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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762.

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Verhältnis der Blutstoffe u. s. f.
und hipochondrische Temperament: und Schwachheit,
die ohne Reizungen ist, das so genante phlegmatische
aus.

Folglich ersiehet man aus vielen Dingen, daß Tem-
peramente nicht sowohl von den flüßigen Theilen, oder
von den Narungsmitteln, als vielmehr von den ersten
Bildungsfasern ihren Ursprung bekommen. Es behält
eben derselbe Mensch, bei einer höchst verschiednen Narung,
sie mag von Pflanzen, oder Thieren hergenommen wer-
den, seine alten Sitten und Naturgaben, die mit seinen
Bestandteilen verwant sind, unverändert bei, welches
ich an mir selbst erfare, ich mag mich alles Fleisches, oder
Weins enthalten, oder ich mag mich dieser Sachen wech-
selsweise bedienen. Kinder, die von einerlei Milch er-
närt werden, und bei denen die Narung in nichts ver-
schieden ist, sind theils ungeduldig, theils schmeichelhaft,
oder von schläfrigem Naturelle, und sie legen ihre ver-
schiedne Temperamente bereits ehe an den Tag, als sich
in ihre Säfte eine Veränderung von den Narungsmit-
teln, oder von äusserlichen Ursachen mit hinein mischen
gekonnt. Diejenigen, welche durch Verblutungen, oder
heftige Speichelkuren, fast alle ihre Säfte eingebüst ha-
ben, und also gleichsam von neugeschaffnen Säften leben,
erlangen ihr altes Temperament wieder. Die so ver-
schiednen Pflanzen des Gewächsreiches bereiten sich aus
einerlei Erde, oder von der allgemeinen Narung des
Wassers, ihre höchst verschiedne Säfte ohne Zweifel da-
her, daß sie bald eine solche, bald eine andere ursprüng-
liche Einrichtung in ihren festen Theilen mit sich bringen.
Kein einziger Mensch hat vom Kälber- oder Hammelblu-
te, welches man ihm durch die Mitteilungssprizze beige-
bracht, wie von seinem eignen Blute leben können; er
hat auch seine Sitten, wenn sie gleich ganz sonderbar
waren, davon nicht geändert, ob es gleich schien, daß er

Kälber-
P 4

Verhaͤltnis der Blutſtoffe u. ſ. f.
und hipochondriſche Temperament: und Schwachheit,
die ohne Reizungen iſt, das ſo genante phlegmatiſche
aus.

Folglich erſiehet man aus vielen Dingen, daß Tem-
peramente nicht ſowohl von den fluͤßigen Theilen, oder
von den Narungsmitteln, als vielmehr von den erſten
Bildungsfaſern ihren Urſprung bekommen. Es behaͤlt
eben derſelbe Menſch, bei einer hoͤchſt verſchiednen Narung,
ſie mag von Pflanzen, oder Thieren hergenommen wer-
den, ſeine alten Sitten und Naturgaben, die mit ſeinen
Beſtandteilen verwant ſind, unveraͤndert bei, welches
ich an mir ſelbſt erfare, ich mag mich alles Fleiſches, oder
Weins enthalten, oder ich mag mich dieſer Sachen wech-
ſelsweiſe bedienen. Kinder, die von einerlei Milch er-
naͤrt werden, und bei denen die Narung in nichts ver-
ſchieden iſt, ſind theils ungeduldig, theils ſchmeichelhaft,
oder von ſchlaͤfrigem Naturelle, und ſie legen ihre ver-
ſchiedne Temperamente bereits ehe an den Tag, als ſich
in ihre Saͤfte eine Veraͤnderung von den Narungsmit-
teln, oder von aͤuſſerlichen Urſachen mit hinein miſchen
gekonnt. Diejenigen, welche durch Verblutungen, oder
heftige Speichelkuren, faſt alle ihre Saͤfte eingebuͤſt ha-
ben, und alſo gleichſam von neugeſchaffnen Saͤften leben,
erlangen ihr altes Temperament wieder. Die ſo ver-
ſchiednen Pflanzen des Gewaͤchsreiches bereiten ſich aus
einerlei Erde, oder von der allgemeinen Narung des
Waſſers, ihre hoͤchſt verſchiedne Saͤfte ohne Zweifel da-
her, daß ſie bald eine ſolche, bald eine andere urſpruͤng-
liche Einrichtung in ihren feſten Theilen mit ſich bringen.
Kein einziger Menſch hat vom Kaͤlber- oder Hammelblu-
te, welches man ihm durch die Mitteilungsſprizze beige-
bracht, wie von ſeinem eignen Blute leben koͤnnen; er
hat auch ſeine Sitten, wenn ſie gleich ganz ſonderbar
waren, davon nicht geaͤndert, ob es gleich ſchien, daß er

Kaͤlber-
P 4
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[231/0251] Verhaͤltnis der Blutſtoffe u. ſ. f. und hipochondriſche Temperament: und Schwachheit, die ohne Reizungen iſt, das ſo genante phlegmatiſche aus. Folglich erſiehet man aus vielen Dingen, daß Tem- peramente nicht ſowohl von den fluͤßigen Theilen, oder von den Narungsmitteln, als vielmehr von den erſten Bildungsfaſern ihren Urſprung bekommen. Es behaͤlt eben derſelbe Menſch, bei einer hoͤchſt verſchiednen Narung, ſie mag von Pflanzen, oder Thieren hergenommen wer- den, ſeine alten Sitten und Naturgaben, die mit ſeinen Beſtandteilen verwant ſind, unveraͤndert bei, welches ich an mir ſelbſt erfare, ich mag mich alles Fleiſches, oder Weins enthalten, oder ich mag mich dieſer Sachen wech- ſelsweiſe bedienen. Kinder, die von einerlei Milch er- naͤrt werden, und bei denen die Narung in nichts ver- ſchieden iſt, ſind theils ungeduldig, theils ſchmeichelhaft, oder von ſchlaͤfrigem Naturelle, und ſie legen ihre ver- ſchiedne Temperamente bereits ehe an den Tag, als ſich in ihre Saͤfte eine Veraͤnderung von den Narungsmit- teln, oder von aͤuſſerlichen Urſachen mit hinein miſchen gekonnt. Diejenigen, welche durch Verblutungen, oder heftige Speichelkuren, faſt alle ihre Saͤfte eingebuͤſt ha- ben, und alſo gleichſam von neugeſchaffnen Saͤften leben, erlangen ihr altes Temperament wieder. Die ſo ver- ſchiednen Pflanzen des Gewaͤchsreiches bereiten ſich aus einerlei Erde, oder von der allgemeinen Narung des Waſſers, ihre hoͤchſt verſchiedne Saͤfte ohne Zweifel da- her, daß ſie bald eine ſolche, bald eine andere urſpruͤng- liche Einrichtung in ihren feſten Theilen mit ſich bringen. Kein einziger Menſch hat vom Kaͤlber- oder Hammelblu- te, welches man ihm durch die Mitteilungsſprizze beige- bracht, wie von ſeinem eignen Blute leben koͤnnen; er hat auch ſeine Sitten, wenn ſie gleich ganz ſonderbar waren, davon nicht geaͤndert, ob es gleich ſchien, daß er Kaͤlber- P 4

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 2. Berlin, 1762, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende02_1762/251>, abgerufen am 24.11.2024.