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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XIX. Frauen-Verachtung des Christenthums.
Mann und Weib sind zwei verschiedene, aber gleichwerthige
Organismen, jeder mit seinen eigenthümlichen Vorzügen und
Mängeln. Je höher sich die Kultur entwickelte, desto mehr wurde
dieser ideale Werth der sexuellen Liebe erkannt, und desto höher
stieg die Achtung der Frau, besonders in der germanischen Rasse;
ist sie doch die Quelle, aus welcher die herrlichsten Blüthen der
Poesie und der Kunst entsprossen sind. Christus dagegen lag
diese Anschauung ebenso fern wie fast dem ganzen Alterthum;
er theilte die allgemein herrschende Anschauung des Orients,
daß das Weib dem Manne untergeordnet und der Verkehr mit
ihm "unrein" sei. Die beleidigte Natur hat sich für diese Miß-
achtung furchtbar gerächt, und die traurigen Folgen derselben
sind namentlich in der Kulturgeschichte des papistischen Mittel-
alters mit blutiger Schrift verzeichnet.

Papistische Moral. Die bewunderungswürdige Hierarchie
des römischen Papismus, die kein Mittel zur absoluten Be-
herrschung der Geister verschmähte, fand ein ausgezeichnetes In-
strument in der Fortbildung jener "unreinen" Anschauung und
in der Pflege der asketischen Vorstellung, daß die Enthaltung
vom Frauen-Verkehr an sich eine Tugend sei. Schon in den
ersten Jahrhunderten nach Christus enthielten sich viele Priester
freiwillig der Ehe, und bald stieg der vermeintliche Werth dieses
Cölibats so hoch, daß dasselbe für obligatorisch erklärt wurde.
Die Sittenlosigkeit, die in Folge dessen einriß, ist durch die
Forschungen der neueren Kulturgeschichte allbekannt geworden *).
Schon im Mittelalter wurde die Verführung ehrbarer Frauen
und Töchter durch katholische Geistliche (wobei der Beichtstuhl
eine wichtige Rolle spielte!) ein öffentliches Aergerniß; viele
Gemeinden drangen darauf, daß zur Verhütung derselben den
"keuschen" Priestern das Konkubinat gestattet werde! Das

*) Vergl. die Kulturgeschichten von Kolb, Hellwald, Scherr u. s. w.

XIX. Frauen-Verachtung des Chriſtenthums.
Mann und Weib ſind zwei verſchiedene, aber gleichwerthige
Organismen, jeder mit ſeinen eigenthümlichen Vorzügen und
Mängeln. Je höher ſich die Kultur entwickelte, deſto mehr wurde
dieſer ideale Werth der ſexuellen Liebe erkannt, und deſto höher
ſtieg die Achtung der Frau, beſonders in der germaniſchen Raſſe;
iſt ſie doch die Quelle, aus welcher die herrlichſten Blüthen der
Poeſie und der Kunſt entſproſſen ſind. Chriſtus dagegen lag
dieſe Anſchauung ebenſo fern wie faſt dem ganzen Alterthum;
er theilte die allgemein herrſchende Anſchauung des Orients,
daß das Weib dem Manne untergeordnet und der Verkehr mit
ihm „unrein“ ſei. Die beleidigte Natur hat ſich für dieſe Miß-
achtung furchtbar gerächt, und die traurigen Folgen derſelben
ſind namentlich in der Kulturgeſchichte des papiſtiſchen Mittel-
alters mit blutiger Schrift verzeichnet.

Papiſtiſche Moral. Die bewunderungswürdige Hierarchie
des römiſchen Papismus, die kein Mittel zur abſoluten Be-
herrſchung der Geiſter verſchmähte, fand ein ausgezeichnetes In-
ſtrument in der Fortbildung jener „unreinen“ Anſchauung und
in der Pflege der asketiſchen Vorſtellung, daß die Enthaltung
vom Frauen-Verkehr an ſich eine Tugend ſei. Schon in den
erſten Jahrhunderten nach Chriſtus enthielten ſich viele Prieſter
freiwillig der Ehe, und bald ſtieg der vermeintliche Werth dieſes
Cölibats ſo hoch, daß dasſelbe für obligatoriſch erklärt wurde.
Die Sittenloſigkeit, die in Folge deſſen einriß, iſt durch die
Forſchungen der neueren Kulturgeſchichte allbekannt geworden *).
Schon im Mittelalter wurde die Verführung ehrbarer Frauen
und Töchter durch katholiſche Geiſtliche (wobei der Beichtſtuhl
eine wichtige Rolle ſpielte!) ein öffentliches Aergerniß; viele
Gemeinden drangen darauf, daß zur Verhütung derſelben den
„keuſchen“ Prieſtern das Konkubinat geſtattet werde! Das

*) Vergl. die Kulturgeſchichten von Kolb, Hellwald, Scherr u. ſ. w.
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[413/0429] XIX. Frauen-Verachtung des Chriſtenthums. Mann und Weib ſind zwei verſchiedene, aber gleichwerthige Organismen, jeder mit ſeinen eigenthümlichen Vorzügen und Mängeln. Je höher ſich die Kultur entwickelte, deſto mehr wurde dieſer ideale Werth der ſexuellen Liebe erkannt, und deſto höher ſtieg die Achtung der Frau, beſonders in der germaniſchen Raſſe; iſt ſie doch die Quelle, aus welcher die herrlichſten Blüthen der Poeſie und der Kunſt entſproſſen ſind. Chriſtus dagegen lag dieſe Anſchauung ebenſo fern wie faſt dem ganzen Alterthum; er theilte die allgemein herrſchende Anſchauung des Orients, daß das Weib dem Manne untergeordnet und der Verkehr mit ihm „unrein“ ſei. Die beleidigte Natur hat ſich für dieſe Miß- achtung furchtbar gerächt, und die traurigen Folgen derſelben ſind namentlich in der Kulturgeſchichte des papiſtiſchen Mittel- alters mit blutiger Schrift verzeichnet. Papiſtiſche Moral. Die bewunderungswürdige Hierarchie des römiſchen Papismus, die kein Mittel zur abſoluten Be- herrſchung der Geiſter verſchmähte, fand ein ausgezeichnetes In- ſtrument in der Fortbildung jener „unreinen“ Anſchauung und in der Pflege der asketiſchen Vorſtellung, daß die Enthaltung vom Frauen-Verkehr an ſich eine Tugend ſei. Schon in den erſten Jahrhunderten nach Chriſtus enthielten ſich viele Prieſter freiwillig der Ehe, und bald ſtieg der vermeintliche Werth dieſes Cölibats ſo hoch, daß dasſelbe für obligatoriſch erklärt wurde. Die Sittenloſigkeit, die in Folge deſſen einriß, iſt durch die Forſchungen der neueren Kulturgeſchichte allbekannt geworden *). Schon im Mittelalter wurde die Verführung ehrbarer Frauen und Töchter durch katholiſche Geiſtliche (wobei der Beichtſtuhl eine wichtige Rolle ſpielte!) ein öffentliches Aergerniß; viele Gemeinden drangen darauf, daß zur Verhütung derſelben den „keuſchen“ Prieſtern das Konkubinat geſtattet werde! Das *) Vergl. die Kulturgeſchichten von Kolb, Hellwald, Scherr u. ſ. w.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/429>, abgerufen am 23.11.2024.