Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich bog nach rechts und schlug den Weg zur Gemälde-Ausstellung ein.

30.

Ich kam zur katholischen Norbertskirche, einem kleinen unscheinbaren Bau aus dem Anfang unseres Jahrhunderts. Ich fühlte mich müde und entschloß mich, einen Augenblick in der Kirche zu rasten.

Drinnen war's dämmerig, und ein süßlicher Duft von Weihrauch und ein warmer Hauch von brennenden Wachskerzen erfüllte den engen Raum, der durch seine unverhältnismäßige Höhe noch zusammengedrückter erschien. Am Hochaltar las ein alter, weißhaariger Priester in goldstrotzendem Gewand die Messe. Seine Bewegungen waren voll und klar und von einer unendlichen Würde. Ich studierte sofort eingehend die ganze Regiekunst dieses so ausgebreiteten und fortwährend im Zunehmen begriffenen Glaubens und fand sie bewunderungswürdig. Wie das alles klappte, wie das auf Stimmung berechnet war, wie farbenprächtig, welch eine lebensfreudige Entsagung, was für ein echt künstlerisches Paradoxon!

Es waren fast gar keine Beter da. So ruhig, so still, fast traut.

Ich bog nach rechts und schlug den Weg zur Gemälde-Ausstellung ein.

30.

Ich kam zur katholischen Norbertskirche, einem kleinen unscheinbaren Bau aus dem Anfang unseres Jahrhunderts. Ich fühlte mich müde und entschloß mich, einen Augenblick in der Kirche zu rasten.

Drinnen war’s dämmerig, und ein süßlicher Duft von Weihrauch und ein warmer Hauch von brennenden Wachskerzen erfüllte den engen Raum, der durch seine unverhältnismäßige Höhe noch zusammengedrückter erschien. Am Hochaltar las ein alter, weißhaariger Priester in goldstrotzendem Gewand die Messe. Seine Bewegungen waren voll und klar und von einer unendlichen Würde. Ich studierte sofort eingehend die ganze Regiekunst dieses so ausgebreiteten und fortwährend im Zunehmen begriffenen Glaubens und fand sie bewunderungswürdig. Wie das alles klappte, wie das auf Stimmung berechnet war, wie farbenprächtig, welch eine lebensfreudige Entsagung, was für ein echt künstlerisches Paradoxon!

Es waren fast gar keine Beter da. So ruhig, so still, fast traut.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0126" n="128"/>
          <p>Ich bog nach rechts und schlug den Weg zur Gemälde-Ausstellung ein.</p>
        </div>
        <div n="2">
          <head>30.</head><lb/>
          <p>Ich kam zur katholischen Norbertskirche, einem kleinen unscheinbaren Bau aus dem Anfang unseres Jahrhunderts. Ich fühlte mich müde und entschloß mich, einen Augenblick in der Kirche zu rasten.</p>
          <p>Drinnen war&#x2019;s dämmerig, und ein süßlicher Duft von Weihrauch und ein warmer Hauch von brennenden Wachskerzen erfüllte den engen Raum, der durch seine unverhältnismäßige Höhe noch zusammengedrückter erschien. Am Hochaltar las ein alter, weißhaariger Priester in goldstrotzendem Gewand die Messe. Seine Bewegungen waren voll und klar und von einer unendlichen Würde. Ich studierte sofort eingehend die ganze Regiekunst dieses so ausgebreiteten und fortwährend im Zunehmen begriffenen Glaubens und fand sie bewunderungswürdig. Wie das alles klappte, wie das auf Stimmung berechnet war, wie farbenprächtig, welch eine lebensfreudige Entsagung, was für ein echt künstlerisches Paradoxon!</p>
          <p>Es waren fast gar keine Beter da. So ruhig, so still, fast traut.</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0126] Ich bog nach rechts und schlug den Weg zur Gemälde-Ausstellung ein. 30. Ich kam zur katholischen Norbertskirche, einem kleinen unscheinbaren Bau aus dem Anfang unseres Jahrhunderts. Ich fühlte mich müde und entschloß mich, einen Augenblick in der Kirche zu rasten. Drinnen war’s dämmerig, und ein süßlicher Duft von Weihrauch und ein warmer Hauch von brennenden Wachskerzen erfüllte den engen Raum, der durch seine unverhältnismäßige Höhe noch zusammengedrückter erschien. Am Hochaltar las ein alter, weißhaariger Priester in goldstrotzendem Gewand die Messe. Seine Bewegungen waren voll und klar und von einer unendlichen Würde. Ich studierte sofort eingehend die ganze Regiekunst dieses so ausgebreiteten und fortwährend im Zunehmen begriffenen Glaubens und fand sie bewunderungswürdig. Wie das alles klappte, wie das auf Stimmung berechnet war, wie farbenprächtig, welch eine lebensfreudige Entsagung, was für ein echt künstlerisches Paradoxon! Es waren fast gar keine Beter da. So ruhig, so still, fast traut.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-10-26T10:30:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-10-26T10:30:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-10-26T10:30:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/126
Zitationshilfe: Hagenauer, Arnold: Muspilli. Linz u. a., 1900, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagenauer_muspilli_1900/126>, abgerufen am 18.11.2024.