Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 2. Riga u. a., 1772.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Kinderhaus u. Accouchier-Hospital
&q;men, die man ihnen durch ein Tuch zu saugen
&q;giebt: Denn kan wol eine Bauersfrau, besonders
&q;im Sommer, so viele Zeit entübrigen, um ihr
&q;Kind selbst stillen, und an der Brust aufziehen
&q;zu können?"

Jch antworte hierauf: man hat in Frankreich
und England mit der größten Vorsicht Versuche
darüber angestellt, und befunden, daß von denen
Kindern, die nicht an der Brust erzogen werden,
allemal mer als die Hälfte gestorben sind. Jch
zweifle, daß jemand bei uns richtige Beobachtun-
gen gemacht habe, wie viel von solchen Kindern
am Leben bleiben, oder sterben. Es wird alles
darauf hinaus laufen, daß man gewönlicher Weise
sagt: "Leute aus unserm Lande können viele Kälte
&q;ertragen, und dieses daher, weil die kleinen Kin-
&q;der merenteils nur im bloßen Hemde und ohne
&q;Mützen viel in der Kälte herum laufen." Jch
gebe zu, daß diejenigen, welche dieses überstan-
den haben, gewiß dadurch hart werden, und eine
dauerhafte Gesundheit erlangen müssen: allein wie
groß die Anzal derer sei, die in solchen Proben da-
hin sterben, wird vielleicht noch niemand genau an-
gemerkt haben. Daher wird man bei diesem Kin-
derhause in Ansehung der Narung den besten und
sichersten Weg wählen, weil dieses einer der wich-
tigsten Umstände ist, worauf sehr vieles beruhet.

Ohne

I. Kinderhaus u. Accouchier-Hoſpital
&q;men, die man ihnen durch ein Tuch zu ſaugen
&q;giebt: Denn kan wol eine Bauersfrau, beſonders
&q;im Sommer, ſo viele Zeit entuͤbrigen, um ihr
&q;Kind ſelbſt ſtillen, und an der Bruſt aufziehen
&q;zu koͤnnen?„

Jch antworte hierauf: man hat in Frankreich
und England mit der groͤßten Vorſicht Verſuche
daruͤber angeſtellt, und befunden, daß von denen
Kindern, die nicht an der Bruſt erzogen werden,
allemal mer als die Haͤlfte geſtorben ſind. Jch
zweifle, daß jemand bei uns richtige Beobachtun-
gen gemacht habe, wie viel von ſolchen Kindern
am Leben bleiben, oder ſterben. Es wird alles
darauf hinaus laufen, daß man gewoͤnlicher Weiſe
ſagt: „Leute aus unſerm Lande koͤnnen viele Kaͤlte
&q;ertragen, und dieſes daher, weil die kleinen Kin-
&q;der merenteils nur im bloßen Hemde und ohne
&q;Muͤtzen viel in der Kaͤlte herum laufen.„ Jch
gebe zu, daß diejenigen, welche dieſes uͤberſtan-
den haben, gewiß dadurch hart werden, und eine
dauerhafte Geſundheit erlangen muͤſſen: allein wie
groß die Anzal derer ſei, die in ſolchen Proben da-
hin ſterben, wird vielleicht noch niemand genau an-
gemerkt haben. Daher wird man bei dieſem Kin-
derhauſe in Anſehung der Narung den beſten und
ſicherſten Weg waͤhlen, weil dieſes einer der wich-
tigſten Umſtaͤnde iſt, worauf ſehr vieles beruhet.

Ohne
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0040" n="20"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">I.</hi> Kinderhaus u. Accouchier-Ho&#x017F;pital</hi></fw><lb/>
&amp;q;men, die man ihnen durch ein Tuch zu &#x017F;augen<lb/>
&amp;q;giebt: Denn kan wol eine Bauersfrau, be&#x017F;onders<lb/>
&amp;q;im Sommer, &#x017F;o viele Zeit entu&#x0364;brigen, um ihr<lb/>
&amp;q;Kind &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;tillen, und an der Bru&#x017F;t aufziehen<lb/>
&amp;q;zu ko&#x0364;nnen?&#x201E;</p><lb/>
            <p>Jch antworte hierauf: man hat in Frankreich<lb/>
und England mit der gro&#x0364;ßten Vor&#x017F;icht Ver&#x017F;uche<lb/>
daru&#x0364;ber ange&#x017F;tellt, und befunden, daß von denen<lb/>
Kindern, die nicht an der Bru&#x017F;t erzogen werden,<lb/>
allemal mer als die Ha&#x0364;lfte ge&#x017F;torben &#x017F;ind. Jch<lb/>
zweifle, daß jemand bei uns richtige Beobachtun-<lb/>
gen gemacht habe, wie viel von &#x017F;olchen Kindern<lb/>
am Leben bleiben, oder &#x017F;terben. Es wird alles<lb/>
darauf hinaus laufen, daß man gewo&#x0364;nlicher Wei&#x017F;e<lb/>
&#x017F;agt: &#x201E;Leute aus un&#x017F;erm Lande ko&#x0364;nnen viele Ka&#x0364;lte<lb/>
&amp;q;ertragen, und die&#x017F;es daher, weil die kleinen Kin-<lb/>
&amp;q;der merenteils nur im bloßen Hemde und ohne<lb/>
&amp;q;Mu&#x0364;tzen viel in der Ka&#x0364;lte herum laufen.&#x201E; Jch<lb/>
gebe zu, daß diejenigen, welche die&#x017F;es u&#x0364;ber&#x017F;tan-<lb/>
den haben, gewiß dadurch hart werden, und eine<lb/>
dauerhafte Ge&#x017F;undheit erlangen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en: allein wie<lb/>
groß die Anzal derer &#x017F;ei, die in &#x017F;olchen Proben da-<lb/>
hin &#x017F;terben, wird vielleicht noch niemand genau an-<lb/>
gemerkt haben. Daher wird man bei die&#x017F;em Kin-<lb/>
derhau&#x017F;e in An&#x017F;ehung der Narung den be&#x017F;ten und<lb/>
&#x017F;icher&#x017F;ten Weg wa&#x0364;hlen, weil die&#x017F;es einer der wich-<lb/>
tig&#x017F;ten Um&#x017F;ta&#x0364;nde i&#x017F;t, worauf &#x017F;ehr vieles beruhet.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="catch">Ohne</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[20/0040] I. Kinderhaus u. Accouchier-Hoſpital &q;men, die man ihnen durch ein Tuch zu ſaugen &q;giebt: Denn kan wol eine Bauersfrau, beſonders &q;im Sommer, ſo viele Zeit entuͤbrigen, um ihr &q;Kind ſelbſt ſtillen, und an der Bruſt aufziehen &q;zu koͤnnen?„ Jch antworte hierauf: man hat in Frankreich und England mit der groͤßten Vorſicht Verſuche daruͤber angeſtellt, und befunden, daß von denen Kindern, die nicht an der Bruſt erzogen werden, allemal mer als die Haͤlfte geſtorben ſind. Jch zweifle, daß jemand bei uns richtige Beobachtun- gen gemacht habe, wie viel von ſolchen Kindern am Leben bleiben, oder ſterben. Es wird alles darauf hinaus laufen, daß man gewoͤnlicher Weiſe ſagt: „Leute aus unſerm Lande koͤnnen viele Kaͤlte &q;ertragen, und dieſes daher, weil die kleinen Kin- &q;der merenteils nur im bloßen Hemde und ohne &q;Muͤtzen viel in der Kaͤlte herum laufen.„ Jch gebe zu, daß diejenigen, welche dieſes uͤberſtan- den haben, gewiß dadurch hart werden, und eine dauerhafte Geſundheit erlangen muͤſſen: allein wie groß die Anzal derer ſei, die in ſolchen Proben da- hin ſterben, wird vielleicht noch niemand genau an- gemerkt haben. Daher wird man bei dieſem Kin- derhauſe in Anſehung der Narung den beſten und ſicherſten Weg waͤhlen, weil dieſes einer der wich- tigſten Umſtaͤnde iſt, worauf ſehr vieles beruhet. Ohne

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772/40
Zitationshilfe: [Schlözer, August Ludwig von]: Neuverändertes Rußland oder Leben Catharinä der Zweyten Kayserinn von Rußland. Bd. 2. Riga u. a., 1772, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haigold_russland02_1772/40>, abgerufen am 23.11.2024.