große Gesetz der mechanischen Kausalität, für welches unser kosmologisches Grundgesetz, das Substanz- Gesetz, nur ein anderer konkreter Ausdruck ist, beherrscht jetzt das Universum ebenso wie den Menschengeist; es ist der sichere, unverrückbare Leitstern geworden, dessen klares Licht uns durch das dunkle Labyrinth der unzähligen einzelnen Erscheinungen den Pfad zeigt. Um uns davon zu überzeugen, wollen wir einen flüchtigen Rückblick auf die erstaunlichen Fortschritte werfen, welche die Hauptzweige der Naturwissenschaft in diesem denk- würdigen Zeitraum gemacht haben.
I.Fortschritte der Astronomie. Die Himmelskunde ist die älteste, ebenso wie die Menschenkunde die jüngste Natur- wissenschaft. Ueber sich selbst und sein eigenes Wesen kam der Mensch erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts zu voller Klarheit, während er in der Kenntniß des gestirnten Himmels, der Planeten-Bewegungen u. s. w. schon vor 4500 Jahren er- staunliche Kenntnisse besaß. Die alten Chinesen, Inder, Egypter und Chaldäer kannten im fernen Morgenlande schon damals die sphärische Astronomie genauer als die meisten "gebildeten" Christen des Abendlandes viertausend Jahre später. Schon im Jahre 2697 vor Chr. wurde in China eine Sonnenfinsterniß astronomisch beobachtet und 1100 Jahre vor Chr. mittels eines Gnomons die Schiefe der Ekliptik bestimmt, während Christus selbst (der "Sohn Gottes!") bekanntlich gar keine astro- nomischen Kenntnisse besaß, vielmehr Himmel und Erde, Natur und Mensch von dem beschränktesten geocentrischen und anthropo- centrischen Standpunkte aus beurtheilte. Als größter Fortschritt der Astronomie wird allgemein und mit Recht das heliocentrische Weltsystem des Kopernikus betrachtet, dessen großartiges Werk: "De revolutionibus orbium coelestium" selbst die größte Revolution in den Köpfen der denkenden Menschen hervorrief. Indem er das herrschende geocentrische
Fortſchritte der Aſtronomie. XX.
große Geſetz der mechaniſchen Kauſalität, für welches unſer kosmologiſches Grundgeſetz, das Subſtanz- Geſetz, nur ein anderer konkreter Ausdruck iſt, beherrſcht jetzt das Univerſum ebenſo wie den Menſchengeiſt; es iſt der ſichere, unverrückbare Leitſtern geworden, deſſen klares Licht uns durch das dunkle Labyrinth der unzähligen einzelnen Erſcheinungen den Pfad zeigt. Um uns davon zu überzeugen, wollen wir einen flüchtigen Rückblick auf die erſtaunlichen Fortſchritte werfen, welche die Hauptzweige der Naturwiſſenſchaft in dieſem denk- würdigen Zeitraum gemacht haben.
I.Fortſchritte der Aſtronomie. Die Himmelskunde iſt die älteſte, ebenſo wie die Menſchenkunde die jüngſte Natur- wiſſenſchaft. Ueber ſich ſelbſt und ſein eigenes Weſen kam der Menſch erſt in der zweiten Hälfte unſeres Jahrhunderts zu voller Klarheit, während er in der Kenntniß des geſtirnten Himmels, der Planeten-Bewegungen u. ſ. w. ſchon vor 4500 Jahren er- ſtaunliche Kenntniſſe beſaß. Die alten Chineſen, Inder, Egypter und Chaldäer kannten im fernen Morgenlande ſchon damals die ſphäriſche Aſtronomie genauer als die meiſten „gebildeten“ Chriſten des Abendlandes viertauſend Jahre ſpäter. Schon im Jahre 2697 vor Chr. wurde in China eine Sonnenfinſterniß aſtronomiſch beobachtet und 1100 Jahre vor Chr. mittels eines Gnomons die Schiefe der Ekliptik beſtimmt, während Chriſtus ſelbſt (der „Sohn Gottes!“) bekanntlich gar keine aſtro- nomiſchen Kenntniſſe beſaß, vielmehr Himmel und Erde, Natur und Menſch von dem beſchränkteſten geocentriſchen und anthropo- centriſchen Standpunkte aus beurtheilte. Als größter Fortſchritt der Aſtronomie wird allgemein und mit Recht das heliocentriſche Weltſyſtem des Kopernikus betrachtet, deſſen großartiges Werk: „De revolutionibuſ orbium coeleſtium“ ſelbſt die größte Revolution in den Köpfen der denkenden Menſchen hervorrief. Indem er das herrſchende geocentriſche
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0440"n="424"/><fwplace="top"type="header">Fortſchritte der Aſtronomie. <hirendition="#aq">XX.</hi></fw><lb/>
große Geſetz der <hirendition="#g">mechaniſchen Kauſalität,</hi> für welches<lb/>
unſer <hirendition="#g">kosmologiſches Grundgeſetz,</hi> das <hirendition="#g">Subſtanz-<lb/>
Geſetz,</hi> nur ein anderer konkreter Ausdruck iſt, beherrſcht jetzt<lb/>
das Univerſum ebenſo wie den Menſchengeiſt; es iſt der ſichere,<lb/>
unverrückbare Leitſtern geworden, deſſen klares Licht uns durch<lb/>
das dunkle Labyrinth der unzähligen einzelnen Erſcheinungen den<lb/>
Pfad zeigt. Um uns davon zu überzeugen, wollen wir einen<lb/>
flüchtigen Rückblick auf die erſtaunlichen Fortſchritte werfen,<lb/>
welche die Hauptzweige der Naturwiſſenſchaft in dieſem denk-<lb/>
würdigen Zeitraum gemacht haben.</p><lb/><p><hirendition="#aq">I.</hi><hirendition="#b">Fortſchritte der Aſtronomie.</hi> Die Himmelskunde iſt<lb/>
die älteſte, ebenſo wie die Menſchenkunde die jüngſte Natur-<lb/>
wiſſenſchaft. Ueber ſich ſelbſt und ſein eigenes Weſen kam der<lb/>
Menſch erſt in der zweiten Hälfte unſeres Jahrhunderts zu voller<lb/>
Klarheit, während er in der Kenntniß des geſtirnten Himmels,<lb/>
der Planeten-Bewegungen u. ſ. w. ſchon vor 4500 Jahren er-<lb/>ſtaunliche Kenntniſſe beſaß. Die alten Chineſen, Inder, Egypter<lb/>
und Chaldäer kannten im fernen Morgenlande ſchon damals die<lb/>ſphäriſche Aſtronomie genauer als die meiſten „gebildeten“<lb/>
Chriſten des Abendlandes viertauſend Jahre ſpäter. Schon im<lb/>
Jahre 2697 vor Chr. wurde in China eine Sonnenfinſterniß<lb/>
aſtronomiſch beobachtet und 1100 Jahre vor Chr. mittels eines<lb/>
Gnomons die Schiefe der Ekliptik beſtimmt, während Chriſtus<lb/>ſelbſt (der „Sohn Gottes!“) bekanntlich gar keine aſtro-<lb/>
nomiſchen Kenntniſſe beſaß, vielmehr Himmel und Erde, Natur<lb/>
und Menſch von dem beſchränkteſten geocentriſchen und anthropo-<lb/>
centriſchen Standpunkte aus beurtheilte. Als größter Fortſchritt<lb/>
der Aſtronomie wird allgemein und mit Recht das heliocentriſche<lb/>
Weltſyſtem des <hirendition="#g">Kopernikus</hi> betrachtet, deſſen großartiges<lb/>
Werk: <hirendition="#g"><hirendition="#aq">„De revolutionibuſ orbium coeleſtium“</hi></hi><lb/>ſelbſt die größte Revolution in den Köpfen der denkenden<lb/>
Menſchen hervorrief. Indem er das herrſchende geocentriſche<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[424/0440]
Fortſchritte der Aſtronomie. XX.
große Geſetz der mechaniſchen Kauſalität, für welches
unſer kosmologiſches Grundgeſetz, das Subſtanz-
Geſetz, nur ein anderer konkreter Ausdruck iſt, beherrſcht jetzt
das Univerſum ebenſo wie den Menſchengeiſt; es iſt der ſichere,
unverrückbare Leitſtern geworden, deſſen klares Licht uns durch
das dunkle Labyrinth der unzähligen einzelnen Erſcheinungen den
Pfad zeigt. Um uns davon zu überzeugen, wollen wir einen
flüchtigen Rückblick auf die erſtaunlichen Fortſchritte werfen,
welche die Hauptzweige der Naturwiſſenſchaft in dieſem denk-
würdigen Zeitraum gemacht haben.
I. Fortſchritte der Aſtronomie. Die Himmelskunde iſt
die älteſte, ebenſo wie die Menſchenkunde die jüngſte Natur-
wiſſenſchaft. Ueber ſich ſelbſt und ſein eigenes Weſen kam der
Menſch erſt in der zweiten Hälfte unſeres Jahrhunderts zu voller
Klarheit, während er in der Kenntniß des geſtirnten Himmels,
der Planeten-Bewegungen u. ſ. w. ſchon vor 4500 Jahren er-
ſtaunliche Kenntniſſe beſaß. Die alten Chineſen, Inder, Egypter
und Chaldäer kannten im fernen Morgenlande ſchon damals die
ſphäriſche Aſtronomie genauer als die meiſten „gebildeten“
Chriſten des Abendlandes viertauſend Jahre ſpäter. Schon im
Jahre 2697 vor Chr. wurde in China eine Sonnenfinſterniß
aſtronomiſch beobachtet und 1100 Jahre vor Chr. mittels eines
Gnomons die Schiefe der Ekliptik beſtimmt, während Chriſtus
ſelbſt (der „Sohn Gottes!“) bekanntlich gar keine aſtro-
nomiſchen Kenntniſſe beſaß, vielmehr Himmel und Erde, Natur
und Menſch von dem beſchränkteſten geocentriſchen und anthropo-
centriſchen Standpunkte aus beurtheilte. Als größter Fortſchritt
der Aſtronomie wird allgemein und mit Recht das heliocentriſche
Weltſyſtem des Kopernikus betrachtet, deſſen großartiges
Werk: „De revolutionibuſ orbium coeleſtium“
ſelbſt die größte Revolution in den Köpfen der denkenden
Menſchen hervorrief. Indem er das herrſchende geocentriſche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/440>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.