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Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759.

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Zweites Buch. Gefässe.

Der vom Blute hergenommene Beweis ist schon et-
was bündiger. Es muß freilich dasselbe, nach dieser
Hipothese, welche Stuffen von auf einander folgenden
Gefässen annimt, sehr schwer in die durchsichtige Gefässe
kommen. Und doch ist es eine ganz gemeine, unschädli-
che, und mit Exempeln von uns überflüßig erwiesene
Sache, daß sich das Blut öfters und ohne Mühe durch
unverlezte, unzerrissene, oder nie beschädigte Gefässe in
die Gedärme (k), die Nieren (l), die Gebärmutter (m),
und die Haut (n) einen Durchgang bahne; daß solchem-
nach der Weg von den rothen Schlagadern in die durch-
sichtige Ausführungsgänge beinahe überall im Körper
ganz leicht und ziemlich nahe angelegt sey, und daß es
daher keines wegs das Ansehen habe, daß diese Gefässe,
vermittelst einer Reihe von dazwischen kommenden koni-
schen Schlagadern, von den rothen Schlagadern solten
unterschieden seyn. Wider diesen Vernunftschlus, wel-
cher, wie ich sehe, berühmter Männer (o) ihren Beifall
erhalten hat, machte der vortrefliche Senak (p), wel-
cher zwar die Theorie meines Lehrers, oder die verschiede-
nen Ordnungen der Gefässe eben nicht allzusehr verthei-
digen wollte, einige Einwendungen. Er läugnet, daß
die zärteste Gefäschen aus rothen Schlagadern kommen
können, weil bei dieser Theorie grosse Gefahr zu befürch-
ten sey, daß dergleichen höchst zarte Gefässe zerreissen
möchten, wenn sie Gewalt von dem heftigen Antrieb
des Blutes erleiden müsten.

Man kann aber leicht erkennen, daß sie so zart an
sich nicht sind, indem sie eine grosse Gewalt von der
Sprizze, dem Queksilber, Talge, vom Blute, den dik-
ken und schweren Säften, wie auch dem Bestreben und

dem
(k) [Spaltenumbruch] S. 105.
(l) S. 100. 101.
(m) Welches die monatliche
Reinigung beweiset.
(n) [Spaltenumbruch] S. 106.
(o) C. A. von Bergen Streit-
schrift de inflammat. sanguinea.
(p) T. II. S. 64.
Zweites Buch. Gefaͤſſe.

Der vom Blute hergenommene Beweis iſt ſchon et-
was buͤndiger. Es muß freilich daſſelbe, nach dieſer
Hipotheſe, welche Stuffen von auf einander folgenden
Gefaͤſſen annimt, ſehr ſchwer in die durchſichtige Gefaͤſſe
kommen. Und doch iſt es eine ganz gemeine, unſchaͤdli-
che, und mit Exempeln von uns uͤberfluͤßig erwieſene
Sache, daß ſich das Blut oͤfters und ohne Muͤhe durch
unverlezte, unzerriſſene, oder nie beſchaͤdigte Gefaͤſſe in
die Gedaͤrme (k), die Nieren (l), die Gebaͤrmutter (m),
und die Haut (n) einen Durchgang bahne; daß ſolchem-
nach der Weg von den rothen Schlagadern in die durch-
ſichtige Ausfuͤhrungsgaͤnge beinahe uͤberall im Koͤrper
ganz leicht und ziemlich nahe angelegt ſey, und daß es
daher keines wegs das Anſehen habe, daß dieſe Gefaͤſſe,
vermittelſt einer Reihe von dazwiſchen kommenden koni-
ſchen Schlagadern, von den rothen Schlagadern ſolten
unterſchieden ſeyn. Wider dieſen Vernunftſchlus, wel-
cher, wie ich ſehe, beruͤhmter Maͤnner (o) ihren Beifall
erhalten hat, machte der vortrefliche Senak (p), wel-
cher zwar die Theorie meines Lehrers, oder die verſchiede-
nen Ordnungen der Gefaͤſſe eben nicht allzuſehr verthei-
digen wollte, einige Einwendungen. Er laͤugnet, daß
die zaͤrteſte Gefaͤschen aus rothen Schlagadern kommen
koͤnnen, weil bei dieſer Theorie groſſe Gefahr zu befuͤrch-
ten ſey, daß dergleichen hoͤchſt zarte Gefaͤſſe zerreiſſen
moͤchten, wenn ſie Gewalt von dem heftigen Antrieb
des Blutes erleiden muͤſten.

Man kann aber leicht erkennen, daß ſie ſo zart an
ſich nicht ſind, indem ſie eine groſſe Gewalt von der
Sprizze, dem Quekſilber, Talge, vom Blute, den dik-
ken und ſchweren Saͤften, wie auch dem Beſtreben und

dem
(k) [Spaltenumbruch] S. 105.
(l) S. 100. 101.
(m) Welches die monatliche
Reinigung beweiſet.
(n) [Spaltenumbruch] S. 106.
(o) C. A. von Bergen Streit-
ſchrift de inflammat. ſanguinea.
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[222/0278] Zweites Buch. Gefaͤſſe. Der vom Blute hergenommene Beweis iſt ſchon et- was buͤndiger. Es muß freilich daſſelbe, nach dieſer Hipotheſe, welche Stuffen von auf einander folgenden Gefaͤſſen annimt, ſehr ſchwer in die durchſichtige Gefaͤſſe kommen. Und doch iſt es eine ganz gemeine, unſchaͤdli- che, und mit Exempeln von uns uͤberfluͤßig erwieſene Sache, daß ſich das Blut oͤfters und ohne Muͤhe durch unverlezte, unzerriſſene, oder nie beſchaͤdigte Gefaͤſſe in die Gedaͤrme (k), die Nieren (l), die Gebaͤrmutter (m), und die Haut (n) einen Durchgang bahne; daß ſolchem- nach der Weg von den rothen Schlagadern in die durch- ſichtige Ausfuͤhrungsgaͤnge beinahe uͤberall im Koͤrper ganz leicht und ziemlich nahe angelegt ſey, und daß es daher keines wegs das Anſehen habe, daß dieſe Gefaͤſſe, vermittelſt einer Reihe von dazwiſchen kommenden koni- ſchen Schlagadern, von den rothen Schlagadern ſolten unterſchieden ſeyn. Wider dieſen Vernunftſchlus, wel- cher, wie ich ſehe, beruͤhmter Maͤnner (o) ihren Beifall erhalten hat, machte der vortrefliche Senak (p), wel- cher zwar die Theorie meines Lehrers, oder die verſchiede- nen Ordnungen der Gefaͤſſe eben nicht allzuſehr verthei- digen wollte, einige Einwendungen. Er laͤugnet, daß die zaͤrteſte Gefaͤschen aus rothen Schlagadern kommen koͤnnen, weil bei dieſer Theorie groſſe Gefahr zu befuͤrch- ten ſey, daß dergleichen hoͤchſt zarte Gefaͤſſe zerreiſſen moͤchten, wenn ſie Gewalt von dem heftigen Antrieb des Blutes erleiden muͤſten. Man kann aber leicht erkennen, daß ſie ſo zart an ſich nicht ſind, indem ſie eine groſſe Gewalt von der Sprizze, dem Quekſilber, Talge, vom Blute, den dik- ken und ſchweren Saͤften, wie auch dem Beſtreben und dem (k) S. 105. (l) S. 100. 101. (m) Welches die monatliche Reinigung beweiſet. (n) S. 106. (o) C. A. von Bergen Streit- ſchrift de inflammat. ſanguinea. (p) T. II. S. 64.

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Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/278>, abgerufen am 22.11.2024.