Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Buch. Gefässe.
rükgestossen würde, oder in kleinere Theilchen zersprän-
ge, indem dieselben zwar einen Eingang gefunden, aber
keinen Ausgang vor sich sähen. Uebrigens nähmen nun-
mehr die Gefässe, in denen die Kügelchen fest sässen, ob
sie gleich vorher durchsichtig und unsichtbar gewesen, ei-
ne rothe Farbe an sich, und davon rühre die Röthe in
Entzündungen her. Jndessen gienge es doch auch an,
daß erweiterte kleine Gefässe, ohne daß der Antrieb ver-
mehret werden dürfte, bey einer schwächlichen Beschaf-
fenheit Blut in sich aufnehmen könnten (u). Diese
Theorie konnte man mit des Erasistratus seiner verglei-
chen (x), als welcher die Ursache der Entzündung in den
Bluttheilchen suchte, wenn diese in die äussersten Ende
derer Gefässe, welche allein einen geistigen Dunst (spiri-
tus
) aufzunehmen pflegten, hineingetrieben wären, und
beim Ausgange aus denselben stekken blieben.

Hier stand aber der erfinderische Verstand meines
grossen Lehrers noch nicht stille. Es zerspringt nämlich
ein rothes Kügelchen, nach den Leeuwenhökischen
Versuchen (y), nicht blos in sechs gelbliche, und es be-
stehen auch die feineren Säfte nicht blos aus Massen, die
um sechsmal kleiner sind, als ein rothes Kügelchen.
Weil demnach diejenigen Gefässe, welche gelbe Säfte
enthalten, aus den rothen entspringen, so schloß der vor-
trefliche Erfinder hieraus, daß es auch andre Gefässe
geben müsse, die geschikt wären, feinere Säfte, als die
gelben, durchzulassen (z), weil es Theilchen gebe, welche
sechsmal kleiner als die gelben, und um sechs und dreis-
sigmal kleiner, als die rothen wären. Jndessen wären
auch noch diese nicht einmal zart genung, oder sie kämen
noch nicht mit der Feinheit der lezten Gefäschen im Ge-

hirne
(u) [Spaltenumbruch] Prax. med. T. I. S. 314.
(x) Beim Galenus Meth. med.
L. II. VII. plvtarchvs de placi-
[Spaltenumbruch] tis Philos. L. V. n. 29. celsvs
in praefam. L. I.
(y) L. VI.
(z) Instit. rei med. n. 245. 246.

Zweites Buch. Gefaͤſſe.
ruͤkgeſtoſſen wuͤrde, oder in kleinere Theilchen zerſpraͤn-
ge, indem dieſelben zwar einen Eingang gefunden, aber
keinen Ausgang vor ſich ſaͤhen. Uebrigens naͤhmen nun-
mehr die Gefaͤſſe, in denen die Kuͤgelchen feſt ſaͤſſen, ob
ſie gleich vorher durchſichtig und unſichtbar geweſen, ei-
ne rothe Farbe an ſich, und davon ruͤhre die Roͤthe in
Entzuͤndungen her. Jndeſſen gienge es doch auch an,
daß erweiterte kleine Gefaͤſſe, ohne daß der Antrieb ver-
mehret werden duͤrfte, bey einer ſchwaͤchlichen Beſchaf-
fenheit Blut in ſich aufnehmen koͤnnten (u). Dieſe
Theorie konnte man mit des Eraſiſtratus ſeiner verglei-
chen (x), als welcher die Urſache der Entzuͤndung in den
Bluttheilchen ſuchte, wenn dieſe in die aͤuſſerſten Ende
derer Gefaͤſſe, welche allein einen geiſtigen Dunſt (ſpiri-
tus
) aufzunehmen pflegten, hineingetrieben waͤren, und
beim Ausgange aus denſelben ſtekken blieben.

Hier ſtand aber der erfinderiſche Verſtand meines
groſſen Lehrers noch nicht ſtille. Es zerſpringt naͤmlich
ein rothes Kuͤgelchen, nach den Leeuwenhoͤkiſchen
Verſuchen (y), nicht blos in ſechs gelbliche, und es be-
ſtehen auch die feineren Saͤfte nicht blos aus Maſſen, die
um ſechsmal kleiner ſind, als ein rothes Kuͤgelchen.
Weil demnach diejenigen Gefaͤſſe, welche gelbe Saͤfte
enthalten, aus den rothen entſpringen, ſo ſchloß der vor-
trefliche Erfinder hieraus, daß es auch andre Gefaͤſſe
geben muͤſſe, die geſchikt waͤren, feinere Saͤfte, als die
gelben, durchzulaſſen (z), weil es Theilchen gebe, welche
ſechsmal kleiner als die gelben, und um ſechs und dreiſ-
ſigmal kleiner, als die rothen waͤren. Jndeſſen waͤren
auch noch dieſe nicht einmal zart genung, oder ſie kaͤmen
noch nicht mit der Feinheit der lezten Gefaͤschen im Ge-

hirne
(u) [Spaltenumbruch] Prax. med. T. I. S. 314.
(x) Beim Galenus Meth. med.
L. II. VII. plvtarchvs de placi-
[Spaltenumbruch] tis Philoſ. L. V. n. 29. celsvs
in præfam. L. I.
(y) L. VI.
(z) Inſtit. rei med. n. 245. 246.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0268" n="212"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Zweites Buch. Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e.</hi></fw><lb/>
ru&#x0364;kge&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde, oder in kleinere Theilchen zer&#x017F;pra&#x0364;n-<lb/>
ge, indem die&#x017F;elben zwar einen Eingang gefunden, aber<lb/>
keinen Ausgang vor &#x017F;ich &#x017F;a&#x0364;hen. Uebrigens na&#x0364;hmen nun-<lb/>
mehr die Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, in denen die Ku&#x0364;gelchen fe&#x017F;t &#x017F;a&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, ob<lb/>
&#x017F;ie gleich vorher durch&#x017F;ichtig und un&#x017F;ichtbar gewe&#x017F;en, ei-<lb/>
ne rothe Farbe an &#x017F;ich, und davon ru&#x0364;hre die Ro&#x0364;the in<lb/>
Entzu&#x0364;ndungen her. Jnde&#x017F;&#x017F;en gienge es doch auch an,<lb/>
daß erweiterte kleine Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, ohne daß der Antrieb ver-<lb/>
mehret werden du&#x0364;rfte, bey einer &#x017F;chwa&#x0364;chlichen Be&#x017F;chaf-<lb/>
fenheit Blut in &#x017F;ich aufnehmen ko&#x0364;nnten <note place="foot" n="(u)"><cb/><hi rendition="#aq">Prax. med. T. I.</hi> S. 314.</note>. Die&#x017F;e<lb/>
Theorie konnte man mit des <hi rendition="#fr">Era&#x017F;i&#x017F;tratus</hi> &#x017F;einer verglei-<lb/>
chen <note place="foot" n="(x)">Beim <hi rendition="#fr">Galenus</hi> <hi rendition="#aq">Meth. med.<lb/>
L. II. VII. <hi rendition="#k">plvtarchvs</hi> de placi-<lb/><cb/>
tis Philo&#x017F;. L. V. n. 29. <hi rendition="#k">celsvs</hi><lb/>
in præfam. L. I.</hi></note>, als welcher die Ur&#x017F;ache der Entzu&#x0364;ndung in den<lb/>
Bluttheilchen &#x017F;uchte, wenn die&#x017F;e in die a&#x0364;u&#x017F;&#x017F;er&#x017F;ten Ende<lb/>
derer Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, welche allein einen gei&#x017F;tigen Dun&#x017F;t (<hi rendition="#aq">&#x017F;piri-<lb/>
tus</hi>) aufzunehmen pflegten, hineingetrieben wa&#x0364;ren, und<lb/>
beim Ausgange aus den&#x017F;elben &#x017F;tekken blieben.</p><lb/>
            <p>Hier &#x017F;tand aber der erfinderi&#x017F;che Ver&#x017F;tand meines<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en Lehrers noch nicht &#x017F;tille. Es zer&#x017F;pringt na&#x0364;mlich<lb/>
ein rothes Ku&#x0364;gelchen, nach den <hi rendition="#fr">Leeuwenho&#x0364;ki&#x017F;chen</hi><lb/>
Ver&#x017F;uchen <note place="foot" n="(y)"><hi rendition="#aq">L. VI.</hi></note>, nicht blos in &#x017F;echs gelbliche, und es be-<lb/>
&#x017F;tehen auch die feineren Sa&#x0364;fte nicht blos aus Ma&#x017F;&#x017F;en, die<lb/>
um &#x017F;echsmal kleiner &#x017F;ind, als ein rothes Ku&#x0364;gelchen.<lb/>
Weil demnach diejenigen Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, welche gelbe Sa&#x0364;fte<lb/>
enthalten, aus den rothen ent&#x017F;pringen, &#x017F;o &#x017F;chloß der vor-<lb/>
trefliche Erfinder hieraus, daß es auch andre Gefa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e<lb/>
geben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, die ge&#x017F;chikt wa&#x0364;ren, feinere Sa&#x0364;fte, als die<lb/>
gelben, durchzula&#x017F;&#x017F;en <note place="foot" n="(z)"><hi rendition="#aq">In&#x017F;tit. rei med. n.</hi> 245. 246.</note>, weil es Theilchen gebe, welche<lb/>
&#x017F;echsmal kleiner als die gelben, und um &#x017F;echs und drei&#x017F;-<lb/>
&#x017F;igmal kleiner, als die rothen wa&#x0364;ren. Jnde&#x017F;&#x017F;en wa&#x0364;ren<lb/>
auch noch die&#x017F;e nicht einmal zart genung, oder &#x017F;ie ka&#x0364;men<lb/>
noch nicht mit der Feinheit der lezten Gefa&#x0364;schen im Ge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hirne</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0268] Zweites Buch. Gefaͤſſe. ruͤkgeſtoſſen wuͤrde, oder in kleinere Theilchen zerſpraͤn- ge, indem dieſelben zwar einen Eingang gefunden, aber keinen Ausgang vor ſich ſaͤhen. Uebrigens naͤhmen nun- mehr die Gefaͤſſe, in denen die Kuͤgelchen feſt ſaͤſſen, ob ſie gleich vorher durchſichtig und unſichtbar geweſen, ei- ne rothe Farbe an ſich, und davon ruͤhre die Roͤthe in Entzuͤndungen her. Jndeſſen gienge es doch auch an, daß erweiterte kleine Gefaͤſſe, ohne daß der Antrieb ver- mehret werden duͤrfte, bey einer ſchwaͤchlichen Beſchaf- fenheit Blut in ſich aufnehmen koͤnnten (u). Dieſe Theorie konnte man mit des Eraſiſtratus ſeiner verglei- chen (x), als welcher die Urſache der Entzuͤndung in den Bluttheilchen ſuchte, wenn dieſe in die aͤuſſerſten Ende derer Gefaͤſſe, welche allein einen geiſtigen Dunſt (ſpiri- tus) aufzunehmen pflegten, hineingetrieben waͤren, und beim Ausgange aus denſelben ſtekken blieben. Hier ſtand aber der erfinderiſche Verſtand meines groſſen Lehrers noch nicht ſtille. Es zerſpringt naͤmlich ein rothes Kuͤgelchen, nach den Leeuwenhoͤkiſchen Verſuchen (y), nicht blos in ſechs gelbliche, und es be- ſtehen auch die feineren Saͤfte nicht blos aus Maſſen, die um ſechsmal kleiner ſind, als ein rothes Kuͤgelchen. Weil demnach diejenigen Gefaͤſſe, welche gelbe Saͤfte enthalten, aus den rothen entſpringen, ſo ſchloß der vor- trefliche Erfinder hieraus, daß es auch andre Gefaͤſſe geben muͤſſe, die geſchikt waͤren, feinere Saͤfte, als die gelben, durchzulaſſen (z), weil es Theilchen gebe, welche ſechsmal kleiner als die gelben, und um ſechs und dreiſ- ſigmal kleiner, als die rothen waͤren. Jndeſſen waͤren auch noch dieſe nicht einmal zart genung, oder ſie kaͤmen noch nicht mit der Feinheit der lezten Gefaͤschen im Ge- hirne (u) Prax. med. T. I. S. 314. (x) Beim Galenus Meth. med. L. II. VII. plvtarchvs de placi- tis Philoſ. L. V. n. 29. celsvs in præfam. L. I. (y) L. VI. (z) Inſtit. rei med. n. 245. 246.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/268
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 1. Berlin, 1759, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende01_1759/268>, abgerufen am 25.11.2024.