Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.
Moral des Cölibats. XIX. geschah denn auch in verschiedenen, oft recht romantischen Formen.So wurde z. B. das kanonische Gesetz, daß die Pfarrersköchin nicht jünger als vierzig Jahre alt sein dürfe, sehr sinnreich dadurch "ausgelegt", daß sich der Herr Kaplan zwei "Köchinnen" hielt, eine im Pfarrhause, die andere draußen; wenn jene 24 und diese 18 Jahr alt war, machte das zusammen 42 -- also noch 2 Jahre mehr, als nöthig war. Auf den christlichen Kon- cilien, auf welchen ungläubige Ketzer lebendig verbrannt wurden, tafelten die versammelten Kardinäle und Bischöfe mit ganzen Schaaren von Freudenmädchen. Die geheimen und öffentlichen Ausschweifungen des katholischen Klerus wurden so schamlos und gemeingefährlich, daß schon vor Luther die Empörung darüber allgemein und der Ruf nach einer "Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern" überall laut wurde. Daß trotz- dem diese unsittlichen Verhältnisse in katholischen Ländern noch heute fortbestehen (wenn auch mehr im Geheimen), ist bekannt. Früher wiederholten sich noch immer von Zeit zu Zeit die Anträge auf definitive Aufhebung des Cölibats, so in den Kammern von Baden, Bayern, Hessen, Sachsen und anderen Ländern. Leider bisher vergebens! Im Deutschen Reichstage, in welchem das ultramontane Centrum gegenwärtig die lächerlichsten Mittel zur Vermeidung der sexuellen Unsittlichkeit vorschlägt, denkt noch heute keine Partei daran, die Abschaffung des Cölibats im In- teresse der öffentlichen Moral zu beantragen. Der sogenannte "Freisinn" und die utopistische Social-Demokratie buhlen um die Gunst jenes Centrums! Der moderne Kulturstaat, der nicht bloß das praktische, Moral des Cölibats. XIX. geſchah denn auch in verſchiedenen, oft recht romantiſchen Formen.So wurde z. B. das kanoniſche Geſetz, daß die Pfarrersköchin nicht jünger als vierzig Jahre alt ſein dürfe, ſehr ſinnreich dadurch „ausgelegt“, daß ſich der Herr Kaplan zwei „Köchinnen“ hielt, eine im Pfarrhauſe, die andere draußen; wenn jene 24 und dieſe 18 Jahr alt war, machte das zuſammen 42 — alſo noch 2 Jahre mehr, als nöthig war. Auf den chriſtlichen Kon- cilien, auf welchen ungläubige Ketzer lebendig verbrannt wurden, tafelten die verſammelten Kardinäle und Biſchöfe mit ganzen Schaaren von Freudenmädchen. Die geheimen und öffentlichen Ausſchweifungen des katholiſchen Klerus wurden ſo ſchamlos und gemeingefährlich, daß ſchon vor Luther die Empörung darüber allgemein und der Ruf nach einer „Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern“ überall laut wurde. Daß trotz- dem dieſe unſittlichen Verhältniſſe in katholiſchen Ländern noch heute fortbeſtehen (wenn auch mehr im Geheimen), iſt bekannt. Früher wiederholten ſich noch immer von Zeit zu Zeit die Anträge auf definitive Aufhebung des Cölibats, ſo in den Kammern von Baden, Bayern, Heſſen, Sachſen und anderen Ländern. Leider bisher vergebens! Im Deutſchen Reichstage, in welchem das ultramontane Centrum gegenwärtig die lächerlichſten Mittel zur Vermeidung der ſexuellen Unſittlichkeit vorſchlägt, denkt noch heute keine Partei daran, die Abſchaffung des Cölibats im In- tereſſe der öffentlichen Moral zu beantragen. Der ſogenannte „Freiſinn“ und die utopiſtiſche Social-Demokratie buhlen um die Gunſt jenes Centrums! Der moderne Kulturſtaat, der nicht bloß das praktiſche, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0430" n="414"/><fw place="top" type="header">Moral des Cölibats. <hi rendition="#aq">XIX.</hi></fw><lb/> geſchah denn auch in verſchiedenen, oft recht romantiſchen Formen.<lb/> So wurde z. B. das kanoniſche Geſetz, daß die Pfarrersköchin<lb/> nicht jünger als vierzig Jahre alt ſein dürfe, ſehr ſinnreich<lb/> dadurch „ausgelegt“, daß ſich der Herr Kaplan zwei „Köchinnen“<lb/> hielt, eine im Pfarrhauſe, die andere draußen; wenn jene 24<lb/> und dieſe 18 Jahr alt war, machte das zuſammen 42 — alſo<lb/> noch 2 Jahre mehr, als nöthig war. Auf den chriſtlichen Kon-<lb/> cilien, auf welchen ungläubige Ketzer lebendig verbrannt wurden,<lb/> tafelten die verſammelten Kardinäle und Biſchöfe mit ganzen<lb/> Schaaren von Freudenmädchen. Die geheimen und öffentlichen<lb/> Ausſchweifungen des katholiſchen Klerus wurden ſo ſchamlos<lb/> und gemeingefährlich, daß ſchon vor <hi rendition="#g">Luther</hi> die Empörung<lb/> darüber allgemein und der Ruf nach einer „Reformation der<lb/> Kirche an Haupt und Gliedern“ überall laut wurde. Daß trotz-<lb/> dem dieſe unſittlichen Verhältniſſe in katholiſchen Ländern noch<lb/> heute fortbeſtehen (wenn auch mehr im Geheimen), iſt bekannt.<lb/> Früher wiederholten ſich noch immer von Zeit zu Zeit die Anträge<lb/> auf definitive Aufhebung des Cölibats, ſo in den Kammern von<lb/> Baden, Bayern, Heſſen, Sachſen und anderen Ländern. Leider<lb/> bisher vergebens! Im Deutſchen Reichstage, in welchem das<lb/> ultramontane Centrum gegenwärtig die lächerlichſten Mittel zur<lb/> Vermeidung der ſexuellen Unſittlichkeit vorſchlägt, denkt noch<lb/> heute keine Partei daran, die Abſchaffung des Cölibats im In-<lb/> tereſſe der öffentlichen Moral zu beantragen. Der ſogenannte<lb/><hi rendition="#g">„Freiſinn“</hi> und die utopiſtiſche <hi rendition="#g">Social-Demokratie</hi><lb/> buhlen um die Gunſt jenes Centrums!</p><lb/> <p>Der moderne Kulturſtaat, der nicht bloß das praktiſche,<lb/> ſondern auch das moraliſche Volksleben auf eine höhere Stufe<lb/> heben ſoll, hat das Recht und die Pflicht, ſolche unwürdige und<lb/> gemeinſchädliche Zuſtände aufzuheben. Das <hi rendition="#g">obligatoriſche<lb/> Cölibat</hi> der katholiſchen Geiſtlichen iſt ebenſo verderblich und<lb/> unſittlich wie die <hi rendition="#g">Ohrenbeichte</hi> und der <hi rendition="#g">Ablaßkram;</hi> alle<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [414/0430]
Moral des Cölibats. XIX.
geſchah denn auch in verſchiedenen, oft recht romantiſchen Formen.
So wurde z. B. das kanoniſche Geſetz, daß die Pfarrersköchin
nicht jünger als vierzig Jahre alt ſein dürfe, ſehr ſinnreich
dadurch „ausgelegt“, daß ſich der Herr Kaplan zwei „Köchinnen“
hielt, eine im Pfarrhauſe, die andere draußen; wenn jene 24
und dieſe 18 Jahr alt war, machte das zuſammen 42 — alſo
noch 2 Jahre mehr, als nöthig war. Auf den chriſtlichen Kon-
cilien, auf welchen ungläubige Ketzer lebendig verbrannt wurden,
tafelten die verſammelten Kardinäle und Biſchöfe mit ganzen
Schaaren von Freudenmädchen. Die geheimen und öffentlichen
Ausſchweifungen des katholiſchen Klerus wurden ſo ſchamlos
und gemeingefährlich, daß ſchon vor Luther die Empörung
darüber allgemein und der Ruf nach einer „Reformation der
Kirche an Haupt und Gliedern“ überall laut wurde. Daß trotz-
dem dieſe unſittlichen Verhältniſſe in katholiſchen Ländern noch
heute fortbeſtehen (wenn auch mehr im Geheimen), iſt bekannt.
Früher wiederholten ſich noch immer von Zeit zu Zeit die Anträge
auf definitive Aufhebung des Cölibats, ſo in den Kammern von
Baden, Bayern, Heſſen, Sachſen und anderen Ländern. Leider
bisher vergebens! Im Deutſchen Reichstage, in welchem das
ultramontane Centrum gegenwärtig die lächerlichſten Mittel zur
Vermeidung der ſexuellen Unſittlichkeit vorſchlägt, denkt noch
heute keine Partei daran, die Abſchaffung des Cölibats im In-
tereſſe der öffentlichen Moral zu beantragen. Der ſogenannte
„Freiſinn“ und die utopiſtiſche Social-Demokratie
buhlen um die Gunſt jenes Centrums!
Der moderne Kulturſtaat, der nicht bloß das praktiſche,
ſondern auch das moraliſche Volksleben auf eine höhere Stufe
heben ſoll, hat das Recht und die Pflicht, ſolche unwürdige und
gemeinſchädliche Zuſtände aufzuheben. Das obligatoriſche
Cölibat der katholiſchen Geiſtlichen iſt ebenſo verderblich und
unſittlich wie die Ohrenbeichte und der Ablaßkram; alle
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
| URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899 |
| URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/430 |
| Zitationshilfe: | Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/430>, abgerufen am 23.11.2024. |
