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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766.

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IIII. Abschn. Das Reden.
dürfen, reden lernen, und das unschäzzbare Recht wie-
der erlangen, daß sie der menschlichen Gesellschaft beiwoh-
nen, anderer Gedanken erfahren, und ihre Empfindun-
gen andern wieder mittheilen können. Es sind dieses
solche Menschen, welche niemals das Gehör gehabt, und
also die Sprachen anderer Menschen weder empfinden, noch
nachahmen gekonnt. Es kömmt nämlich bei einer je-
den Sprache, so wie bei der Sprache der Vögel (l), sehr
viel auf das Nachahmen an. Von dieser Art Menschen
werden nicht wenige gebohren, und es hat ihr beklagens-
würdiger Zustand gemacht, daß man sich schon lange mit
grossem Eifer um die Kunst bemühet hat, dieses so gros-
se Gebrechen zu mildern, da man es nicht völlig heben
kann. Die ganze Kunst kömmt überhaupt darauf an,
daß ein stummer Mensch seine Augen auf die Lippen, Zunge,
den Luftrröhrenkopf eines andern mit Aufmerksamkeit rich-
ten muß, daß er auch die Finger an den Luftröhrenkopf
anlegt, und also eben solche Bewegungen, als ein Reden-
der, macht, an sich nachamen lernet. Wir finden hin und
wieder, und vorlängst Nachrichten von dergleichen stum-
men Menschen, welche mit den Augen gehöret haben (m),
darunter viele die gehörten Worte nicht nur nachsprechen,
sondern auch mit andern zu schwazzen gelernt haben (n).

Die Kunst selbst, da ein Lehrmeister einen stummen
Menschen anfüret, seine Empfindung durch Worte aus-
zudrükken, ward in Spanien gegen das Ende des sech-

zehn-
(l) [Spaltenumbruch] Die Nachtigallen lernen es
von ihren Eltern, und singen nicht
wol, wenn sie ohne Vater und Mutter
sind aufgezogen worden. Aedol. S 10.
(m) rvd. agric. von der Er-
findung. L. IX. lezzte Kap. zwin-
ger
phys. Med. c. 25. sal. al-
berti
de surdidate.
S. 20 I. ant.
v.
der linden phys.
S. 552. Drei
Exempel. Plot natural hist. of
Staffordshire.
S. 288. Phil. trans. n.
312. schott phys. cur. L. III. c.
33.
[Spaltenumbruch] tvlp. c. 19. L. IV. j. v. mekren. c. 19.
Eph. Nat. Cur. Dec. I. ann. I. obs. 35. p.
borell. Cent. IV. obs. 23. cl.
nic. le cat des sens.
S. 295. hist.
de l'Acad. 1737. obs.
6. Das Mäd-
chen aus Genev beim derh. phys.
theol.
S. 115.
(n) tvlpivs. ang. Ort. Eph.
Nat. Cur.
ang. Ort. Hist. de l'Acad.
ang. Ort. bovrnet beim derh.
angef. Ort. doch nur unordentlich.
Phil. trans. angef. Ort.

IIII. Abſchn. Das Reden.
duͤrfen, reden lernen, und das unſchaͤzzbare Recht wie-
der erlangen, daß ſie der menſchlichen Geſellſchaft beiwoh-
nen, anderer Gedanken erfahren, und ihre Empfindun-
gen andern wieder mittheilen koͤnnen. Es ſind dieſes
ſolche Menſchen, welche niemals das Gehoͤr gehabt, und
alſo die Sprachen anderer Menſchen weder empfinden, noch
nachahmen gekonnt. Es koͤmmt naͤmlich bei einer je-
den Sprache, ſo wie bei der Sprache der Voͤgel (l), ſehr
viel auf das Nachahmen an. Von dieſer Art Menſchen
werden nicht wenige gebohren, und es hat ihr beklagens-
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groſſem Eifer um die Kunſt bemuͤhet hat, dieſes ſo groſ-
ſe Gebrechen zu mildern, da man es nicht voͤllig heben
kann. Die ganze Kunſt koͤmmt uͤberhaupt darauf an,
daß ein ſtummer Menſch ſeine Augen auf die Lippen, Zunge,
den Luftrroͤhrenkopf eines andern mit Aufmerkſamkeit rich-
ten muß, daß er auch die Finger an den Luftroͤhrenkopf
anlegt, und alſo eben ſolche Bewegungen, als ein Reden-
der, macht, an ſich nachamen lernet. Wir finden hin und
wieder, und vorlaͤngſt Nachrichten von dergleichen ſtum-
men Menſchen, welche mit den Augen gehoͤret haben (m),
darunter viele die gehoͤrten Worte nicht nur nachſprechen,
ſondern auch mit andern zu ſchwazzen gelernt haben (n).

Die Kunſt ſelbſt, da ein Lehrmeiſter einen ſtummen
Menſchen anfuͤret, ſeine Empfindung durch Worte aus-
zudruͤkken, ward in Spanien gegen das Ende des ſech-

zehn-
(l) [Spaltenumbruch] Die Nachtigallen lernen es
von ihren Eltern, und ſingen nicht
wol, wenn ſie ohne Vater und Mutter
ſind aufgezogen worden. Aëdol. S 10.
(m) rvd. agric. von der Er-
findung. L. IX. lezzte Kap. zwin-
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phyſ. Med. c. 25. ſal. al-
berti
de ſurdidate.
S. 20 I. ant.
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Staffordshire.
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33.
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S. 295. hiſt.
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chen aus Genev beim derh. phyſ.
theol.
S. 115.
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[745[747]/0753] IIII. Abſchn. Das Reden. duͤrfen, reden lernen, und das unſchaͤzzbare Recht wie- der erlangen, daß ſie der menſchlichen Geſellſchaft beiwoh- nen, anderer Gedanken erfahren, und ihre Empfindun- gen andern wieder mittheilen koͤnnen. Es ſind dieſes ſolche Menſchen, welche niemals das Gehoͤr gehabt, und alſo die Sprachen anderer Menſchen weder empfinden, noch nachahmen gekonnt. Es koͤmmt naͤmlich bei einer je- den Sprache, ſo wie bei der Sprache der Voͤgel (l), ſehr viel auf das Nachahmen an. Von dieſer Art Menſchen werden nicht wenige gebohren, und es hat ihr beklagens- wuͤrdiger Zuſtand gemacht, daß man ſich ſchon lange mit groſſem Eifer um die Kunſt bemuͤhet hat, dieſes ſo groſ- ſe Gebrechen zu mildern, da man es nicht voͤllig heben kann. Die ganze Kunſt koͤmmt uͤberhaupt darauf an, daß ein ſtummer Menſch ſeine Augen auf die Lippen, Zunge, den Luftrroͤhrenkopf eines andern mit Aufmerkſamkeit rich- ten muß, daß er auch die Finger an den Luftroͤhrenkopf anlegt, und alſo eben ſolche Bewegungen, als ein Reden- der, macht, an ſich nachamen lernet. Wir finden hin und wieder, und vorlaͤngſt Nachrichten von dergleichen ſtum- men Menſchen, welche mit den Augen gehoͤret haben (m), darunter viele die gehoͤrten Worte nicht nur nachſprechen, ſondern auch mit andern zu ſchwazzen gelernt haben (n). Die Kunſt ſelbſt, da ein Lehrmeiſter einen ſtummen Menſchen anfuͤret, ſeine Empfindung durch Worte aus- zudruͤkken, ward in Spanien gegen das Ende des ſech- zehn- (l) Die Nachtigallen lernen es von ihren Eltern, und ſingen nicht wol, wenn ſie ohne Vater und Mutter ſind aufgezogen worden. Aëdol. S 10. (m) rvd. agric. von der Er- findung. L. IX. lezzte Kap. zwin- ger phyſ. Med. c. 25. ſal. al- berti de ſurdidate. S. 20 I. ant. v. der linden phyſ. S. 552. Drei Exempel. Plot natural hiſt. of Staffordshire. S. 288. Phil. tranſ. n. 312. ſchott phyſ. cur. L. III. c. 33. tvlp. c. 19. L. IV. j. v. mekren. c. 19. Eph. Nat. Cur. Dec. I. ann. I. obſ. 35. p. borell. Cent. IV. obſ. 23. cl. nic. le cat des ſens. S. 295. hiſt. de l’Acad. 1737. obſ. 6. Das Maͤd- chen aus Genev beim derh. phyſ. theol. S. 115. (n) tvlpivſ. ang. Ort. Eph. Nat. Cur. ang. Ort. Hiſt. de l’Acad. ang. Ort. bovrnet beim derh. angef. Ort. doch nur unordentlich. Phil. tranſ. angef. Ort.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 3. Berlin, 1766, S. 745[747]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende03_1766/753>, abgerufen am 23.11.2024.