Jedoch will er nicht zugeben, daß man hieraus einigen Verdacht, wegen einer körperlichen Natur der Seele, schöpfen möchte.
Eben dieser Gelehrte (e) behauptet, nebst einem noch andern berühmten Manne (f), daß die Ursache des Le- bens, oder die Seele, noch etliche Stunden nach dem Ab- sterben mit dem Körper vereinigt bleibe, also daß noch einige Empfindung in dem Thiere vorhanden sey, das uns schon völlig tod zu seyn scheint, und von dieser Em- pfindung könne man die Bewegungen, die nach dem To- de übrig sind, herleiten (g).
Es hätte zwar derselbe, nach dem Beispiel anderer Schriftsteller derer heutigen Zeiten, eine körperliche See- le, die sich zerschneiden liesse, in der That annehmen kön- nen. Allein auch diese Meinung stimmt nicht einmal mit den Versuchen überein. Es bleibet nämlich im Her- zen, im Fusse, und Arme, der von meinem Körper abge- löset ist, die reizbare Natur noch eine Zeitlang zurük, und wenn man die Nerven an diesen Theilen mit reizenden Mitteln angreift, so entstehet in einem jeglichen Mus- kel des Fusses oder des Armes ein Zittern. Jch bin aber vollkommen überzeuget, daß meiner Seele dadurch nichts entgangen sey, indem sie diesen Fuß, oder diesen Arm be- lebet (h). Denn mein Wille, Verstand und Gedächtniß sind annoch vollkommen vorhanden, und es befindet sich anjezzo kein Theil von mir in diesem Finger, indem mei- ne Seele, die ihren Siz im Kopfe hat, weder einigen Ab- gang erlitten hat, noch auch das geringste von der Un- gemächlichkeit fühlet, welche dieser abgenommene Fuß oder Arm erleiden muß. Jch fühle nichts mehr von dem abgelöseten Fuß, ich bewege ihn nicht, und dennoch
wird
(e) Am angef. Ort S. 377.
(f)Senac am angef. S. 315.
(g)Whytt am angef. Ort S. 363.
(h)Memoir. sur l'irritabilite S. 51. 52.
N n n 3
Urſachen des Herzſchlages.
Jedoch will er nicht zugeben, daß man hieraus einigen Verdacht, wegen einer koͤrperlichen Natur der Seele, ſchoͤpfen moͤchte.
Eben dieſer Gelehrte (e) behauptet, nebſt einem noch andern beruͤhmten Manne (f), daß die Urſache des Le- bens, oder die Seele, noch etliche Stunden nach dem Ab- ſterben mit dem Koͤrper vereinigt bleibe, alſo daß noch einige Empfindung in dem Thiere vorhanden ſey, das uns ſchon voͤllig tod zu ſeyn ſcheint, und von dieſer Em- pfindung koͤnne man die Bewegungen, die nach dem To- de uͤbrig ſind, herleiten (g).
Es haͤtte zwar derſelbe, nach dem Beiſpiel anderer Schriftſteller derer heutigen Zeiten, eine koͤrperliche See- le, die ſich zerſchneiden lieſſe, in der That annehmen koͤn- nen. Allein auch dieſe Meinung ſtimmt nicht einmal mit den Verſuchen uͤberein. Es bleibet naͤmlich im Her- zen, im Fuſſe, und Arme, der von meinem Koͤrper abge- loͤſet iſt, die reizbare Natur noch eine Zeitlang zuruͤk, und wenn man die Nerven an dieſen Theilen mit reizenden Mitteln angreift, ſo entſtehet in einem jeglichen Mus- kel des Fuſſes oder des Armes ein Zittern. Jch bin aber vollkommen uͤberzeuget, daß meiner Seele dadurch nichts entgangen ſey, indem ſie dieſen Fuß, oder dieſen Arm be- lebet (h). Denn mein Wille, Verſtand und Gedaͤchtniß ſind annoch vollkommen vorhanden, und es befindet ſich anjezzo kein Theil von mir in dieſem Finger, indem mei- ne Seele, die ihren Siz im Kopfe hat, weder einigen Ab- gang erlitten hat, noch auch das geringſte von der Un- gemaͤchlichkeit fuͤhlet, welche dieſer abgenommene Fuß oder Arm erleiden muß. Jch fuͤhle nichts mehr von dem abgeloͤſeten Fuß, ich bewege ihn nicht, und dennoch
wird
(e) Am angef. Ort S. 377.
(f)Senac am angef. S. 315.
(g)Whytt am angef. Ort S. 363.
(h)Memoir. ſur l’irritabilité S. 51. 52.
N n n 3
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Urſachen des Herzſchlages.
Jedoch will er nicht zugeben, daß man hieraus einigen
Verdacht, wegen einer koͤrperlichen Natur der Seele,
ſchoͤpfen moͤchte.
Eben dieſer Gelehrte (e) behauptet, nebſt einem noch
andern beruͤhmten Manne (f), daß die Urſache des Le-
bens, oder die Seele, noch etliche Stunden nach dem Ab-
ſterben mit dem Koͤrper vereinigt bleibe, alſo daß noch
einige Empfindung in dem Thiere vorhanden ſey, das
uns ſchon voͤllig tod zu ſeyn ſcheint, und von dieſer Em-
pfindung koͤnne man die Bewegungen, die nach dem To-
de uͤbrig ſind, herleiten (g).
Es haͤtte zwar derſelbe, nach dem Beiſpiel anderer
Schriftſteller derer heutigen Zeiten, eine koͤrperliche See-
le, die ſich zerſchneiden lieſſe, in der That annehmen koͤn-
nen. Allein auch dieſe Meinung ſtimmt nicht einmal
mit den Verſuchen uͤberein. Es bleibet naͤmlich im Her-
zen, im Fuſſe, und Arme, der von meinem Koͤrper abge-
loͤſet iſt, die reizbare Natur noch eine Zeitlang zuruͤk, und
wenn man die Nerven an dieſen Theilen mit reizenden
Mitteln angreift, ſo entſtehet in einem jeglichen Mus-
kel des Fuſſes oder des Armes ein Zittern. Jch bin aber
vollkommen uͤberzeuget, daß meiner Seele dadurch nichts
entgangen ſey, indem ſie dieſen Fuß, oder dieſen Arm be-
lebet (h). Denn mein Wille, Verſtand und Gedaͤchtniß
ſind annoch vollkommen vorhanden, und es befindet ſich
anjezzo kein Theil von mir in dieſem Finger, indem mei-
ne Seele, die ihren Siz im Kopfe hat, weder einigen Ab-
gang erlitten hat, noch auch das geringſte von der Un-
gemaͤchlichkeit fuͤhlet, welche dieſer abgenommene Fuß
oder Arm erleiden muß. Jch fuͤhle nichts mehr von
dem abgeloͤſeten Fuß, ich bewege ihn nicht, und dennoch
wird
(e) Am angef. Ort S. 377.
(f) Senac am angef. S. 315.
(g) Whytt am angef. Ort S. 363.
(h) Memoir. ſur l’irritabilité S. 51. 52.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 933. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/989>, abgerufen am 23.11.2024.
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