Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Anmerkungen und Erläuterungen. I A. Zellseele der Archephyten oder Phytomoneren, der ein-fachsten Urpflanzen oder Protophyten. Von diesen primitivsten Formen des organischen Lebens kennen wir genau die Klasse der Chromaceen oder Cyanophyceen, mit den drei Familien der Chrookokken, Oscillarien und Nostokaceen (System. Phylog. I, § 80). Der Körper ist im einfachsten Falle (Procytella, Chroococcus, Glöotheca und andere Coccochro- malen) ein kleines kugeliges Plasmakorn von blaugrüner oder braun- grüner Farbe, ohne Zellkern, ohne erkennbare Struktur, gleichwerthig einem "Chlorophyll-Korn" in den Zellen höherer Pflanzen. Die homogene Substanz ist lichtempfindlich und bildet Plasma durch Synthese von Wasser, Kohlensäure und Ammoniak. Die inneren Molekular-Bewegungen, welche diesen vegetalen Stoffwechsel vermitteln, sind äußerlich nicht sichtbar. Die Fortpflanzung geschieht in einfachster Weise durch Theilung. Bei vielen Chromaceen legen sich die Theilprodukte in bestimmter Anordnung an ein- ander; oft bilden sie fadenförmige Ketten, und bei den Oscillarien führen diese eigenthümlich schwankende Bewegungen aus, deren Ursache und Be- deutung unbekannt ist. Für die phyletische Psychogenie sind diese Chromaceen deßhalb besonders wichtig, weil die ältesten derselben (Probionten) durch Urzeugung oder Archigonie aus anorganischen Verbindungen entstanden waren; mit dem organischen Leben selbst nahm auch die einfachste Seelen- thätigkeit ursprünglich hier ihren Anfang (System. Phylog. I, §§ 31-34, 78-80). Das Leben bestand hier bloß in vegetalem Stoffwechsel und in Vermehrung durch Theilung (als Folge des Wachsthums); die Seelenthätig- keit beschränkte sich auf Lichtempfindung und chemische Umsetzung, wie bei einer "empfindlichen" photographischen Platte. I B. Zellseele der Archezoen oder Zoomoneren, der einfachsten Urthiere oder Protozoen. Der kleine Körper ist ebenso ein homogenes, struktur- loses und kernloses Plasma-Korn wie bei den Archephyten, aber der Stoff- wechsel ist entgegengesetzt. Da das animale Plasma-Korn die plasmodome Fähigkeit der Synthese verloren hat, muß es Nahrung von anderen Orga- nismen aufnehmen: es spaltet Plasma durch Analyse, unter Oxydation von Albuminaten und Kohle-Hydraten. Ursprünglich sind diese plasmophagen Zoomoneren durch Metasitismus oder Umkehrung des Stoffwechsels aus plasmodomen Phytomoneren entstanden*). Wir kennen zwei Klassen von solchen Archezoen, die Bakterien und die Rhizomoneren. Die kleinen Bakterien (meistens irrthümlich zu den Pilzen gestellt und als Spaltpilze, Schizomycetes, bezeichnet) sind "kernlose Zellen" und behalten eine beständige Form: kugelig bei den Sphärobakterien (Micrococcus, Streptococcus), stäbchenförmig bei den Rhabdobakterien (Bacillus, Eu- bacterium), schraubenförmig bei den Spirobakterien (Spirillum, Vibrio). Bekanntlich haben diese Bakterien neuerdings ein außerordentliches biono- misches Interesse gewonnen, indem sie trotz ihres höchst einfachen Körper- *) Systematische Phylogenie Bd. I. 1894, §§ 37, 38, 101, 108.
Anmerkungen und Erläuterungen. I A. Zellſeele der Archephyten oder Phytomoneren, der ein-fachſten Urpflanzen oder Protophyten. Von dieſen primitivſten Formen des organiſchen Lebens kennen wir genau die Klaſſe der Chromaceen oder Cyanophyceen, mit den drei Familien der Chrookokken, Oscillarien und Noſtokaceen (Syſtem. Phylog. I, § 80). Der Körper iſt im einfachſten Falle (Procytella, Chroococcus, Glöotheca und andere Coccochro- malen) ein kleines kugeliges Plasmakorn von blaugrüner oder braun- grüner Farbe, ohne Zellkern, ohne erkennbare Struktur, gleichwerthig einem „Chlorophyll-Korn“ in den Zellen höherer Pflanzen. Die homogene Subſtanz iſt lichtempfindlich und bildet Plasma durch Syntheſe von Waſſer, Kohlenſäure und Ammoniak. Die inneren Molekular-Bewegungen, welche dieſen vegetalen Stoffwechſel vermitteln, ſind äußerlich nicht ſichtbar. Die Fortpflanzung geſchieht in einfachſter Weiſe durch Theilung. Bei vielen Chromaceen legen ſich die Theilprodukte in beſtimmter Anordnung an ein- ander; oft bilden ſie fadenförmige Ketten, und bei den Oscillarien führen dieſe eigenthümlich ſchwankende Bewegungen aus, deren Urſache und Be- deutung unbekannt iſt. Für die phyletiſche Pſychogenie ſind dieſe Chromaceen deßhalb beſonders wichtig, weil die älteſten derſelben (Probionten) durch Urzeugung oder Archigonie aus anorganiſchen Verbindungen entſtanden waren; mit dem organiſchen Leben ſelbſt nahm auch die einfachſte Seelen- thätigkeit urſprünglich hier ihren Anfang (Syſtem. Phylog. I, §§ 31-34, 78-80). Das Leben beſtand hier bloß in vegetalem Stoffwechſel und in Vermehrung durch Theilung (als Folge des Wachsthums); die Seelenthätig- keit beſchränkte ſich auf Lichtempfindung und chemiſche Umſetzung, wie bei einer „empfindlichen“ photographiſchen Platte. I B. Zellſeele der Archezoen oder Zoomoneren, der einfachſten Urthiere oder Protozoen. Der kleine Körper iſt ebenſo ein homogenes, ſtruktur- loſes und kernloſes Plasma-Korn wie bei den Archephyten, aber der Stoff- wechſel iſt entgegengeſetzt. Da das animale Plasma-Korn die plasmodome Fähigkeit der Syntheſe verloren hat, muß es Nahrung von anderen Orga- nismen aufnehmen: es ſpaltet Plasma durch Analyſe, unter Oxydation von Albuminaten und Kohle-Hydraten. Urſprünglich ſind dieſe plasmophagen Zoomoneren durch Metaſitismus oder Umkehrung des Stoffwechſels aus plasmodomen Phytomoneren entſtanden*). Wir kennen zwei Klaſſen von ſolchen Archezoen, die Bakterien und die Rhizomoneren. Die kleinen Bakterien (meiſtens irrthümlich zu den Pilzen geſtellt und als Spaltpilze, Schizomyceteſ, bezeichnet) ſind „kernloſe Zellen“ und behalten eine beſtändige Form: kugelig bei den Sphärobakterien (Micrococcuſ, Streptococcuſ), ſtäbchenförmig bei den Rhabdobakterien (Bacilluſ, Eu- bacterium), ſchraubenförmig bei den Spirobakterien (Spirillum, Vibrio). Bekanntlich haben dieſe Bakterien neuerdings ein außerordentliches biono- miſches Intereſſe gewonnen, indem ſie trotz ihres höchſt einfachen Körper- *) Syſtematiſche Phylogenie Bd. I. 1894, §§ 37, 38, 101, 108.
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Anmerkungen und Erläuterungen.
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I A. Zellſeele der Archephyten oder Phytomoneren, der ein-
fachſten Urpflanzen oder Protophyten. Von dieſen primitivſten Formen des
organiſchen Lebens kennen wir genau die Klaſſe der Chromaceen oder
Cyanophyceen, mit den drei Familien der Chrookokken, Oscillarien
und Noſtokaceen (Syſtem. Phylog. I, § 80). Der Körper iſt im einfachſten
Falle (Procytella, Chroococcus, Glöotheca und andere Coccochro-
malen) ein kleines kugeliges Plasmakorn von blaugrüner oder braun-
grüner Farbe, ohne Zellkern, ohne erkennbare Struktur, gleichwerthig einem
„Chlorophyll-Korn“ in den Zellen höherer Pflanzen. Die homogene
Subſtanz iſt lichtempfindlich und bildet Plasma durch Syntheſe von Waſſer,
Kohlenſäure und Ammoniak. Die inneren Molekular-Bewegungen, welche
dieſen vegetalen Stoffwechſel vermitteln, ſind äußerlich nicht ſichtbar. Die
Fortpflanzung geſchieht in einfachſter Weiſe durch Theilung. Bei vielen
Chromaceen legen ſich die Theilprodukte in beſtimmter Anordnung an ein-
ander; oft bilden ſie fadenförmige Ketten, und bei den Oscillarien führen
dieſe eigenthümlich ſchwankende Bewegungen aus, deren Urſache und Be-
deutung unbekannt iſt. Für die phyletiſche Pſychogenie ſind dieſe Chromaceen
deßhalb beſonders wichtig, weil die älteſten derſelben (Probionten) durch
Urzeugung oder Archigonie aus anorganiſchen Verbindungen entſtanden
waren; mit dem organiſchen Leben ſelbſt nahm auch die einfachſte Seelen-
thätigkeit urſprünglich hier ihren Anfang (Syſtem. Phylog. I, §§ 31-34,
78-80). Das Leben beſtand hier bloß in vegetalem Stoffwechſel und in
Vermehrung durch Theilung (als Folge des Wachsthums); die Seelenthätig-
keit beſchränkte ſich auf Lichtempfindung und chemiſche Umſetzung, wie bei
einer „empfindlichen“ photographiſchen Platte.
I B. Zellſeele der Archezoen oder Zoomoneren, der einfachſten
Urthiere oder Protozoen. Der kleine Körper iſt ebenſo ein homogenes, ſtruktur-
loſes und kernloſes Plasma-Korn wie bei den Archephyten, aber der Stoff-
wechſel iſt entgegengeſetzt. Da das animale Plasma-Korn die plasmodome
Fähigkeit der Syntheſe verloren hat, muß es Nahrung von anderen Orga-
nismen aufnehmen: es ſpaltet Plasma durch Analyſe, unter Oxydation von
Albuminaten und Kohle-Hydraten. Urſprünglich ſind dieſe plasmophagen
Zoomoneren durch Metaſitismus oder Umkehrung des Stoffwechſels
aus plasmodomen Phytomoneren entſtanden *). Wir kennen zwei Klaſſen
von ſolchen Archezoen, die Bakterien und die Rhizomoneren. Die
kleinen Bakterien (meiſtens irrthümlich zu den Pilzen geſtellt und als
Spaltpilze, Schizomyceteſ, bezeichnet) ſind „kernloſe Zellen“ und behalten
eine beſtändige Form: kugelig bei den Sphärobakterien (Micrococcuſ,
Streptococcuſ), ſtäbchenförmig bei den Rhabdobakterien (Bacilluſ, Eu-
bacterium), ſchraubenförmig bei den Spirobakterien (Spirillum, Vibrio).
Bekanntlich haben dieſe Bakterien neuerdings ein außerordentliches biono-
miſches Intereſſe gewonnen, indem ſie trotz ihres höchſt einfachen Körper-
*) Syſtematiſche Phylogenie Bd. I. 1894, §§ 37, 38, 101, 108.
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