Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

fremden Menschen begann ich zu fürchten. Ernst mußte aus seiner Bude rücken, er konnte, er durfte mich nicht allein lassen. Einen Moment verließ mich mein ganzes Denkvermögen, ich war in diesem Augenblicke nichts, nicht einmal ein Automat, denn ich existierte in keiner Vorstellung und meine eigene hatte aufgehört.

Ich zündete die Lampe an; wie bewußtlos starrte ich in die runde, ruhige, fast weiße Flamme. Endlich ergriff ich die Feder und warf mit eigenthümlichen, langen Schriftzügen, die wie schematisierte Gliederthiere aussahen, und in denen Haar- und Schattenstrich merkwürdig deutlich ausgeprägt waren, ein paar Zeilen hin:

Lieber Ernst!

Ich ersuche Dich, heute auf ein paar Augenblicke zu M. zu kommen. Erweise mir diese Gefälligkeit. Ich bin absolut nicht imstande, eine halbe Stunde allein zu sein.

Es grüßt Dich

Dein Knut.

Als ich das Siegel darüberklebte, fühlte ich einen eigenthümlich ranzigen Geschmack auf der Zunge. Ich sandte das kurze Schreiben direct Ernst ins Haus und begab mich in das Restaurant, in

fremden Menschen begann ich zu fürchten. Ernst mußte aus seiner Bude rücken, er konnte, er durfte mich nicht allein lassen. Einen Moment verließ mich mein ganzes Denkvermögen, ich war in diesem Augenblicke nichts, nicht einmal ein Automat, denn ich existierte in keiner Vorstellung und meine eigene hatte aufgehört.

Ich zündete die Lampe an; wie bewußtlos starrte ich in die runde, ruhige, fast weiße Flamme. Endlich ergriff ich die Feder und warf mit eigenthümlichen, langen Schriftzügen, die wie schematisierte Gliederthiere aussahen, und in denen Haar- und Schattenstrich merkwürdig deutlich ausgeprägt waren, ein paar Zeilen hin:

     Lieber Ernst!

Ich ersuche Dich, heute auf ein paar Augenblicke zu M. zu kommen. Erweise mir diese Gefälligkeit. Ich bin absolut nicht imstande, eine halbe Stunde allein zu sein.

     Es grüßt Dich

          Dein Knut.

Als ich das Siegel darüberklebte, fühlte ich einen eigenthümlich ranzigen Geschmack auf der Zunge. Ich sandte das kurze Schreiben direct Ernst ins Haus und begab mich in das Restaurant, in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0056" n="58"/>
fremden Menschen begann ich zu fürchten. Ernst mußte aus seiner Bude rücken, er konnte, er durfte mich nicht allein lassen. Einen Moment verließ mich mein ganzes Denkvermögen, ich war in diesem Augenblicke nichts, nicht einmal ein Automat, denn ich existierte in keiner Vorstellung und meine eigene hatte aufgehört.</p>
          <p>Ich zündete die Lampe an; wie bewußtlos starrte ich in die runde, ruhige, fast weiße Flamme. Endlich ergriff ich die Feder und warf mit eigenthümlichen, langen Schriftzügen, die wie schematisierte Gliederthiere aussahen, und in denen Haar- und Schattenstrich merkwürdig deutlich ausgeprägt waren, ein paar Zeilen hin:</p>
          <p>     Lieber Ernst!</p>
          <p>Ich ersuche Dich, heute auf ein paar Augenblicke zu M. zu kommen. Erweise mir diese Gefälligkeit. Ich bin absolut nicht imstande, eine halbe Stunde allein zu sein.</p>
          <p>     Es grüßt Dich</p>
          <p>          Dein Knut.</p>
          <p>Als ich das Siegel darüberklebte, fühlte ich einen eigenthümlich ranzigen Geschmack auf der Zunge. Ich sandte das kurze Schreiben direct Ernst ins Haus und begab mich in das Restaurant, in
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0056] fremden Menschen begann ich zu fürchten. Ernst mußte aus seiner Bude rücken, er konnte, er durfte mich nicht allein lassen. Einen Moment verließ mich mein ganzes Denkvermögen, ich war in diesem Augenblicke nichts, nicht einmal ein Automat, denn ich existierte in keiner Vorstellung und meine eigene hatte aufgehört. Ich zündete die Lampe an; wie bewußtlos starrte ich in die runde, ruhige, fast weiße Flamme. Endlich ergriff ich die Feder und warf mit eigenthümlichen, langen Schriftzügen, die wie schematisierte Gliederthiere aussahen, und in denen Haar- und Schattenstrich merkwürdig deutlich ausgeprägt waren, ein paar Zeilen hin:      Lieber Ernst! Ich ersuche Dich, heute auf ein paar Augenblicke zu M. zu kommen. Erweise mir diese Gefälligkeit. Ich bin absolut nicht imstande, eine halbe Stunde allein zu sein.      Es grüßt Dich           Dein Knut. Als ich das Siegel darüberklebte, fühlte ich einen eigenthümlich ranzigen Geschmack auf der Zunge. Ich sandte das kurze Schreiben direct Ernst ins Haus und begab mich in das Restaurant, in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/56
Zitationshilfe: Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/56>, abgerufen am 22.11.2024.