltenumbruch] g.

Es scheinen überhaupt die berümten Gegner, die
Freiheit zu Empfinden, auf Misbrauch zu ziehen, wenn
sie einem Nerven Kräfte beilegen, denen doch dessen gan-
zes zuwider ist h. Es ist nämlich der ganze Nerve,
ausser seinen Membranen und Gefässen, welche doch ge-
wiß weder Empfindungen, noch Bewegungen machen kön-
nen, weich i. Er ist auch eben so wenig gespannt [Spaltenumbruch] k,
so erträglich man auch immer dieses Wort erklären mag,
indem dasienige gespannt ist, welches, wenn es losge-
lassen wird, kürzer wird. Wir haben aber gezeigt l,
daß sich ein zerschnittener Nerve, vermöge einer Feder-
kraft, so wenig zurücke zieht, daß vielmehr sein marki-
ger Brei über der Wunde hervorragt. Ja es hat kein
Nerve eine Reitzbarkeit m, und es läßt sich diese
Schwingung durch keine Kunst bewerkstelligen, oder zum
Vorschein bringen n.

Wenn die Nerven ferner, nach der Meinung unsrer
Gegner, nicht nur empfinden, sondern auch thierische

Be-
g Keine Bebungen im Gehirne
lehret, Lieutaud physiol. p. 252.
h p. 193 seq.
i Nerven sind weich, Vieussens
tr. des liq. p. 214. Langrisch musc.
mot. p. 62. I. Steph. Guettard. Ergo
nervi canales, Paris.
1743.
k Schaarschmidt physiol. T. I.
p. 869. Parsons of musc. mot. T. II.
p. 49. Monroo on nerv. p. 351. et
Cheseld. anat. p.
228.
l p. 193.
m p. 195.
n ibid. Pagani et Bonioli p. 186.
N n 4

VIII. Abſchnitt. Die Muthmaſſungen.
Eindrucke mehrmal hin und her beben, und ihre Schlaͤge
vervielfachen koͤnnten.

Wir wiſſen aber, was elaſtiſche Koͤrper eigentlich
ſind, und wir erkennen mit Zuverlaͤßigkeit, daß das
breiige Weſen des Gehirns, und der Nerven, dahin nicht
gezogen werden kann. Man konnte in der That zu einer
Schwingekraft kein ungereimteres Mittel, als einen
Brei, erdenken, der den Eindruck vom Finger in ſich neh-
men, und die eingedruckte Straſſe unverruͤckt behalten
ſoll, die vom Eindrucke zerfließt, und nimmermehr ihre
angeborne Figur wieder erlangen kann [Spaltenumbruch] g.

Es ſcheinen uͤberhaupt die beruͤmten Gegner, die
Freiheit zu Empfinden, auf Misbrauch zu ziehen, wenn
ſie einem Nerven Kraͤfte beilegen, denen doch deſſen gan-
zes zuwider iſt h. Es iſt naͤmlich der ganze Nerve,
auſſer ſeinen Membranen und Gefaͤſſen, welche doch ge-
wiß weder Empfindungen, noch Bewegungen machen koͤn-
nen, weich i. Er iſt auch eben ſo wenig geſpannt [Spaltenumbruch] k,
ſo ertraͤglich man auch immer dieſes Wort erklaͤren mag,
indem dasienige geſpannt iſt, welches, wenn es losge-
laſſen wird, kuͤrzer wird. Wir haben aber gezeigt l,
daß ſich ein zerſchnittener Nerve, vermoͤge einer Feder-
kraft, ſo wenig zuruͤcke zieht, daß vielmehr ſein marki-
ger Brei uͤber der Wunde hervorragt. Ja es hat kein
Nerve eine Reitzbarkeit m, und es laͤßt ſich dieſe
Schwingung durch keine Kunſt bewerkſtelligen, oder zum
Vorſchein bringen n.

Wenn die Nerven ferner, nach der Meinung unſrer
Gegner, nicht nur empfinden, ſondern auch thieriſche

Be-
g Keine Bebungen im Gehirne
lehret, Lieutaud phyſiol. p. 252.
h p. 193 ſeq.
i Nerven ſind weich, Vieuſſens
tr. des liq. p. 214. Langriſch muſc.
mot. p. 62. I. Steph. Guettard. Ergo
nervi canales, Pariſ.
1743.
k Schaarſchmidt phyſiol. T. I.
p. 869. Parſons of muſc. mot. T. II.
p. 49. Monroo on nerv. p. 351. et
Cheſeld. anat. p.
228.
l p. 193.
m p. 195.
n ibid. Pagani et Bonioli p. 186.
N n 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0603" n="567"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">VIII.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Die Muthma&#x017F;&#x017F;ungen.</hi></fw><lb/>
Eindrucke mehrmal hin und her beben, und ihre Schla&#x0364;ge<lb/>
vervielfachen ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
            <p>Wir wi&#x017F;&#x017F;en aber, was ela&#x017F;ti&#x017F;che Ko&#x0364;rper eigentlich<lb/>
&#x017F;ind, und wir erkennen mit Zuverla&#x0364;ßigkeit, daß das<lb/>
breiige We&#x017F;en des Gehirns, und der Nerven, dahin nicht<lb/>
gezogen werden kann. Man konnte in der That zu einer<lb/>
Schwingekraft kein ungereimteres Mittel, als einen<lb/>
Brei, erdenken, der den Eindruck vom Finger in &#x017F;ich neh-<lb/>
men, und die eingedruckte Stra&#x017F;&#x017F;e unverru&#x0364;ckt behalten<lb/>
&#x017F;oll, die vom Eindrucke zerfließt, und nimmermehr ihre<lb/>
angeborne Figur wieder erlangen kann <cb/>
<note place="foot" n="g">Keine Bebungen im Gehirne<lb/>
lehret, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Lieutaud</hi> phy&#x017F;iol. p.</hi> 252.</note>.</p><lb/>
            <p>Es &#x017F;cheinen u&#x0364;berhaupt die beru&#x0364;mten Gegner, die<lb/>
Freiheit zu Empfinden, auf Misbrauch zu ziehen, wenn<lb/>
&#x017F;ie einem Nerven Kra&#x0364;fte beilegen, denen doch de&#x017F;&#x017F;en gan-<lb/>
zes zuwider i&#x017F;t <note place="foot" n="h"><hi rendition="#aq">p. 193 &#x017F;eq.</hi></note>. Es i&#x017F;t na&#x0364;mlich der ganze Nerve,<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er &#x017F;einen Membranen und Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, welche doch ge-<lb/>
wiß weder Empfindungen, noch Bewegungen machen ko&#x0364;n-<lb/>
nen, weich <note place="foot" n="i">Nerven &#x017F;ind weich, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Vieu&#x017F;&#x017F;ens</hi><lb/>
tr. des liq. p. 214. <hi rendition="#i">Langri&#x017F;ch</hi> mu&#x017F;c.<lb/>
mot. p. 62. <hi rendition="#i">I. Steph. Guettard.</hi> Ergo<lb/>
nervi canales, Pari&#x017F;.</hi> 1743.</note>. Er i&#x017F;t auch eben &#x017F;o wenig ge&#x017F;pannt <cb/>
<note place="foot" n="k"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#i">Schaar&#x017F;chmidt</hi> phy&#x017F;iol. T. I.<lb/>
p. 869. <hi rendition="#i">Par&#x017F;ons</hi> of mu&#x017F;c. mot. T. II.<lb/>
p. 49. <hi rendition="#i">Monroo</hi> on nerv. p. 351. et<lb/><hi rendition="#i">Che&#x017F;eld.</hi> anat. p.</hi> 228.</note>,<lb/>
&#x017F;o ertra&#x0364;glich man auch immer die&#x017F;es Wort erkla&#x0364;ren mag,<lb/>
indem dasienige ge&#x017F;pannt i&#x017F;t, welches, wenn es losge-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en wird, ku&#x0364;rzer wird. Wir haben aber gezeigt <note place="foot" n="l"><hi rendition="#aq">p.</hi> 193.</note>,<lb/>
daß &#x017F;ich ein zer&#x017F;chnittener Nerve, vermo&#x0364;ge einer Feder-<lb/>
kraft, &#x017F;o wenig zuru&#x0364;cke zieht, daß vielmehr &#x017F;ein marki-<lb/>
ger Brei u&#x0364;ber der Wunde hervorragt. Ja es hat kein<lb/>
Nerve eine Reitzbarkeit <note place="foot" n="m"><hi rendition="#aq">p.</hi> 195.</note>, und es la&#x0364;ßt &#x017F;ich die&#x017F;e<lb/>
Schwingung durch keine Kun&#x017F;t bewerk&#x017F;telligen, oder zum<lb/>
Vor&#x017F;chein bringen <note place="foot" n="n"><hi rendition="#aq">ibid. <hi rendition="#i">Pagani</hi> et <hi rendition="#i">Bonioli</hi> p.</hi> 186.</note>.</p><lb/>
            <p>Wenn die Nerven ferner, nach der Meinung un&#x017F;rer<lb/>
Gegner, nicht nur empfinden, &#x017F;ondern auch thieri&#x017F;che<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N n 4</fw><fw place="bottom" type="catch">Be-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[567/0603] VIII. Abſchnitt. Die Muthmaſſungen. Eindrucke mehrmal hin und her beben, und ihre Schlaͤge vervielfachen koͤnnten. Wir wiſſen aber, was elaſtiſche Koͤrper eigentlich ſind, und wir erkennen mit Zuverlaͤßigkeit, daß das breiige Weſen des Gehirns, und der Nerven, dahin nicht gezogen werden kann. Man konnte in der That zu einer Schwingekraft kein ungereimteres Mittel, als einen Brei, erdenken, der den Eindruck vom Finger in ſich neh- men, und die eingedruckte Straſſe unverruͤckt behalten ſoll, die vom Eindrucke zerfließt, und nimmermehr ihre angeborne Figur wieder erlangen kann g. Es ſcheinen uͤberhaupt die beruͤmten Gegner, die Freiheit zu Empfinden, auf Misbrauch zu ziehen, wenn ſie einem Nerven Kraͤfte beilegen, denen doch deſſen gan- zes zuwider iſt h. Es iſt naͤmlich der ganze Nerve, auſſer ſeinen Membranen und Gefaͤſſen, welche doch ge- wiß weder Empfindungen, noch Bewegungen machen koͤn- nen, weich i. Er iſt auch eben ſo wenig geſpannt k, ſo ertraͤglich man auch immer dieſes Wort erklaͤren mag, indem dasienige geſpannt iſt, welches, wenn es losge- laſſen wird, kuͤrzer wird. Wir haben aber gezeigt l, daß ſich ein zerſchnittener Nerve, vermoͤge einer Feder- kraft, ſo wenig zuruͤcke zieht, daß vielmehr ſein marki- ger Brei uͤber der Wunde hervorragt. Ja es hat kein Nerve eine Reitzbarkeit m, und es laͤßt ſich dieſe Schwingung durch keine Kunſt bewerkſtelligen, oder zum Vorſchein bringen n. Wenn die Nerven ferner, nach der Meinung unſrer Gegner, nicht nur empfinden, ſondern auch thieriſche Be- g Keine Bebungen im Gehirne lehret, Lieutaud phyſiol. p. 252. h p. 193 ſeq. i Nerven ſind weich, Vieuſſens tr. des liq. p. 214. Langriſch muſc. mot. p. 62. I. Steph. Guettard. Ergo nervi canales, Pariſ. 1743. k Schaarſchmidt phyſiol. T. I. p. 869. Parſons of muſc. mot. T. II. p. 49. Monroo on nerv. p. 351. et Cheſeld. anat. p. 228. l p. 193. m p. 195. n ibid. Pagani et Bonioli p. 186. N n 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/603
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 4. Berlin, 1768, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende04_1768/603>, abgerufen am 25.11.2024.