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Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 1. Hamburg, 1742.

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Von seiner Phyllis ferne seyn,
Jhr dennoch heisse Seufzer weihn,
Und diese Seufzer nicht bereun:
Das war die Lust des Schäferlebens.
Das Seufzen ist uns unbewust.
Man seufzet, aber nur für Lust,
An einer nahen Phyllis Brust,
Und seufzet da nicht leicht vergebens.
Die Fessel küssen, die man trägt,
Die uns ein Mädchen angelegt,
Die reizend Mund und Augen regt:
Das war die Kunst der ersten Zeiten.
Die Fessel und die Knechtschaft fliehn,
Und, wo nur schöne Wangen blühn,
Um schöne Wangen sich bemühn:
Das nennt man itzo Zärtlichkeiten.
Mit mehr als jährigem Bestand
Verehren, was man artig fand,
Und unsre Treu oft nicht erkannt:
Das war der Väter Art zu lieben.
Erwählen, was nur Schönheit schmückt;
Entzücken, was uns selbst entzückt;
Verlassen, was uns oft beglückt:
Das ist den Enkeln übrig blieben.


F 2
Von ſeiner Phyllis ferne ſeyn,
Jhr dennoch heiſſe Seufzer weihn,
Und dieſe Seufzer nicht bereun:
Das war die Luſt des Schaͤferlebens.
Das Seufzen iſt uns unbewuſt.
Man ſeufzet, aber nur fuͤr Luſt,
An einer nahen Phyllis Bruſt,
Und ſeufzet da nicht leicht vergebens.
Die Feſſel kuͤſſen, die man traͤgt,
Die uns ein Maͤdchen angelegt,
Die reizend Mund und Augen regt:
Das war die Kunſt der erſten Zeiten.
Die Feſſel und die Knechtſchaft fliehn,
Und, wo nur ſchoͤne Wangen bluͤhn,
Um ſchoͤne Wangen ſich bemuͤhn:
Das nennt man itzo Zaͤrtlichkeiten.
Mit mehr als jaͤhrigem Beſtand
Verehren, was man artig fand,
Und unſre Treu oft nicht erkannt:
Das war der Vaͤter Art zu lieben.
Erwaͤhlen, was nur Schoͤnheit ſchmuͤckt;
Entzuͤcken, was uns ſelbſt entzuͤckt;
Verlaſſen, was uns oft begluͤckt:
Das iſt den Enkeln uͤbrig blieben.


F 2
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[43/0065] Von ſeiner Phyllis ferne ſeyn, Jhr dennoch heiſſe Seufzer weihn, Und dieſe Seufzer nicht bereun: Das war die Luſt des Schaͤferlebens. Das Seufzen iſt uns unbewuſt. Man ſeufzet, aber nur fuͤr Luſt, An einer nahen Phyllis Bruſt, Und ſeufzet da nicht leicht vergebens. Die Feſſel kuͤſſen, die man traͤgt, Die uns ein Maͤdchen angelegt, Die reizend Mund und Augen regt: Das war die Kunſt der erſten Zeiten. Die Feſſel und die Knechtſchaft fliehn, Und, wo nur ſchoͤne Wangen bluͤhn, Um ſchoͤne Wangen ſich bemuͤhn: Das nennt man itzo Zaͤrtlichkeiten. Mit mehr als jaͤhrigem Beſtand Verehren, was man artig fand, Und unſre Treu oft nicht erkannt: Das war der Vaͤter Art zu lieben. Erwaͤhlen, was nur Schoͤnheit ſchmuͤckt; Entzuͤcken, was uns ſelbſt entzuͤckt; Verlaſſen, was uns oft begluͤckt: Das iſt den Enkeln uͤbrig blieben. F 2

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Zitationshilfe: Hagedorn, Friedrich von: Sammlung Neuer Oden und Lieder. Bd. 1. Hamburg, 1742, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hagedorn_sammlung01_1742/65>, abgerufen am 24.11.2024.