Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Staat und Schule. XIX. Aber die Entwickelung der Unterrichts-Methoden hat damit keines-wegs gleichen Schritt gehalten. Die Nothwendigkeit einer um- fassenden Schul-Reform drängt sich uns immer entschiedener auf. Auch über diese große Frage sind im Laufe der letzten vierzig Jahre sehr zahlreiche und werthvolle Schriften erschienen. Wir beschränken uns daher auf Hervorhebung einiger allgemeiner Gesichtspunkte, die uns besonders wichtig erscheinen: 1. Im bisherigen Unterricht spielte allgemein der Mensch die Haupt- rolle und besonders das grammatische Studium seiner Sprache; die Naturkunde wurde darüber ganz vernachlässigt. 2. In der neuen Schule muß die Natur das Hauptobjekt werden; der Mensch soll eine richtige Vorstellung von der Welt gewinnen, in der er lebt; er soll nicht außerhalb der Natur stehen oder gar im Gegensatz zu ihr, sondern soll als ihr höchstes und edelstes Erzeugniß erscheinen. 3. Das Studium der klassischen Sprachen (Lateinisch und Griechisch), das bisher den größten Theil der Zeit und Arbeit in Anspruch nahm, bleibt zwar sehr werthvoll, muß aber stark beschränkt und auf die Elemente reducirt werden (das Griechische nur fakultativ, das Lateinische obligatorisch). 4. Dafür müssen die modernen Kultur- Sprachen auf allen höheren Schulen um so mehr gepflegt werden (Englisch und Französisch obligatorisch, daneben Italienisch fakultativ). 5. Der Unterricht in der Geschichte muß mehr das innere Geistesleben, die Kultur-Geschichte berücksichtigen, weniger die äußerliche Völkergeschichte (die Schicksale der Dynastien, Kriege u. s. w.). 6. Die Grundzüge der Entwickelungslehre sind im Zusammenhange mit denjenigen der Kosmologie zu lehren, Geologie im Anschluß an die Geographie, Anthropologie im Anschluß an die Biologie. 7. Die Grundzüge der Biologie müssen Gemeingut jedes gebildeten Menschen werden; der moderne "Anschauungs-Unterricht" fördert die anziehende Einführung in die biologischen Wissenschaften (Anthropologie, Zoologie, Botanik). Staat und Schule. XIX. Aber die Entwickelung der Unterrichts-Methoden hat damit keines-wegs gleichen Schritt gehalten. Die Nothwendigkeit einer um- faſſenden Schul-Reform drängt ſich uns immer entſchiedener auf. Auch über dieſe große Frage ſind im Laufe der letzten vierzig Jahre ſehr zahlreiche und werthvolle Schriften erſchienen. Wir beſchränken uns daher auf Hervorhebung einiger allgemeiner Geſichtspunkte, die uns beſonders wichtig erſcheinen: 1. Im bisherigen Unterricht ſpielte allgemein der Menſch die Haupt- rolle und beſonders das grammatiſche Studium ſeiner Sprache; die Naturkunde wurde darüber ganz vernachläſſigt. 2. In der neuen Schule muß die Natur das Hauptobjekt werden; der Menſch ſoll eine richtige Vorſtellung von der Welt gewinnen, in der er lebt; er ſoll nicht außerhalb der Natur ſtehen oder gar im Gegenſatz zu ihr, ſondern ſoll als ihr höchſtes und edelſtes Erzeugniß erſcheinen. 3. Das Studium der klaſſiſchen Sprachen (Lateiniſch und Griechiſch), das bisher den größten Theil der Zeit und Arbeit in Anſpruch nahm, bleibt zwar ſehr werthvoll, muß aber ſtark beſchränkt und auf die Elemente reducirt werden (das Griechiſche nur fakultativ, das Lateiniſche obligatoriſch). 4. Dafür müſſen die modernen Kultur- Sprachen auf allen höheren Schulen um ſo mehr gepflegt werden (Engliſch und Franzöſiſch obligatoriſch, daneben Italieniſch fakultativ). 5. Der Unterricht in der Geſchichte muß mehr das innere Geiſtesleben, die Kultur-Geſchichte berückſichtigen, weniger die äußerliche Völkergeſchichte (die Schickſale der Dynaſtien, Kriege u. ſ. w.). 6. Die Grundzüge der Entwickelungslehre ſind im Zuſammenhange mit denjenigen der Kosmologie zu lehren, Geologie im Anſchluß an die Geographie, Anthropologie im Anſchluß an die Biologie. 7. Die Grundzüge der Biologie müſſen Gemeingut jedes gebildeten Menſchen werden; der moderne „Anſchauungs-Unterricht“ fördert die anziehende Einführung in die biologiſchen Wiſſenſchaften (Anthropologie, Zoologie, Botanik). <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0434" n="418"/><fw place="top" type="header">Staat und Schule. <hi rendition="#aq">XIX.</hi></fw><lb/> Aber die Entwickelung der Unterrichts-Methoden hat damit keines-<lb/> wegs gleichen Schritt gehalten. Die Nothwendigkeit einer um-<lb/> faſſenden <hi rendition="#g">Schul-Reform</hi> drängt ſich uns immer entſchiedener<lb/> auf. 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Staat und Schule. XIX.
Aber die Entwickelung der Unterrichts-Methoden hat damit keines-
wegs gleichen Schritt gehalten. Die Nothwendigkeit einer um-
faſſenden Schul-Reform drängt ſich uns immer entſchiedener
auf. Auch über dieſe große Frage ſind im Laufe der letzten
vierzig Jahre ſehr zahlreiche und werthvolle Schriften erſchienen.
Wir beſchränken uns daher auf Hervorhebung einiger allgemeiner
Geſichtspunkte, die uns beſonders wichtig erſcheinen: 1. Im
bisherigen Unterricht ſpielte allgemein der Menſch die Haupt-
rolle und beſonders das grammatiſche Studium ſeiner Sprache;
die Naturkunde wurde darüber ganz vernachläſſigt. 2. In der
neuen Schule muß die Natur das Hauptobjekt werden; der
Menſch ſoll eine richtige Vorſtellung von der Welt gewinnen, in
der er lebt; er ſoll nicht außerhalb der Natur ſtehen oder gar
im Gegenſatz zu ihr, ſondern ſoll als ihr höchſtes und edelſtes
Erzeugniß erſcheinen. 3. Das Studium der klaſſiſchen
Sprachen (Lateiniſch und Griechiſch), das bisher den größten
Theil der Zeit und Arbeit in Anſpruch nahm, bleibt zwar ſehr
werthvoll, muß aber ſtark beſchränkt und auf die Elemente
reducirt werden (das Griechiſche nur fakultativ, das Lateiniſche
obligatoriſch). 4. Dafür müſſen die modernen Kultur-
Sprachen auf allen höheren Schulen um ſo mehr gepflegt
werden (Engliſch und Franzöſiſch obligatoriſch, daneben Italieniſch
fakultativ). 5. Der Unterricht in der Geſchichte muß mehr das
innere Geiſtesleben, die Kultur-Geſchichte berückſichtigen, weniger
die äußerliche Völkergeſchichte (die Schickſale der Dynaſtien,
Kriege u. ſ. w.). 6. Die Grundzüge der Entwickelungslehre
ſind im Zuſammenhange mit denjenigen der Kosmologie zu
lehren, Geologie im Anſchluß an die Geographie, Anthropologie
im Anſchluß an die Biologie. 7. Die Grundzüge der Biologie
müſſen Gemeingut jedes gebildeten Menſchen werden; der moderne
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