ihm die Namen der Dinge, und die Sprache in das Gemüth (c). Der Leser wird mich entschuldigen, daß ich hier de Grundzüge ei- ner der schönsten Künste berühren wollen.
§. 14. Noch eine andre Weise, wie man Taube unterrichten könne.
Jch muß noch von einer Kunst Meldung thun, die zwar ei- gentlich nicht hierher gehöret, vermöge welcher aber Stumme nicht lernen, die Werkzeuge der Stimme recht zu gebrauchen, sondern man kömmt ihnen vielmehr mit einem andern Gehörwerkzeuge zu Hülfe, auf welches man indessen doch durch die Beobachtung der Natur gefallen ist. Es theilen sich nemlich die schallenden Zitte- rungen, welche unser träges Ohr nicht gewahr wird, den Knochen des Kopfes mit, und sie gelangen also, ohne die Umwege der Trommelhaut zu berühren, zum Gehörnerven. Es kann also ein klingender Körper auf den Kopf des Kranken angelegt (d), oder, wel- ches noch besser ist, ein Stäbchen in dem Mund des Redenden, und zwischen die Zähne dessen, der es hören will, genommen wer- den. Solchergestalt zwingt die Luft, welche aus der Glottis des redenden Menschen fähret, das Stäbchen, Schwingungen anzu- nehmen, indessen daß der taube diese Zitterungen wahrnimmt (e). Jn der That unterscheidet der taube genau den Ton der Zitter, wenn er den Finger daran hält, und wenn er die Hand des Reden- den ergreifet, so weiß er seine Stimme, nebst den Silben, durch das Zittern zu unterscheiden (f). Ein anderer tauber nahm ein Horn in den Mund, und hörete damit die Gespräche an (g), ja es be- richtet J. Bapt. Porta, daß, wenn man dergleichen zwischen den Zähnen hielte, ein tauber den Schall der Jnstrumenten hören könne (h). Endlich konnte eine Jungfer, welche taub war, mit den Augen hören, wenn man ihr auf den Arm, die Stirn oder den Rükken Buchstaben aufschrieb, und sie wuste den Ge- danken des Schreibers geschwinde zu treffen (i).
Regi-
(c) S. 103. 104.
(d)Gautier in seinen obs. phys.
(e)Jorissen diss. de nova methodo, surdos reddendi audien- res, Halle 1757. eavmer de surd. a nativ. cur. Commerc. Litt. Norimb. 1743. hebdom. 12.
(f)[Spaltenumbruch]kaavw de perspir. n. 1100. Dieser bekannte Mann hörete selbst nach der Erfahrung, daß er sogar die Fehler der Redenden zu unterscheiden wußte, impet. fac. n. 372.
(g)welsch episagm. obs. 24.
(h)Magia nat. Lib. XX. c. 1. monroo de nervis. S. 376.
(i)Journ. de Medec. 1657. Juin.
Ende des dritten Theils.
Die Stimme. IX. Buch.
ihm die Namen der Dinge, und die Sprache in das Gemuͤth (c). Der Leſer wird mich entſchuldigen, daß ich hier de Grundzuͤge ei- ner der ſchoͤnſten Kuͤnſte beruͤhren wollen.
§. 14. Noch eine andre Weiſe, wie man Taube unterrichten koͤnne.
Jch muß noch von einer Kunſt Meldung thun, die zwar ei- gentlich nicht hierher gehoͤret, vermoͤge welcher aber Stumme nicht lernen, die Werkzeuge der Stimme recht zu gebrauchen, ſondern man koͤmmt ihnen vielmehr mit einem andern Gehoͤrwerkzeuge zu Huͤlfe, auf welches man indeſſen doch durch die Beobachtung der Natur gefallen iſt. Es theilen ſich nemlich die ſchallenden Zitte- rungen, welche unſer traͤges Ohr nicht gewahr wird, den Knochen des Kopfes mit, und ſie gelangen alſo, ohne die Umwege der Trommelhaut zu beruͤhren, zum Gehoͤrnerven. Es kann alſo ein klingender Koͤrper auf den Kopf des Kranken angelegt (d), oder, wel- ches noch beſſer iſt, ein Staͤbchen in dem Mund des Redenden, und zwiſchen die Zaͤhne deſſen, der es hoͤren will, genommen wer- den. Solchergeſtalt zwingt die Luft, welche aus der Glottis des redenden Menſchen faͤhret, das Staͤbchen, Schwingungen anzu- nehmen, indeſſen daß der taube dieſe Zitterungen wahrnimmt (e). Jn der That unterſcheidet der taube genau den Ton der Zitter, wenn er den Finger daran haͤlt, und wenn er die Hand des Reden- den ergreifet, ſo weiß er ſeine Stimme, nebſt den Silben, durch das Zittern zu unterſcheiden (f). Ein anderer tauber nahm ein Horn in den Mund, und hoͤrete damit die Geſpraͤche an (g), ja es be- richtet J. Bapt. Porta, daß, wenn man dergleichen zwiſchen den Zaͤhnen hielte, ein tauber den Schall der Jnſtrumenten hoͤren koͤnne (h). Endlich konnte eine Jungfer, welche taub war, mit den Augen hoͤren, wenn man ihr auf den Arm, die Stirn oder den Ruͤkken Buchſtaben aufſchrieb, und ſie wuſte den Ge- danken des Schreibers geſchwinde zu treffen (i).
Regi-
(c) S. 103. 104.
(d)Gautier in ſeinen obſ. phyſ.
(e)Joriſſen diſſ. de nova methodo, ſurdos reddendi audien- res, Halle 1757. eavmer de ſurd. a nativ. cur. Commerc. Litt. Norimb. 1743. hebdom. 12.
(f)[Spaltenumbruch]kaavw de perſpir. n. 1100. Dieſer bekannte Mann hoͤrete ſelbſt nach der Erfahrung, daß er ſogar die Fehler der Redenden zu unterſcheiden wußte, impet. fac. n. 372.
(g)welſch epiſagm. obſ. 24.
(h)Magia nat. Lib. XX. c. 1. monroo de nervis. S. 376.
(i)Journ. de Medec. 1657. Juin.
Ende des dritten Theils.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0758"n="750[752]"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">Die Stimme. <hirendition="#aq">IX.</hi> Buch.</hi></fw><lb/>
ihm die Namen der Dinge, und die Sprache in das Gemuͤth <noteplace="foot"n="(c)">S. 103. 104.</note>.<lb/>
Der Leſer wird mich entſchuldigen, daß ich hier de Grundzuͤge ei-<lb/>
ner der ſchoͤnſten Kuͤnſte beruͤhren wollen.</p></div><lb/><divn="3"><head>§. 14.<lb/><hirendition="#b">Noch eine andre Weiſe, wie man Taube unterrichten koͤnne.</hi></head><lb/><p>Jch muß noch von einer Kunſt Meldung thun, die zwar ei-<lb/>
gentlich nicht hierher gehoͤret, vermoͤge welcher aber Stumme nicht<lb/>
lernen, die Werkzeuge der Stimme recht zu gebrauchen, ſondern<lb/>
man koͤmmt ihnen vielmehr mit einem andern Gehoͤrwerkzeuge zu<lb/>
Huͤlfe, auf welches man indeſſen doch durch die Beobachtung der<lb/>
Natur gefallen iſt. Es theilen ſich nemlich die ſchallenden Zitte-<lb/>
rungen, welche unſer traͤges Ohr nicht gewahr wird, den Knochen<lb/>
des Kopfes mit, und ſie gelangen alſo, ohne die Umwege der<lb/>
Trommelhaut zu beruͤhren, zum Gehoͤrnerven. Es kann alſo ein<lb/>
klingender Koͤrper auf den Kopf des Kranken angelegt <noteplace="foot"n="(d)"><hirendition="#fr">Gautier</hi> in ſeinen <hirendition="#aq">obſ. phyſ.</hi></note>, oder, wel-<lb/>
ches noch beſſer iſt, ein Staͤbchen in dem Mund des Redenden,<lb/>
und zwiſchen die Zaͤhne deſſen, der es hoͤren will, genommen wer-<lb/>
den. Solchergeſtalt zwingt die Luft, welche aus der Glottis des<lb/>
redenden Menſchen faͤhret, das Staͤbchen, Schwingungen anzu-<lb/>
nehmen, indeſſen daß der taube dieſe Zitterungen wahrnimmt <noteplace="foot"n="(e)"><hirendition="#aq"><hirendition="#g"><hirendition="#k">Joriſſen</hi></hi> diſſ. de nova<lb/>
methodo, ſurdos reddendi audien-<lb/>
res,</hi> Halle 1757. <hirendition="#aq"><hirendition="#g"><hirendition="#k">eavmer</hi></hi> de ſurd.<lb/>
a nativ. cur. Commerc. Litt. Norimb.<lb/>
1743. hebdom.</hi> 12.</note>.<lb/>
Jn der That unterſcheidet der taube genau den Ton der Zitter,<lb/>
wenn er den Finger daran haͤlt, und wenn er die Hand des Reden-<lb/>
den ergreifet, ſo weiß er ſeine Stimme, nebſt den Silben, durch das<lb/>
Zittern zu unterſcheiden <noteplace="foot"n="(f)"><cb/><hirendition="#aq"><hirendition="#g"><hirendition="#k">kaavw</hi></hi> de perſpir. n.</hi> 1100.<lb/>
Dieſer bekannte Mann hoͤrete ſelbſt<lb/>
nach der Erfahrung, daß er ſogar die<lb/>
Fehler der Redenden zu unterſcheiden<lb/>
wußte, <hirendition="#aq">impet. fac. n.</hi> 372.</note>. Ein anderer tauber nahm ein Horn<lb/>
in den Mund, und hoͤrete damit die Geſpraͤche an <noteplace="foot"n="(g)"><hirendition="#aq"><hirendition="#g"><hirendition="#k">welſch</hi></hi> epiſagm. obſ.</hi> 24.</note>, ja es be-<lb/>
richtet <hirendition="#fr">J. Bapt. Porta,</hi> daß, wenn man dergleichen zwiſchen den<lb/>
Zaͤhnen hielte, ein tauber den Schall der Jnſtrumenten hoͤren<lb/>
koͤnne <noteplace="foot"n="(h)"><hirendition="#aq">Magia nat. Lib. XX. c. 1.<lb/><hirendition="#g"><hirendition="#k">monroo</hi></hi> de nervis.</hi> S. 376.</note>. Endlich konnte eine Jungfer, welche taub war,<lb/>
mit den Augen hoͤren, wenn man ihr auf den Arm, die Stirn<lb/>
oder den Ruͤkken Buchſtaben aufſchrieb, und ſie wuſte den Ge-<lb/>
danken des Schreibers geſchwinde zu treffen <noteplace="foot"n="(i)"><hirendition="#aq">Journ. de Medec. 1657. Juin.</hi></note>.</p></div></div></div><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Ende des dritten Theils.</hi></fw><fwplace="bottom"type="catch">Regi-</fw><lb/></body></text></TEI>
[750[752]/0758]
Die Stimme. IX. Buch.
ihm die Namen der Dinge, und die Sprache in das Gemuͤth (c).
Der Leſer wird mich entſchuldigen, daß ich hier de Grundzuͤge ei-
ner der ſchoͤnſten Kuͤnſte beruͤhren wollen.
§. 14.
Noch eine andre Weiſe, wie man Taube unterrichten koͤnne.
Jch muß noch von einer Kunſt Meldung thun, die zwar ei-
gentlich nicht hierher gehoͤret, vermoͤge welcher aber Stumme nicht
lernen, die Werkzeuge der Stimme recht zu gebrauchen, ſondern
man koͤmmt ihnen vielmehr mit einem andern Gehoͤrwerkzeuge zu
Huͤlfe, auf welches man indeſſen doch durch die Beobachtung der
Natur gefallen iſt. Es theilen ſich nemlich die ſchallenden Zitte-
rungen, welche unſer traͤges Ohr nicht gewahr wird, den Knochen
des Kopfes mit, und ſie gelangen alſo, ohne die Umwege der
Trommelhaut zu beruͤhren, zum Gehoͤrnerven. Es kann alſo ein
klingender Koͤrper auf den Kopf des Kranken angelegt (d), oder, wel-
ches noch beſſer iſt, ein Staͤbchen in dem Mund des Redenden,
und zwiſchen die Zaͤhne deſſen, der es hoͤren will, genommen wer-
den. Solchergeſtalt zwingt die Luft, welche aus der Glottis des
redenden Menſchen faͤhret, das Staͤbchen, Schwingungen anzu-
nehmen, indeſſen daß der taube dieſe Zitterungen wahrnimmt (e).
Jn der That unterſcheidet der taube genau den Ton der Zitter,
wenn er den Finger daran haͤlt, und wenn er die Hand des Reden-
den ergreifet, ſo weiß er ſeine Stimme, nebſt den Silben, durch das
Zittern zu unterſcheiden (f). Ein anderer tauber nahm ein Horn
in den Mund, und hoͤrete damit die Geſpraͤche an (g), ja es be-
richtet J. Bapt. Porta, daß, wenn man dergleichen zwiſchen den
Zaͤhnen hielte, ein tauber den Schall der Jnſtrumenten hoͤren
koͤnne (h). Endlich konnte eine Jungfer, welche taub war,
mit den Augen hoͤren, wenn man ihr auf den Arm, die Stirn
oder den Ruͤkken Buchſtaben aufſchrieb, und ſie wuſte den Ge-
danken des Schreibers geſchwinde zu treffen (i).
Regi-
(c) S. 103. 104.
(d) Gautier in ſeinen obſ. phyſ.
(e) Joriſſen diſſ. de nova
methodo, ſurdos reddendi audien-
res, Halle 1757. eavmer de ſurd.
a nativ. cur. Commerc. Litt. Norimb.
1743. hebdom. 12.
(f)
kaavw de perſpir. n. 1100.
Dieſer bekannte Mann hoͤrete ſelbſt
nach der Erfahrung, daß er ſogar die
Fehler der Redenden zu unterſcheiden
wußte, impet. fac. n. 372.
(g) welſch epiſagm. obſ. 24.
(h) Magia nat. Lib. XX. c. 1.
monroo de nervis. S. 376.
(i) Journ. de Medec. 1657. Juin.
Ende des dritten Theils.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 750[752]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/758>, abgerufen am 20.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.