Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898.Grenzen bewegt, er soll sich jedoch allen Auswüchsen derselben fern halten; ist man aber erst älter geworden, in Amt und Würden vielleicht, so muß man doppelt vorsichtig sein und sollte lieber hinter der herrschenden Mode ein wenig zurückbleiben, als sich allzu modern anziehen. Ein junger Geck ist lächerlich, ein alter verächtlich. Es liegt in der Natur des Menschen, daß er seine Ansichten und seinen Geschmack als die richtigen hinstellt und von andern auch von diesem Standpunkt aus beurteilt zu werden wünscht; wenn sich diese Ansichten und dieser Geschmack im allgemeinen nun aber nicht aus dem Menschen heraus und nach großen Vorbildern und berühmten Meistern, sondern hier im besonderen nach irgend einem englischen oder französischen Modebericht gebildet haben, so kann man doch unmöglich verlangen, daß sie von einem ernster denkenden Menschen geteilt werden. Jede Übertreibung in der Kleidung ist unästhetisch, seien es nun zu kurze oder zu lange Röcke, zu enge oder zu weite Beinkleider, zu hohe oder zu weit ausgeschnittene Westen u. s. f. Es ist mit dem Interesse für den Anzug beim Mann ähnlich wie mit dem für Essen und Trinken. Wohl soll es einem ebensowenig gleichgültig sein, Grenzen bewegt, er soll sich jedoch allen Auswüchsen derselben fern halten; ist man aber erst älter geworden, in Amt und Würden vielleicht, so muß man doppelt vorsichtig sein und sollte lieber hinter der herrschenden Mode ein wenig zurückbleiben, als sich allzu modern anziehen. Ein junger Geck ist lächerlich, ein alter verächtlich. Es liegt in der Natur des Menschen, daß er seine Ansichten und seinen Geschmack als die richtigen hinstellt und von andern auch von diesem Standpunkt aus beurteilt zu werden wünscht; wenn sich diese Ansichten und dieser Geschmack im allgemeinen nun aber nicht aus dem Menschen heraus und nach großen Vorbildern und berühmten Meistern, sondern hier im besonderen nach irgend einem englischen oder französischen Modebericht gebildet haben, so kann man doch unmöglich verlangen, daß sie von einem ernster denkenden Menschen geteilt werden. Jede Übertreibung in der Kleidung ist unästhetisch, seien es nun zu kurze oder zu lange Röcke, zu enge oder zu weite Beinkleider, zu hohe oder zu weit ausgeschnittene Westen u. s. f. Es ist mit dem Interesse für den Anzug beim Mann ähnlich wie mit dem für Essen und Trinken. Wohl soll es einem ebensowenig gleichgültig sein, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0165" n="155"/> Grenzen bewegt, er soll sich jedoch allen Auswüchsen derselben fern halten; ist man aber erst älter geworden, in Amt und Würden vielleicht, so muß man doppelt vorsichtig sein und sollte lieber hinter der herrschenden Mode ein wenig zurückbleiben, als sich allzu modern anziehen. <hi rendition="#g">Ein junger Geck ist lächerlich, ein alter verächtlich</hi>. Es liegt in der Natur des Menschen, daß er <hi rendition="#g">seine</hi> Ansichten und <hi rendition="#g">seinen</hi> Geschmack als die richtigen hinstellt und von andern auch von diesem Standpunkt aus beurteilt zu werden wünscht; wenn sich diese Ansichten und dieser Geschmack im allgemeinen nun aber nicht aus dem Menschen heraus und nach großen Vorbildern und berühmten Meistern, sondern hier im besonderen nach irgend einem englischen oder französischen Modebericht gebildet haben, so kann man doch unmöglich verlangen, daß sie von einem ernster denkenden Menschen geteilt werden. Jede Übertreibung in der Kleidung ist unästhetisch, seien es nun zu kurze oder zu lange Röcke, zu enge oder zu weite Beinkleider, zu hohe oder zu weit ausgeschnittene Westen u. s. f. Es ist mit dem Interesse für den Anzug beim Mann ähnlich wie mit dem für Essen und Trinken. Wohl soll es einem ebensowenig gleichgültig sein, </p> </div> </body> </text> </TEI> [155/0165]
Grenzen bewegt, er soll sich jedoch allen Auswüchsen derselben fern halten; ist man aber erst älter geworden, in Amt und Würden vielleicht, so muß man doppelt vorsichtig sein und sollte lieber hinter der herrschenden Mode ein wenig zurückbleiben, als sich allzu modern anziehen. Ein junger Geck ist lächerlich, ein alter verächtlich. Es liegt in der Natur des Menschen, daß er seine Ansichten und seinen Geschmack als die richtigen hinstellt und von andern auch von diesem Standpunkt aus beurteilt zu werden wünscht; wenn sich diese Ansichten und dieser Geschmack im allgemeinen nun aber nicht aus dem Menschen heraus und nach großen Vorbildern und berühmten Meistern, sondern hier im besonderen nach irgend einem englischen oder französischen Modebericht gebildet haben, so kann man doch unmöglich verlangen, daß sie von einem ernster denkenden Menschen geteilt werden. Jede Übertreibung in der Kleidung ist unästhetisch, seien es nun zu kurze oder zu lange Röcke, zu enge oder zu weite Beinkleider, zu hohe oder zu weit ausgeschnittene Westen u. s. f. Es ist mit dem Interesse für den Anzug beim Mann ähnlich wie mit dem für Essen und Trinken. Wohl soll es einem ebensowenig gleichgültig sein,
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Zitationshilfe: | Hahn, Alban von: Der Verkehr in der Guten Gesellschaft. 2. Auflage. Leipzig, ca. 1898, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hahn_verkehr_1898/165>, abgerufen am 23.02.2025. |