Vorschein. Daher schrieb Stahl und alle diejenigen, welche bereits vor Stahls Zeiten der Seele| auch die Herrschaft über die Bewegungen des Lebens auftrugen, daß die Seele die Gewalt über die Absonderung ausübe, und noch vor kurzem (c) eignete Adolf Friedrich Hof- mann(d), da er, wie ich davor halte, die Macht der helfenden Nerven einsahe, den ganzen Unterscheid in den Absondrungen, der Seele zu, indem diese mit Hülfe der Schliesringe, oder der Klappen die Scheidemündungen im Zaum halten und selbige bald verschlissen soll, um nicht Theilchen die ihrer vorhersehenden Absicht zu wieder wären durchzulassen; bald heist es, soll die Seele diese Durchgänge für Theilchen eröfnen, welche sie durch diese Schlagbäume hindurch zu lassen vor gut befindet.
Doch das heist in der That zu weit gegangen, und wir müssen uns hier erinnern, daß auch in Pflanzen Säfte abgesondert, und daß von der allgemeinen, durch die Wurzel eingesognen Saftmasse, die Balsamteile, Harz, Gummi und eine gefärbte Milch geschieden wird. Was den Menschen betrift, so kan man nicht zweifeln, daß nicht die Kraft der Nerven viele Gewalt ausüben sollte. Wenigstens ersiehet man aus dem Harne hipochondri- scher Personen (e), daß die Nerven die Harnmündungen verschnüren, indem selbige die dikken Theile zurükke wei- sen, welches auch von allen farbigen Theilen gilt, und daß sie nichts als blosses Wasser durchlassen.
Eben so findet auch in den übrigen Exempeln, gesezzt, daß auch hier die Anatomie uns im Stiche lisse, keine Bedenklichkeit statt, daß man nicht in Drüsen äusserst kleine und unsichtbare Muskelchen annehmen könnte, wel- che von erst welchen scharfen Körpern gereizt, durch wechselweises Zusammenziehn und Loslassen ihre Vläs-
chen
(c)[Spaltenumbruch]perrault du toucher. S. 537.
(d)Nov. hypothes. Physiolog. S. 13.
(e)[Spaltenumbruch]
Vergleichet damit den Kuhn, Hooke, Kratzenstein, an angef. Orten.
Siebendes Buch. Die Urſachen
Vorſchein. Daher ſchrieb Stahl und alle diejenigen, welche bereits vor Stahls Zeiten der Seele| auch die Herrſchaft uͤber die Bewegungen des Lebens auftrugen, daß die Seele die Gewalt uͤber die Abſonderung ausuͤbe, und noch vor kurzem (c) eignete Adolf Friedrich Hof- mann(d), da er, wie ich davor halte, die Macht der helfenden Nerven einſahe, den ganzen Unterſcheid in den Abſondrungen, der Seele zu, indem dieſe mit Huͤlfe der Schliesringe, oder der Klappen die Scheidemuͤndungen im Zaum halten und ſelbige bald verſchliſſen ſoll, um nicht Theilchen die ihrer vorherſehenden Abſicht zu wieder waͤren durchzulaſſen; bald heiſt es, ſoll die Seele dieſe Durchgaͤnge fuͤr Theilchen eroͤfnen, welche ſie durch dieſe Schlagbaͤume hindurch zu laſſen vor gut befindet.
Doch das heiſt in der That zu weit gegangen, und wir muͤſſen uns hier erinnern, daß auch in Pflanzen Saͤfte abgeſondert, und daß von der allgemeinen, durch die Wurzel eingeſognen Saftmaſſe, die Balſamteile, Harz, Gummi und eine gefaͤrbte Milch geſchieden wird. Was den Menſchen betrift, ſo kan man nicht zweifeln, daß nicht die Kraft der Nerven viele Gewalt ausuͤben ſollte. Wenigſtens erſiehet man aus dem Harne hipochondri- ſcher Perſonen (e), daß die Nerven die Harnmuͤndungen verſchnuͤren, indem ſelbige die dikken Theile zuruͤkke wei- ſen, welches auch von allen farbigen Theilen gilt, und daß ſie nichts als bloſſes Waſſer durchlaſſen.
Eben ſo findet auch in den uͤbrigen Exempeln, geſezzt, daß auch hier die Anatomie uns im Stiche liſſe, keine Bedenklichkeit ſtatt, daß man nicht in Druͤſen aͤuſſerſt kleine und unſichtbare Muskelchen annehmen koͤnnte, wel- che von erſt welchen ſcharfen Koͤrpern gereizt, durch wechſelweiſes Zuſammenziehn und Loslaſſen ihre Vlaͤs-
chen
(c)[Spaltenumbruch]perrault du toucher. S. 537.
(d)Nov. hypotheſ. Phyſiolog. S. 13.
(e)[Spaltenumbruch]
Vergleichet damit den Kuhn, Hooke, Kratzenſtein, an angef. Orten.
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Siebendes Buch. Die Urſachen
Vorſchein. Daher ſchrieb Stahl und alle diejenigen,
welche bereits vor Stahls Zeiten der Seele| auch die
Herrſchaft uͤber die Bewegungen des Lebens auftrugen,
daß die Seele die Gewalt uͤber die Abſonderung ausuͤbe,
und noch vor kurzem (c) eignete Adolf Friedrich Hof-
mann (d), da er, wie ich davor halte, die Macht der
helfenden Nerven einſahe, den ganzen Unterſcheid in den
Abſondrungen, der Seele zu, indem dieſe mit Huͤlfe der
Schliesringe, oder der Klappen die Scheidemuͤndungen
im Zaum halten und ſelbige bald verſchliſſen ſoll,
um nicht Theilchen die ihrer vorherſehenden Abſicht zu
wieder waͤren durchzulaſſen; bald heiſt es, ſoll die Seele
dieſe Durchgaͤnge fuͤr Theilchen eroͤfnen, welche ſie durch
dieſe Schlagbaͤume hindurch zu laſſen vor gut befindet.
Doch das heiſt in der That zu weit gegangen, und
wir muͤſſen uns hier erinnern, daß auch in Pflanzen Saͤfte
abgeſondert, und daß von der allgemeinen, durch die
Wurzel eingeſognen Saftmaſſe, die Balſamteile, Harz,
Gummi und eine gefaͤrbte Milch geſchieden wird. Was
den Menſchen betrift, ſo kan man nicht zweifeln, daß
nicht die Kraft der Nerven viele Gewalt ausuͤben ſollte.
Wenigſtens erſiehet man aus dem Harne hipochondri-
ſcher Perſonen (e), daß die Nerven die Harnmuͤndungen
verſchnuͤren, indem ſelbige die dikken Theile zuruͤkke wei-
ſen, welches auch von allen farbigen Theilen gilt, und
daß ſie nichts als bloſſes Waſſer durchlaſſen.
Eben ſo findet auch in den uͤbrigen Exempeln, geſezzt,
daß auch hier die Anatomie uns im Stiche liſſe, keine
Bedenklichkeit ſtatt, daß man nicht in Druͤſen aͤuſſerſt
kleine und unſichtbare Muskelchen annehmen koͤnnte, wel-
che von erſt welchen ſcharfen Koͤrpern gereizt, durch
wechſelweiſes Zuſammenziehn und Loslaſſen ihre Vlaͤs-
chen
(c)
perrault du toucher. S. 537.
(d) Nov. hypotheſ. Phyſiolog.
S. 13.
(e)
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 720. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/740>, abgerufen am 22.11.2024.
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