Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

herauf, die Dampfmaschine nach Hause geführt hatte. Von Zeit zu Zeit warf ich einen Blick zum Fenster hinaus. Die Drähte der Telegraphenstangen strecken sich aus wie riesige Spinnenfinger, und es kam mir vor, als ob sie mich haschen wollten. Ich dachte nach, wie mich der langjährige, befreundete Hausarzt der Familie, mein Berather in zartester Kindheit - zu früh war mir der Vater in trauriger Weise entrissen worden - mit großen, schreckhaften Augen empfieng, wie er mit seiner leisen, heiser-rauhen Stimme zu mir sagte: "Die Mutter ist sehr krank!" Ich antwortete ihm damals, ich wußte selbst nicht weshalb, italienisch: "Si, si, ho pensato." So vorwurfsvoll klang des Dalmatiners Stimme, der meine Mutter so gerne gehabt und so treu gepflegt hatte: "Sie hätten früher kommen sollen." Ich wußte jetzt, was ich an ihr verloren hatte. Es war eine entsetzliche Fahrt. Ganz zerbrochen kam ich endlich am Abend des dieser Nacht folgenden Tages an.

12.

Ernst hatte mich am Bahnhofe abgeholt. Schon am andern Tag besuchte er mich in meiner Wohnung, zweimal, um mich beidesmal nicht zu Hause zu treffen. Als Beweis, wie ich ihn liebte, diente mir

herauf, die Dampfmaschine nach Hause geführt hatte. Von Zeit zu Zeit warf ich einen Blick zum Fenster hinaus. Die Drähte der Telegraphenstangen strecken sich aus wie riesige Spinnenfinger, und es kam mir vor, als ob sie mich haschen wollten. Ich dachte nach, wie mich der langjährige, befreundete Hausarzt der Familie, mein Berather in zartester Kindheit – zu früh war mir der Vater in trauriger Weise entrissen worden – mit großen, schreckhaften Augen empfieng, wie er mit seiner leisen, heiser-rauhen Stimme zu mir sagte: „Die Mutter ist sehr krank!“ Ich antwortete ihm damals, ich wußte selbst nicht weshalb, italienisch: „Si, si, ho pensato.“ So vorwurfsvoll klang des Dalmatiners Stimme, der meine Mutter so gerne gehabt und so treu gepflegt hatte: „Sie hätten früher kommen sollen.“ Ich wußte jetzt, was ich an ihr verloren hatte. Es war eine entsetzliche Fahrt. Ganz zerbrochen kam ich endlich am Abend des dieser Nacht folgenden Tages an.

12.

Ernst hatte mich am Bahnhofe abgeholt. Schon am andern Tag besuchte er mich in meiner Wohnung, zweimal, um mich beidesmal nicht zu Hause zu treffen. Als Beweis, wie ich ihn liebte, diente mir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0027" n="29"/>
herauf, die Dampfmaschine nach Hause geführt hatte. Von Zeit zu Zeit warf ich einen Blick zum Fenster hinaus. Die Drähte der Telegraphenstangen strecken sich aus wie riesige Spinnenfinger, und es kam mir vor, als ob sie mich haschen wollten. Ich dachte nach, wie mich der langjährige, befreundete Hausarzt der Familie, mein Berather in zartester Kindheit &#x2013; zu früh war mir der Vater in trauriger Weise entrissen worden &#x2013; mit großen, schreckhaften Augen empfieng, wie er mit seiner leisen, heiser-rauhen Stimme zu mir sagte: &#x201E;Die Mutter ist sehr krank!&#x201C; Ich antwortete ihm damals, ich wußte selbst nicht weshalb, italienisch: &#x201E;<hi rendition="#g">Si, si, ho pensato.</hi>&#x201C; So vorwurfsvoll klang des Dalmatiners Stimme, der meine Mutter so gerne gehabt und so treu gepflegt hatte: &#x201E;Sie hätten früher kommen sollen.&#x201C; Ich wußte jetzt, was ich an ihr verloren hatte. Es war eine entsetzliche Fahrt. Ganz zerbrochen kam ich endlich am Abend des dieser Nacht folgenden Tages an.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>12.</head><lb/>
          <p>Ernst hatte mich am Bahnhofe abgeholt. Schon am andern Tag besuchte er mich in meiner Wohnung, zweimal, um mich beidesmal nicht zu Hause zu treffen. Als Beweis, wie ich ihn liebte, diente mir
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0027] herauf, die Dampfmaschine nach Hause geführt hatte. Von Zeit zu Zeit warf ich einen Blick zum Fenster hinaus. Die Drähte der Telegraphenstangen strecken sich aus wie riesige Spinnenfinger, und es kam mir vor, als ob sie mich haschen wollten. Ich dachte nach, wie mich der langjährige, befreundete Hausarzt der Familie, mein Berather in zartester Kindheit – zu früh war mir der Vater in trauriger Weise entrissen worden – mit großen, schreckhaften Augen empfieng, wie er mit seiner leisen, heiser-rauhen Stimme zu mir sagte: „Die Mutter ist sehr krank!“ Ich antwortete ihm damals, ich wußte selbst nicht weshalb, italienisch: „Si, si, ho pensato.“ So vorwurfsvoll klang des Dalmatiners Stimme, der meine Mutter so gerne gehabt und so treu gepflegt hatte: „Sie hätten früher kommen sollen.“ Ich wußte jetzt, was ich an ihr verloren hatte. Es war eine entsetzliche Fahrt. Ganz zerbrochen kam ich endlich am Abend des dieser Nacht folgenden Tages an. 12. Ernst hatte mich am Bahnhofe abgeholt. Schon am andern Tag besuchte er mich in meiner Wohnung, zweimal, um mich beidesmal nicht zu Hause zu treffen. Als Beweis, wie ich ihn liebte, diente mir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/27
Zitationshilfe: Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/27>, abgerufen am 18.11.2024.