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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XX. Fortschritte der Biologie.
Naturprocesse, bei welchen in jedem Augenblick eine Kraft in die
andere umgesetzt werden kann.

IV. Fortschritte der Biologie. Die großartigen und für
unsere ganze Weltanschauung bedeutsamen Entdeckungen, welche
die Astronomie und Geologie in unserem 19. Jahrhundert
gemacht haben, werden noch weit übertroffen von denjenigen der
Biologie; ja, wir dürfen sagen, daß von den zahlreichen
Zweigen, in welchen diese umfassende Wissenschaft vom organischen
Leben sich neuerdings entfaltet hat, der größere Theil überhaupt
erst im Laufe unseres Jahrhunderts entstanden ist. Wie wir im
ersten Abschnitte gesehen haben, sind innerhalb desselben alle
Zweige der Anatomie und Physiologie, der Botanik und Zoologie,
der Ontogenie und Phylogenie, durch unzählige Entdeckungen und
Erfindungen so sehr bereichert worden, daß der heutige Zustand
unseres biologischen Wissens denjenigen vor hundert Jahren um
das Vielfache übertrifft. Das gilt zunächst quantitativ von
dem kolossalen Wachsthum unseres positiven Wissens auf allen
jenen Gebieten und ihren einzelnen Theilen. Es gilt aber ebenso
und noch mehr qualitativ von der Vertiefung unseres Ver-
ständnisses der biologischen Erscheinungen, von unserer Erkenntniß
ihrer bewirkenden Ursachen. Hier hat vor allen Anderen
Charles Darwin (1859) die Palme des Sieges errungen;
er hat durch seine Selektions-Theorie das große Welträthsel von
der "organischen Schöpfung" gelöst, von der natürlichen Ent-
stehung der unzähligen Lebensformen durch allmähliche Umbildung.
Zwar hatte schon fünfzig Jahre früher der große Lamarck
(1809) erkannt, daß der Weg dieser Transformation auf der
Wechselwirkung von Vererbung und Anpassung beruhe; allein es
fehlte ihm damals noch das Selektions-Princip, und es fehlte
ihm vor Allem die tiefere Einsicht in das wahre Wesen der
Organisation, welche erst später durch die Begründung der
Entwickelungsgeschichte und der Zellentheorie gewonnen wurde.

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XX. Fortſchritte der Biologie.
Naturproceſſe, bei welchen in jedem Augenblick eine Kraft in die
andere umgeſetzt werden kann.

IV. Fortſchritte der Biologie. Die großartigen und für
unſere ganze Weltanſchauung bedeutſamen Entdeckungen, welche
die Aſtronomie und Geologie in unſerem 19. Jahrhundert
gemacht haben, werden noch weit übertroffen von denjenigen der
Biologie; ja, wir dürfen ſagen, daß von den zahlreichen
Zweigen, in welchen dieſe umfaſſende Wiſſenſchaft vom organiſchen
Leben ſich neuerdings entfaltet hat, der größere Theil überhaupt
erſt im Laufe unſeres Jahrhunderts entſtanden iſt. Wie wir im
erſten Abſchnitte geſehen haben, ſind innerhalb desſelben alle
Zweige der Anatomie und Phyſiologie, der Botanik und Zoologie,
der Ontogenie und Phylogenie, durch unzählige Entdeckungen und
Erfindungen ſo ſehr bereichert worden, daß der heutige Zuſtand
unſeres biologiſchen Wiſſens denjenigen vor hundert Jahren um
das Vielfache übertrifft. Das gilt zunächſt quantitativ von
dem koloſſalen Wachsthum unſeres poſitiven Wiſſens auf allen
jenen Gebieten und ihren einzelnen Theilen. Es gilt aber ebenſo
und noch mehr qualitativ von der Vertiefung unſeres Ver-
ſtändniſſes der biologiſchen Erſcheinungen, von unſerer Erkenntniß
ihrer bewirkenden Urſachen. Hier hat vor allen Anderen
Charles Darwin (1859) die Palme des Sieges errungen;
er hat durch ſeine Selektions-Theorie das große Welträthſel von
der „organiſchen Schöpfung“ gelöſt, von der natürlichen Ent-
ſtehung der unzähligen Lebensformen durch allmähliche Umbildung.
Zwar hatte ſchon fünfzig Jahre früher der große Lamarck
(1809) erkannt, daß der Weg dieſer Transformation auf der
Wechſelwirkung von Vererbung und Anpaſſung beruhe; allein es
fehlte ihm damals noch das Selektions-Princip, und es fehlte
ihm vor Allem die tiefere Einſicht in das wahre Weſen der
Organiſation, welche erſt ſpäter durch die Begründung der
Entwickelungsgeſchichte und der Zellentheorie gewonnen wurde.

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[435/0451] XX. Fortſchritte der Biologie. Naturproceſſe, bei welchen in jedem Augenblick eine Kraft in die andere umgeſetzt werden kann. IV. Fortſchritte der Biologie. Die großartigen und für unſere ganze Weltanſchauung bedeutſamen Entdeckungen, welche die Aſtronomie und Geologie in unſerem 19. Jahrhundert gemacht haben, werden noch weit übertroffen von denjenigen der Biologie; ja, wir dürfen ſagen, daß von den zahlreichen Zweigen, in welchen dieſe umfaſſende Wiſſenſchaft vom organiſchen Leben ſich neuerdings entfaltet hat, der größere Theil überhaupt erſt im Laufe unſeres Jahrhunderts entſtanden iſt. Wie wir im erſten Abſchnitte geſehen haben, ſind innerhalb desſelben alle Zweige der Anatomie und Phyſiologie, der Botanik und Zoologie, der Ontogenie und Phylogenie, durch unzählige Entdeckungen und Erfindungen ſo ſehr bereichert worden, daß der heutige Zuſtand unſeres biologiſchen Wiſſens denjenigen vor hundert Jahren um das Vielfache übertrifft. Das gilt zunächſt quantitativ von dem koloſſalen Wachsthum unſeres poſitiven Wiſſens auf allen jenen Gebieten und ihren einzelnen Theilen. Es gilt aber ebenſo und noch mehr qualitativ von der Vertiefung unſeres Ver- ſtändniſſes der biologiſchen Erſcheinungen, von unſerer Erkenntniß ihrer bewirkenden Urſachen. Hier hat vor allen Anderen Charles Darwin (1859) die Palme des Sieges errungen; er hat durch ſeine Selektions-Theorie das große Welträthſel von der „organiſchen Schöpfung“ gelöſt, von der natürlichen Ent- ſtehung der unzähligen Lebensformen durch allmähliche Umbildung. Zwar hatte ſchon fünfzig Jahre früher der große Lamarck (1809) erkannt, daß der Weg dieſer Transformation auf der Wechſelwirkung von Vererbung und Anpaſſung beruhe; allein es fehlte ihm damals noch das Selektions-Princip, und es fehlte ihm vor Allem die tiefere Einſicht in das wahre Weſen der Organiſation, welche erſt ſpäter durch die Begründung der Entwickelungsgeſchichte und der Zellentheorie gewonnen wurde. 28*

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/451>, abgerufen am 22.11.2024.