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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Der deutsche Kulturkampf. XVIII.
nationale Einheit errungen hatte, wurden die frechen Attentate
des Papismus besonders schwer empfunden; denn einerseits ist
Deutschland die Geburtsstätte der Reformation und der modernen
Geistesbefreiung, andererseits aber besitzt es leider in seinen
18 Millionen Katholiken ein mächtiges Heer von streitbaren
Gläubigen, welches an blindem Gehorsam gegen die Befehle
seines Oberhirten von keinem anderen Kultur-Volke übertroffen
wird *). Die hieraus entspringenden Gefahren erkannte mit
klarem Blick der gewaltige Staatsmann, der das "politische
Welträthsel" der deutschen National-Zerrissenheit gelöst und uns
durch bewunderungswürdige Staatskunst zu dem ersehnten Ziele
nationaler Einheit und Macht geführt hatte. Fürst Bismarck
begann 1872 jenen denkwürdigen, vom Vatikan aufgedrungenen
Kulturkampf, der von dem ausgezeichneten Kultusminister
Falk durch die "Maigesetzgebung" (1873) ebenso klug als
energisch geführt wurde. Leider mußte derselbe schon sechs Jahre
später aufgegeben werden. Obwohl unser größter Staatsmann ein
ausgezeichneter Menschenkenner und kluger Realpolitiker war,
hatte er doch die Macht von drei gewaltigen Hindernissen unter-
schätzt: erstens die unübertroffene Schlauheit und gewissenlose
Perfidie der römischen Kurie, zweitens die entsprechende
Gedankenlosigkeit und Leichtgläubigkeit der ungebildeten katho-
lischen Massen, auf welche sich die erstere stützte, und drittens
die Macht der Trägheit, des Fortbestehens des Unvernünftigen,
bloß weil es da ist. So mußte denn schon 1878, nachdem der
klügere Papst Leo XIII. seine Regierung angetreten hatte, der
schwere "Gang nach Canossa" wiederholt werden. Die neu ge-
stärkte Macht des Vatikans nahm seitdem wieder mächtig zu,
einerseits durch die gewissenlosen Ränke und Schlangen-Windungen

*) Christus sagt zu Petrus: "Weide meine Schafe!" Die Nach-
folger auf dem Stuhle Petri haben das "Weiden" in "Scheeren"
übersetzt.

Der deutſche Kulturkampf. XVIII.
nationale Einheit errungen hatte, wurden die frechen Attentate
des Papismus beſonders ſchwer empfunden; denn einerſeits iſt
Deutſchland die Geburtsſtätte der Reformation und der modernen
Geiſtesbefreiung, andererſeits aber beſitzt es leider in ſeinen
18 Millionen Katholiken ein mächtiges Heer von ſtreitbaren
Gläubigen, welches an blindem Gehorſam gegen die Befehle
ſeines Oberhirten von keinem anderen Kultur-Volke übertroffen
wird *). Die hieraus entſpringenden Gefahren erkannte mit
klarem Blick der gewaltige Staatsmann, der das „politiſche
Welträthſel“ der deutſchen National-Zerriſſenheit gelöſt und uns
durch bewunderungswürdige Staatskunſt zu dem erſehnten Ziele
nationaler Einheit und Macht geführt hatte. Fürſt Bismarck
begann 1872 jenen denkwürdigen, vom Vatikan aufgedrungenen
Kulturkampf, der von dem ausgezeichneten Kultusminiſter
Falk durch die „Maigeſetzgebung“ (1873) ebenſo klug als
energiſch geführt wurde. Leider mußte derſelbe ſchon ſechs Jahre
ſpäter aufgegeben werden. Obwohl unſer größter Staatsmann ein
ausgezeichneter Menſchenkenner und kluger Realpolitiker war,
hatte er doch die Macht von drei gewaltigen Hinderniſſen unter-
ſchätzt: erſtens die unübertroffene Schlauheit und gewiſſenloſe
Perfidie der römiſchen Kurie, zweitens die entſprechende
Gedankenloſigkeit und Leichtgläubigkeit der ungebildeten katho-
liſchen Maſſen, auf welche ſich die erſtere ſtützte, und drittens
die Macht der Trägheit, des Fortbeſtehens des Unvernünftigen,
bloß weil es da iſt. So mußte denn ſchon 1878, nachdem der
klügere Papſt Leo XIII. ſeine Regierung angetreten hatte, der
ſchwere „Gang nach Canoſſa“ wiederholt werden. Die neu ge-
ſtärkte Macht des Vatikans nahm ſeitdem wieder mächtig zu,
einerſeits durch die gewiſſenloſen Ränke und Schlangen-Windungen

*) Chriſtus ſagt zu Petrus: „Weide meine Schafe!“ Die Nach-
folger auf dem Stuhle Petri haben das „Weiden“ in „Scheeren
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[386/0402] Der deutſche Kulturkampf. XVIII. nationale Einheit errungen hatte, wurden die frechen Attentate des Papismus beſonders ſchwer empfunden; denn einerſeits iſt Deutſchland die Geburtsſtätte der Reformation und der modernen Geiſtesbefreiung, andererſeits aber beſitzt es leider in ſeinen 18 Millionen Katholiken ein mächtiges Heer von ſtreitbaren Gläubigen, welches an blindem Gehorſam gegen die Befehle ſeines Oberhirten von keinem anderen Kultur-Volke übertroffen wird *). Die hieraus entſpringenden Gefahren erkannte mit klarem Blick der gewaltige Staatsmann, der das „politiſche Welträthſel“ der deutſchen National-Zerriſſenheit gelöſt und uns durch bewunderungswürdige Staatskunſt zu dem erſehnten Ziele nationaler Einheit und Macht geführt hatte. Fürſt Bismarck begann 1872 jenen denkwürdigen, vom Vatikan aufgedrungenen Kulturkampf, der von dem ausgezeichneten Kultusminiſter Falk durch die „Maigeſetzgebung“ (1873) ebenſo klug als energiſch geführt wurde. Leider mußte derſelbe ſchon ſechs Jahre ſpäter aufgegeben werden. Obwohl unſer größter Staatsmann ein ausgezeichneter Menſchenkenner und kluger Realpolitiker war, hatte er doch die Macht von drei gewaltigen Hinderniſſen unter- ſchätzt: erſtens die unübertroffene Schlauheit und gewiſſenloſe Perfidie der römiſchen Kurie, zweitens die entſprechende Gedankenloſigkeit und Leichtgläubigkeit der ungebildeten katho- liſchen Maſſen, auf welche ſich die erſtere ſtützte, und drittens die Macht der Trägheit, des Fortbeſtehens des Unvernünftigen, bloß weil es da iſt. So mußte denn ſchon 1878, nachdem der klügere Papſt Leo XIII. ſeine Regierung angetreten hatte, der ſchwere „Gang nach Canoſſa“ wiederholt werden. Die neu ge- ſtärkte Macht des Vatikans nahm ſeitdem wieder mächtig zu, einerſeits durch die gewiſſenloſen Ränke und Schlangen-Windungen *) Chriſtus ſagt zu Petrus: „Weide meine Schafe!“ Die Nach- folger auf dem Stuhle Petri haben das „Weiden“ in „Scheeren“ überſetzt.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 386. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/402>, abgerufen am 23.11.2024.