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Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1744.

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Theocritus ganz angeführet ist. Menander redet auch vom Lityerses,
der bey der Rückkehr von der Erndte sunge.

Pollux13 sagt, daß der Lityerses ein Trauer-Lied gewesen, wel-
ches man um die Tenne und um die Garben gesungen, um den Midas
über den Verlust seines Sohnes zu trösten. Dieses Lied war also sei-
nem Ursprunge nach kein griechisches Lied; und Pollux setzt es auch
mit unter die fremden Lieder. Er füget noch hinzu, daß es eigentlich
den Phrygiern zugehörte, welche vom Lityerses den Acker-Bau gelernet
hatten. Der Scholiast14 des Theocritus versichert uns, daß die Schnit-
ter in Phrygien noch zu seiner Zeit das Lob des Lityerses, als des besten
Schnitters, zu singen pflegten.

Jst der Lityerses ursprünglich ein fremdes Lied gewesen, worinn
das Lob eines phrygischen Fürsten enthalten war, so müssen wir glau-
ben, daß die griechischen Schnitter nur den Namen des Liedes bey
sich aufnahmen, und daß unter dem phrygischen und unter dem grie-
chischen Lityerses allemal ein grosser Unterscheid gewesen. Jn dem letz-
tern ward weder vom Lityerses, noch vom Midas etwas gedacht, wenn
wir nach der zehnten Jdylle des Theocritus15 davon urtheilen wollen,
wo der Dichter einen Schnitter einführet, welcher spricht: "Höret, wie
"das Lied von dem göttlichen Lityerses heißt," und es darauf in sieben
Absätzen hersaget.

Die du Korn und Aehren mehrest,
Ceres, laß doch diese Erndte
Ja recht reich und fruchtbar seyn.
Hört, die ihr die Garben sammelt,
Bindet ja dieselben gut,
Daß der, so vorüber gehet,
Und euch sieht, nicht sagen möge:
Liederliche Tagelöhner!
Das heißt, Lohn umsonst gegeben.
Stellet eurer Garben Spitze
Gegen Norden oder Westen;
Hiedurch schwellt das Korn am besten.
Jhr, die ihr dreschet, schlafet nie,
Wenn euch der Mittag brennt,
Weil ihr alsdenn mit leichter Müh
Das Korn von seinen Hülsen trennt.
Laßt
13 Pollux lib. IV. c. 7.
14 Schol. Theocrit. in Idyll. 10.
15 Theocr. Idyll. 10.

Theocritus ganz angefuͤhret iſt. Menander redet auch vom Lityerſes,
der bey der Ruͤckkehr von der Erndte ſunge.

Pollux13 ſagt, daß der Lityerſes ein Trauer-Lied geweſen, wel-
ches man um die Tenne und um die Garben geſungen, um den Midas
uͤber den Verluſt ſeines Sohnes zu troͤſten. Dieſes Lied war alſo ſei-
nem Urſprunge nach kein griechiſches Lied; und Pollux ſetzt es auch
mit unter die fremden Lieder. Er fuͤget noch hinzu, daß es eigentlich
den Phrygiern zugehoͤrte, welche vom Lityerſes den Acker-Bau gelernet
hatten. Der Scholiaſt14 des Theocritus verſichert uns, daß die Schnit-
ter in Phrygien noch zu ſeiner Zeit das Lob des Lityerſes, als des beſten
Schnitters, zu ſingen pflegten.

Jſt der Lityerſes urſpruͤnglich ein fremdes Lied geweſen, worinn
das Lob eines phrygiſchen Fuͤrſten enthalten war, ſo muͤſſen wir glau-
ben, daß die griechiſchen Schnitter nur den Namen des Liedes bey
ſich aufnahmen, und daß unter dem phrygiſchen und unter dem grie-
chiſchen Lityerſes allemal ein groſſer Unterſcheid geweſen. Jn dem letz-
tern ward weder vom Lityerſes, noch vom Midas etwas gedacht, wenn
wir nach der zehnten Jdylle des Theocritus15 davon urtheilen wollen,
wo der Dichter einen Schnitter einfuͤhret, welcher ſpricht: “Hoͤret, wie
“das Lied von dem goͤttlichen Lityerſes heißt,” und es darauf in ſieben
Abſaͤtzen herſaget.

Die du Korn und Aehren mehreſt,
Ceres, laß doch dieſe Erndte
Ja recht reich und fruchtbar ſeyn.
Hoͤrt, die ihr die Garben ſammelt,
Bindet ja dieſelben gut,
Daß der, ſo voruͤber gehet,
Und euch ſieht, nicht ſagen moͤge:
Liederliche Tageloͤhner!
Das heißt, Lohn umſonſt gegeben.
Stellet eurer Garben Spitze
Gegen Norden oder Weſten;
Hiedurch ſchwellt das Korn am beſten.
Jhr, die ihr dreſchet, ſchlafet nie,
Wenn euch der Mittag brennt,
Weil ihr alsdenn mit leichter Muͤh
Das Korn von ſeinen Huͤlſen trennt.
Laßt
13 Pollux lib. IV. c. 7.
14 Schol. Theocrit. in Idyll. 10.
15 Theocr. Idyll. 10.
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[31/0041] Theocritus ganz angefuͤhret iſt. Menander redet auch vom Lityerſes, der bey der Ruͤckkehr von der Erndte ſunge. Pollux 13 ſagt, daß der Lityerſes ein Trauer-Lied geweſen, wel- ches man um die Tenne und um die Garben geſungen, um den Midas uͤber den Verluſt ſeines Sohnes zu troͤſten. Dieſes Lied war alſo ſei- nem Urſprunge nach kein griechiſches Lied; und Pollux ſetzt es auch mit unter die fremden Lieder. Er fuͤget noch hinzu, daß es eigentlich den Phrygiern zugehoͤrte, welche vom Lityerſes den Acker-Bau gelernet hatten. Der Scholiaſt 14 des Theocritus verſichert uns, daß die Schnit- ter in Phrygien noch zu ſeiner Zeit das Lob des Lityerſes, als des beſten Schnitters, zu ſingen pflegten. Jſt der Lityerſes urſpruͤnglich ein fremdes Lied geweſen, worinn das Lob eines phrygiſchen Fuͤrſten enthalten war, ſo muͤſſen wir glau- ben, daß die griechiſchen Schnitter nur den Namen des Liedes bey ſich aufnahmen, und daß unter dem phrygiſchen und unter dem grie- chiſchen Lityerſes allemal ein groſſer Unterſcheid geweſen. Jn dem letz- tern ward weder vom Lityerſes, noch vom Midas etwas gedacht, wenn wir nach der zehnten Jdylle des Theocritus 15 davon urtheilen wollen, wo der Dichter einen Schnitter einfuͤhret, welcher ſpricht: “Hoͤret, wie “das Lied von dem goͤttlichen Lityerſes heißt,” und es darauf in ſieben Abſaͤtzen herſaget. Die du Korn und Aehren mehreſt, Ceres, laß doch dieſe Erndte Ja recht reich und fruchtbar ſeyn. Hoͤrt, die ihr die Garben ſammelt, Bindet ja dieſelben gut, Daß der, ſo voruͤber gehet, Und euch ſieht, nicht ſagen moͤge: Liederliche Tageloͤhner! Das heißt, Lohn umſonſt gegeben. Stellet eurer Garben Spitze Gegen Norden oder Weſten; Hiedurch ſchwellt das Korn am beſten. Jhr, die ihr dreſchet, ſchlafet nie, Wenn euch der Mittag brennt, Weil ihr alsdenn mit leichter Muͤh Das Korn von ſeinen Huͤlſen trennt. Laßt 13 Pollux lib. IV. c. 7. 14 Schol. Theocrit. in Idyll. 10. 15 Theocr. Idyll. 10.

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Zitationshilfe: Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 2. Hamburg, 1744, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagedorn_sammlung02_1744/41>, abgerufen am 24.11.2024.