Es wird mir inzwischen erlaubt seyn, daß ich den vom Anton de Marchettis auf die Bahn gebrachten Versuch, nachdem ich bereits wohl hundertmal den Brustgang ausgefüllet habe, nunmehro desto zuversicht- licher, und mit mehrerer Gewisheit, für falsch erkläre. Die der Brustdrüse angedichtete Gänge rechnet ein vor- mals gelehrter Mann (u) zu den Nerven, und ich für meine Person wolte sie vielmehr zu den Schlagäderchen rechnen: übrigens befindet sich ein grosser Unterschied zwi- schen dem weissen Saft der Brustdrüse, und dem rothen Flieswasser in dem Herzbeutel einer Menschenfrucht. Ferner stehet mir noch ein besonderer Beweisgrund im Wege, der aus der vergleichenden Anatomie hergenom- men ist, und den ich noch oft wiederholen werde. Die Natur hat nämlich vielen Thieren ein Herzbeutelwasser verliehen, denen doch die Brustdrüse versagt worden: denn ich finde, daß diese Drüse nur denenjenigen Thie- ren eigen ist, die ihre Jungen lebendig zur Welt brin- gen. Die Drüsen des Lancisius gehören offenbar zu den einzeln und Flieswasserdrüsen, aus welchen man nichts herausdrükken kann (x). Diese Art von kleinen Fleisch- wärzgen (carunculae) befindet sich an so gar mannigfal- tigen Orten, von denen nichts nach dem Herzbeutel hin- kommen kann, und es ist daher mit Recht zu vermuthen, daß nicht einmal diejenigen, welche sich in der Nähe von diesem Sakke befinden, mit der Höle desselben in eini- ger Gemeinschaft stehen. Diejenigen Blutäderchen aber, welche dieser grosse Mann uns abgezeichnet hin- terlassen hat, sind vom Geschlechte der Flieswassergefässe gewesen, wie ich es aus den Drüsen schliesse, wenn an- ders derjenige, dessen Beistandes sich dieser Gelehrte hierbei bedienet, sie wirklich nach der Natur mit gehöri- gen Fleiß hat abzeichnen lassen.
Es
(u)[Spaltenumbruch]schelhammer de aqua pericard. S. 28.
(x)[Spaltenumbruch]
Eben diese Anmerkung macht Iac. pozzi Commerc. epistolic. S. 67.
Viertes Buch. Das Herz.
Es wird mir inzwiſchen erlaubt ſeyn, daß ich den vom Anton de Marchettis auf die Bahn gebrachten Verſuch, nachdem ich bereits wohl hundertmal den Bruſtgang ausgefuͤllet habe, nunmehro deſto zuverſicht- licher, und mit mehrerer Gewisheit, fuͤr falſch erklaͤre. Die der Bruſtdruͤſe angedichtete Gaͤnge rechnet ein vor- mals gelehrter Mann (u) zu den Nerven, und ich fuͤr meine Perſon wolte ſie vielmehr zu den Schlagaͤderchen rechnen: uͤbrigens befindet ſich ein groſſer Unterſchied zwi- ſchen dem weiſſen Saft der Bruſtdruͤſe, und dem rothen Flieswaſſer in dem Herzbeutel einer Menſchenfrucht. Ferner ſtehet mir noch ein beſonderer Beweisgrund im Wege, der aus der vergleichenden Anatomie hergenom- men iſt, und den ich noch oft wiederholen werde. Die Natur hat naͤmlich vielen Thieren ein Herzbeutelwaſſer verliehen, denen doch die Bruſtdruͤſe verſagt worden: denn ich finde, daß dieſe Druͤſe nur denenjenigen Thie- ren eigen iſt, die ihre Jungen lebendig zur Welt brin- gen. Die Druͤſen des Lanciſius gehoͤren offenbar zu den einzeln und Flieswaſſerdruͤſen, aus welchen man nichts herausdruͤkken kann (x). Dieſe Art von kleinen Fleiſch- waͤrzgen (carunculae) befindet ſich an ſo gar mannigfal- tigen Orten, von denen nichts nach dem Herzbeutel hin- kommen kann, und es iſt daher mit Recht zu vermuthen, daß nicht einmal diejenigen, welche ſich in der Naͤhe von dieſem Sakke befinden, mit der Hoͤle deſſelben in eini- ger Gemeinſchaft ſtehen. Diejenigen Blutaͤderchen aber, welche dieſer groſſe Mann uns abgezeichnet hin- terlaſſen hat, ſind vom Geſchlechte der Flieswaſſergefaͤſſe geweſen, wie ich es aus den Druͤſen ſchlieſſe, wenn an- ders derjenige, deſſen Beiſtandes ſich dieſer Gelehrte hierbei bedienet, ſie wirklich nach der Natur mit gehoͤri- gen Fleiß hat abzeichnen laſſen.
Es
(u)[Spaltenumbruch]schelhammer de aqua pericard. S. 28.
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Viertes Buch. Das Herz.
Es wird mir inzwiſchen erlaubt ſeyn, daß ich den
vom Anton de Marchettis auf die Bahn gebrachten
Verſuch, nachdem ich bereits wohl hundertmal den
Bruſtgang ausgefuͤllet habe, nunmehro deſto zuverſicht-
licher, und mit mehrerer Gewisheit, fuͤr falſch erklaͤre.
Die der Bruſtdruͤſe angedichtete Gaͤnge rechnet ein vor-
mals gelehrter Mann (u) zu den Nerven, und ich fuͤr
meine Perſon wolte ſie vielmehr zu den Schlagaͤderchen
rechnen: uͤbrigens befindet ſich ein groſſer Unterſchied zwi-
ſchen dem weiſſen Saft der Bruſtdruͤſe, und dem rothen
Flieswaſſer in dem Herzbeutel einer Menſchenfrucht.
Ferner ſtehet mir noch ein beſonderer Beweisgrund im
Wege, der aus der vergleichenden Anatomie hergenom-
men iſt, und den ich noch oft wiederholen werde. Die
Natur hat naͤmlich vielen Thieren ein Herzbeutelwaſſer
verliehen, denen doch die Bruſtdruͤſe verſagt worden:
denn ich finde, daß dieſe Druͤſe nur denenjenigen Thie-
ren eigen iſt, die ihre Jungen lebendig zur Welt brin-
gen. Die Druͤſen des Lanciſius gehoͤren offenbar zu
den einzeln und Flieswaſſerdruͤſen, aus welchen man nichts
herausdruͤkken kann (x). Dieſe Art von kleinen Fleiſch-
waͤrzgen (carunculae) befindet ſich an ſo gar mannigfal-
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kommen kann, und es iſt daher mit Recht zu vermuthen,
daß nicht einmal diejenigen, welche ſich in der Naͤhe von
dieſem Sakke befinden, mit der Hoͤle deſſelben in eini-
ger Gemeinſchaft ſtehen. Diejenigen Blutaͤderchen
aber, welche dieſer groſſe Mann uns abgezeichnet hin-
terlaſſen hat, ſind vom Geſchlechte der Flieswaſſergefaͤſſe
geweſen, wie ich es aus den Druͤſen ſchlieſſe, wenn an-
ders derjenige, deſſen Beiſtandes ſich dieſer Gelehrte
hierbei bedienet, ſie wirklich nach der Natur mit gehoͤri-
gen Fleiß hat abzeichnen laſſen.
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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 560. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/616>, abgerufen am 22.11.2024.
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