Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.

Bild:
<< vorherige Seite
6.

Er saß also und wartete.

Anfangs vergieng ihm die Zeit tödtlich, qualvoll langsam. Dann aber löste sich plötzlich ein furchtbares Druckgefühl von seiner Brust, und er fühlte sich unendlich leicht. Sie wird nicht mehr kommen! Das war für ihn eine unumstößliche Gewißheit. Jetzt vergiengen auch die Stunden rascher. Der Tag verbrannte. Es wurde dunkel. Sein Harren hatte eigentlich keinen Zweck mehr. Er wußte es selbst nicht, worauf er noch wartete. Auf jene, die er auf der Straße aufgelesen hatte, wie schon Dutzende vorher? Diese geheime, mystische Leidenschaft, die ihn geistig entmannte, die ihm seine ganze, frühere Überlegenheit raubte, war erloschen. Aber all das, was früher gewesen, kehrte deswegen doch nicht wieder.

Plötzlich wandte er seinen Blick zu der großen Astrallampe. Die Flamme brannte mit einem blendenden, qualvollen Weiß. Ihre wilde Zerhacktheitund Zerrissenheit fesselte ihn. Er empfand Schmerz, und da war es ihm, als ringe sich aus seinem tiefsten Innern etwas los, das früher ein integrer Bestandtheil seines Selbst gewesen war. Und dieses Unbestimmte begann jetzt zu denken, und er

6.

Er saß also und wartete.

Anfangs vergieng ihm die Zeit tödtlich, qualvoll langsam. Dann aber löste sich plötzlich ein furchtbares Druckgefühl von seiner Brust, und er fühlte sich unendlich leicht. Sie wird nicht mehr kommen! Das war für ihn eine unumstößliche Gewißheit. Jetzt vergiengen auch die Stunden rascher. Der Tag verbrannte. Es wurde dunkel. Sein Harren hatte eigentlich keinen Zweck mehr. Er wußte es selbst nicht, worauf er noch wartete. Auf jene, die er auf der Straße aufgelesen hatte, wie schon Dutzende vorher? Diese geheime, mystische Leidenschaft, die ihn geistig entmannte, die ihm seine ganze, frühere Überlegenheit raubte, war erloschen. Aber all das, was früher gewesen, kehrte deswegen doch nicht wieder.

Plötzlich wandte er seinen Blick zu der großen Astrallampe. Die Flamme brannte mit einem blendenden, qualvollen Weiß. Ihre wilde Zerhacktheitund Zerrissenheit fesselte ihn. Er empfand Schmerz, und da war es ihm, als ringe sich aus seinem tiefsten Innern etwas los, das früher ein integrer Bestandtheil seines Selbst gewesen war. Und dieses Unbestimmte begann jetzt zu denken, und er

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0013" n="15"/>
        <div n="2">
          <head>6.</head><lb/>
          <p>Er saß also und wartete.</p>
          <p>Anfangs vergieng ihm die Zeit tödtlich, qualvoll langsam. Dann aber löste sich plötzlich ein furchtbares Druckgefühl von seiner Brust, und er fühlte sich unendlich leicht. Sie wird nicht mehr kommen! Das war für ihn eine unumstößliche Gewißheit. Jetzt vergiengen auch die Stunden rascher. Der Tag verbrannte. Es wurde dunkel. Sein Harren hatte eigentlich keinen Zweck mehr. Er wußte es selbst nicht, worauf er noch wartete. Auf jene, die er auf der Straße aufgelesen hatte, wie schon Dutzende vorher? Diese geheime, mystische Leidenschaft, die ihn geistig entmannte, die ihm seine ganze, frühere Überlegenheit raubte, war erloschen. Aber all das, was früher gewesen, kehrte deswegen doch nicht wieder.</p>
          <p>Plötzlich wandte er seinen Blick zu der großen Astrallampe. Die Flamme brannte mit einem blendenden, qualvollen Weiß. Ihre wilde Zerhacktheitund Zerrissenheit fesselte ihn. Er empfand Schmerz, und da war es ihm, als ringe sich aus seinem tiefsten Innern etwas los, das früher ein integrer Bestandtheil seines Selbst gewesen war. Und dieses Unbestimmte begann jetzt zu denken, und er
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[15/0013] 6. Er saß also und wartete. Anfangs vergieng ihm die Zeit tödtlich, qualvoll langsam. Dann aber löste sich plötzlich ein furchtbares Druckgefühl von seiner Brust, und er fühlte sich unendlich leicht. Sie wird nicht mehr kommen! Das war für ihn eine unumstößliche Gewißheit. Jetzt vergiengen auch die Stunden rascher. Der Tag verbrannte. Es wurde dunkel. Sein Harren hatte eigentlich keinen Zweck mehr. Er wußte es selbst nicht, worauf er noch wartete. Auf jene, die er auf der Straße aufgelesen hatte, wie schon Dutzende vorher? Diese geheime, mystische Leidenschaft, die ihn geistig entmannte, die ihm seine ganze, frühere Überlegenheit raubte, war erloschen. Aber all das, was früher gewesen, kehrte deswegen doch nicht wieder. Plötzlich wandte er seinen Blick zu der großen Astrallampe. Die Flamme brannte mit einem blendenden, qualvollen Weiß. Ihre wilde Zerhacktheitund Zerrissenheit fesselte ihn. Er empfand Schmerz, und da war es ihm, als ringe sich aus seinem tiefsten Innern etwas los, das früher ein integrer Bestandtheil seines Selbst gewesen war. Und dieses Unbestimmte begann jetzt zu denken, und er

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/13
Zitationshilfe: Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/13>, abgerufen am 18.11.2024.