Präformations-Lehre.Aeltere Keimesgeschichte. (Vergl. den II. Vortrag meiner Anthropogenie). Wie für die vergleichende Anatomie, so sind auch für die Entwickelungs- geschichte die klassischen Werke des Aristoteles, des viel- seitigen "Vaters der Naturgeschichte", die älteste uns bekannte wissenschaftliche Quelle (im 4. Jahrhundert v. Chr.). Nicht allein in seiner großen Thiergeschichte, sondern auch in einer besonderen kleinen Schrift: "Fünf Bücher von der Zeugung und Entwickelung der Thiere", erzählt uns der große Philosoph eine Menge von interessanten Thatsachen und stellt Betrachtungen über deren Bedeutung an; viele davon sind erst in unserer Zeit wieder zur Geltung gekommen und eigentlich erst wieder neu entdeckt worden. Natürlich sind aber daneben auch viele Fabeln und Irrthümer zu finden, und von der verborgenen Ent- stehung des Menschenkeimes war noch nichts Näheres bekannt. Aber auch in dem langen, folgenden Zeitraume von zwei Jahr- tausenden machte die schlummernde Wissenschaft keine weiteren Fortschritte. Erst im Anfange des 17. Jahrhunderts fing man wieder an sich damit zu beschäftigen; der italienische Anatom Fabricius ab Aquapendente (in Padua) veröffentlichte 1600 die ältesten Abbildungen und Beschreibungen von Embryonen des Menschen und einiger höherer Thiere; und der berühmte Marcello Malpighi in Bologna, gleich bahnbrechend in der Zoologie wie in der Botanik, gab 1687 die erste zusammen- hängende Darstellung von der Entstehung des Hühnchens im bebrüteten Ei.
Alle diese älteren Beobachter waren von der Vorstellung beherrscht, daß im Ei der Thiere, ähnlich wie im Samen der höheren Pflanzen, der ganze Körper mit allen seinen Theilen bereits fertig vorhanden sei, nur in einem so feinen und durch- sichtigen Zustande, daß man sie nicht erkennen könne; die ganze Entwickelung sei demnach nichts weiter, als Wachsthum oder
Keimesgeſchichte im Alterthum. IV.
Präformations-Lehre.Aeltere Keimesgeſchichte. (Vergl. den II. Vortrag meiner Anthropogenie). Wie für die vergleichende Anatomie, ſo ſind auch für die Entwickelungs- geſchichte die klaſſiſchen Werke des Ariſtoteles, des viel- ſeitigen „Vaters der Naturgeſchichte“, die älteſte uns bekannte wiſſenſchaftliche Quelle (im 4. Jahrhundert v. Chr.). Nicht allein in ſeiner großen Thiergeſchichte, ſondern auch in einer beſonderen kleinen Schrift: „Fünf Bücher von der Zeugung und Entwickelung der Thiere“, erzählt uns der große Philoſoph eine Menge von intereſſanten Thatſachen und ſtellt Betrachtungen über deren Bedeutung an; viele davon ſind erſt in unſerer Zeit wieder zur Geltung gekommen und eigentlich erſt wieder neu entdeckt worden. Natürlich ſind aber daneben auch viele Fabeln und Irrthümer zu finden, und von der verborgenen Ent- ſtehung des Menſchenkeimes war noch nichts Näheres bekannt. Aber auch in dem langen, folgenden Zeitraume von zwei Jahr- tauſenden machte die ſchlummernde Wiſſenſchaft keine weiteren Fortſchritte. Erſt im Anfange des 17. Jahrhunderts fing man wieder an ſich damit zu beſchäftigen; der italieniſche Anatom Fabricius ab Aquapendente (in Padua) veröffentlichte 1600 die älteſten Abbildungen und Beſchreibungen von Embryonen des Menſchen und einiger höherer Thiere; und der berühmte Marcello Malpighi in Bologna, gleich bahnbrechend in der Zoologie wie in der Botanik, gab 1687 die erſte zuſammen- hängende Darſtellung von der Entſtehung des Hühnchens im bebrüteten Ei.
Alle dieſe älteren Beobachter waren von der Vorſtellung beherrſcht, daß im Ei der Thiere, ähnlich wie im Samen der höheren Pflanzen, der ganze Körper mit allen ſeinen Theilen bereits fertig vorhanden ſei, nur in einem ſo feinen und durch- ſichtigen Zuſtande, daß man ſie nicht erkennen könne; die ganze Entwickelung ſei demnach nichts weiter, als Wachsthum oder
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0080"n="64"/><fwplace="top"type="header">Keimesgeſchichte im Alterthum. <hirendition="#aq">IV.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#b">Präformations-Lehre.</hi><hirendition="#g">Aeltere Keimesgeſchichte</hi>.<lb/>
(Vergl. den <hirendition="#aq">II.</hi> Vortrag meiner Anthropogenie). Wie für die<lb/>
vergleichende Anatomie, ſo ſind auch für die Entwickelungs-<lb/>
geſchichte die klaſſiſchen Werke des <hirendition="#g">Ariſtoteles,</hi> des viel-<lb/>ſeitigen „Vaters der Naturgeſchichte“, die älteſte uns bekannte<lb/>
wiſſenſchaftliche Quelle (im 4. Jahrhundert v. Chr.). Nicht<lb/>
allein in ſeiner großen Thiergeſchichte, ſondern auch in einer<lb/>
beſonderen kleinen Schrift: „Fünf Bücher von der Zeugung und<lb/>
Entwickelung der Thiere“, erzählt uns der große Philoſoph eine<lb/>
Menge von intereſſanten Thatſachen und ſtellt Betrachtungen<lb/>
über deren Bedeutung an; viele davon ſind erſt in unſerer<lb/>
Zeit wieder zur Geltung gekommen und eigentlich erſt wieder<lb/>
neu entdeckt worden. Natürlich ſind aber daneben auch viele<lb/>
Fabeln und Irrthümer zu finden, und von der verborgenen Ent-<lb/>ſtehung des Menſchenkeimes war noch nichts Näheres bekannt.<lb/>
Aber auch in dem langen, folgenden Zeitraume von zwei Jahr-<lb/>
tauſenden machte die ſchlummernde Wiſſenſchaft keine weiteren<lb/>
Fortſchritte. Erſt im Anfange des 17. Jahrhunderts fing man<lb/>
wieder an ſich damit zu beſchäftigen; der italieniſche Anatom<lb/><hirendition="#g">Fabricius ab Aquapendente</hi> (in Padua) veröffentlichte<lb/>
1600 die älteſten Abbildungen und Beſchreibungen von Embryonen<lb/>
des Menſchen und einiger höherer Thiere; und der berühmte<lb/><hirendition="#g">Marcello Malpighi</hi> in Bologna, gleich bahnbrechend in<lb/>
der Zoologie wie in der Botanik, gab 1687 die erſte zuſammen-<lb/>
hängende Darſtellung von der Entſtehung des Hühnchens im<lb/>
bebrüteten Ei.</p><lb/><p>Alle dieſe älteren Beobachter waren von der Vorſtellung<lb/>
beherrſcht, daß im Ei der Thiere, ähnlich wie im Samen der<lb/>
höheren Pflanzen, der ganze Körper mit allen ſeinen Theilen<lb/>
bereits fertig vorhanden ſei, nur in einem ſo feinen und durch-<lb/>ſichtigen Zuſtande, daß man ſie nicht erkennen könne; die ganze<lb/>
Entwickelung ſei demnach nichts weiter, als Wachsthum oder<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0080]
Keimesgeſchichte im Alterthum. IV.
Präformations-Lehre. Aeltere Keimesgeſchichte.
(Vergl. den II. Vortrag meiner Anthropogenie). Wie für die
vergleichende Anatomie, ſo ſind auch für die Entwickelungs-
geſchichte die klaſſiſchen Werke des Ariſtoteles, des viel-
ſeitigen „Vaters der Naturgeſchichte“, die älteſte uns bekannte
wiſſenſchaftliche Quelle (im 4. Jahrhundert v. Chr.). Nicht
allein in ſeiner großen Thiergeſchichte, ſondern auch in einer
beſonderen kleinen Schrift: „Fünf Bücher von der Zeugung und
Entwickelung der Thiere“, erzählt uns der große Philoſoph eine
Menge von intereſſanten Thatſachen und ſtellt Betrachtungen
über deren Bedeutung an; viele davon ſind erſt in unſerer
Zeit wieder zur Geltung gekommen und eigentlich erſt wieder
neu entdeckt worden. Natürlich ſind aber daneben auch viele
Fabeln und Irrthümer zu finden, und von der verborgenen Ent-
ſtehung des Menſchenkeimes war noch nichts Näheres bekannt.
Aber auch in dem langen, folgenden Zeitraume von zwei Jahr-
tauſenden machte die ſchlummernde Wiſſenſchaft keine weiteren
Fortſchritte. Erſt im Anfange des 17. Jahrhunderts fing man
wieder an ſich damit zu beſchäftigen; der italieniſche Anatom
Fabricius ab Aquapendente (in Padua) veröffentlichte
1600 die älteſten Abbildungen und Beſchreibungen von Embryonen
des Menſchen und einiger höherer Thiere; und der berühmte
Marcello Malpighi in Bologna, gleich bahnbrechend in
der Zoologie wie in der Botanik, gab 1687 die erſte zuſammen-
hängende Darſtellung von der Entſtehung des Hühnchens im
bebrüteten Ei.
Alle dieſe älteren Beobachter waren von der Vorſtellung
beherrſcht, daß im Ei der Thiere, ähnlich wie im Samen der
höheren Pflanzen, der ganze Körper mit allen ſeinen Theilen
bereits fertig vorhanden ſei, nur in einem ſo feinen und durch-
ſichtigen Zuſtande, daß man ſie nicht erkennen könne; die ganze
Entwickelung ſei demnach nichts weiter, als Wachsthum oder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/80>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.