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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Papismus und Wissenschaft. XVII.
Forschung an sich jeden Werth absprach. Allein die planmäßige
und erfolgreiche Bekämpfung der letzteren begann doch erst im
Anfange des vierten Jahrhunderts, besonders seit dem berüchtigten
Koncil von Nicäa (327), welchem Kaiser Konstantin prä-
sidirte, -- "der Große" genannt, weil er das Christenthum
zur Staatsreligion erhob und Konstantinopel gründete, dabei
ein nichtswürdiger Charakter, ein falscher Heuchler und viel-
facher Mörder. Wie erfolgreich der Papismus in seinem
Kampfe gegen jedes selbstständige wissenschaftliche Denken und
Forschen war, beweist am besten der jammervolle Zustand der
Naturerkenntniß und ihrer Litteratur im Mittelalter. Nicht nur
wurden die reichen Geistesschätze, welche das klassische Alterthum
hinterlassen hatte, zum größten Theile vernichtet oder der Ver-
breitung entzogen, sondern Folterknechte und Scheiterhaufen
sorgten dafür, daß jeder "Ketzer", d. h. jeder selbstständige Denker,
seine vernünftigen Gedanken für sich behielt. That er das nicht,
so mußte er sich darauf gefaßt machen, lebendig verbrannt zu
werden, wie es dem großen monistischen Philosophen Giordano
Bruno
, dem Reformator Johann Huß und mehr als
hunderttausend anderen "Zeugen der Wahrheit" geschah. Die
Geschichte der Wissenschaften im Mittelalter belehrt uns auf
jeder Seite, daß das selbstständige Denken und die empirische
wissenschaftliche Forschung unter dem Drucke des allmächtigen
Papismus durch zwölf traurige Jahrhunderte wirklich völlig
begraben blieben.

Papismus und Christenthum. Alles das, was wir am
wahren Christenthum im Sinne seines Stifters und seiner
edelsten Nachfolger hochschätzen, und was wir aus dem unaus-
bleiblichen Untergang dieser "Weltreligion" in unsere neue,
monistische Religion hinüber zu retten suchen müssen, liegt auf
seiner ethischen und socialen Seite. Die Principien der
wahren Humanität, der goldenen Regel, der Toleranz, der

Papismus und Wiſſenſchaft. XVII.
Forſchung an ſich jeden Werth abſprach. Allein die planmäßige
und erfolgreiche Bekämpfung der letzteren begann doch erſt im
Anfange des vierten Jahrhunderts, beſonders ſeit dem berüchtigten
Koncil von Nicäa (327), welchem Kaiſer Konſtantin prä-
ſidirte, — „der Große“ genannt, weil er das Chriſtenthum
zur Staatsreligion erhob und Konſtantinopel gründete, dabei
ein nichtswürdiger Charakter, ein falſcher Heuchler und viel-
facher Mörder. Wie erfolgreich der Papismus in ſeinem
Kampfe gegen jedes ſelbſtſtändige wiſſenſchaftliche Denken und
Forſchen war, beweiſt am beſten der jammervolle Zuſtand der
Naturerkenntniß und ihrer Litteratur im Mittelalter. Nicht nur
wurden die reichen Geiſtesſchätze, welche das klaſſiſche Alterthum
hinterlaſſen hatte, zum größten Theile vernichtet oder der Ver-
breitung entzogen, ſondern Folterknechte und Scheiterhaufen
ſorgten dafür, daß jeder „Ketzer“, d. h. jeder ſelbſtſtändige Denker,
ſeine vernünftigen Gedanken für ſich behielt. That er das nicht,
ſo mußte er ſich darauf gefaßt machen, lebendig verbrannt zu
werden, wie es dem großen moniſtiſchen Philoſophen Giordano
Bruno
, dem Reformator Johann Huß und mehr als
hunderttauſend anderen „Zeugen der Wahrheit“ geſchah. Die
Geſchichte der Wiſſenſchaften im Mittelalter belehrt uns auf
jeder Seite, daß das ſelbſtſtändige Denken und die empiriſche
wiſſenſchaftliche Forſchung unter dem Drucke des allmächtigen
Papismus durch zwölf traurige Jahrhunderte wirklich völlig
begraben blieben.

Papismus und Chriſtenthum. Alles das, was wir am
wahren Chriſtenthum im Sinne ſeines Stifters und ſeiner
edelſten Nachfolger hochſchätzen, und was wir aus dem unaus-
bleiblichen Untergang dieſer „Weltreligion“ in unſere neue,
moniſtiſche Religion hinüber zu retten ſuchen müſſen, liegt auf
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[366/0382] Papismus und Wiſſenſchaft. XVII. Forſchung an ſich jeden Werth abſprach. Allein die planmäßige und erfolgreiche Bekämpfung der letzteren begann doch erſt im Anfange des vierten Jahrhunderts, beſonders ſeit dem berüchtigten Koncil von Nicäa (327), welchem Kaiſer Konſtantin prä- ſidirte, — „der Große“ genannt, weil er das Chriſtenthum zur Staatsreligion erhob und Konſtantinopel gründete, dabei ein nichtswürdiger Charakter, ein falſcher Heuchler und viel- facher Mörder. Wie erfolgreich der Papismus in ſeinem Kampfe gegen jedes ſelbſtſtändige wiſſenſchaftliche Denken und Forſchen war, beweiſt am beſten der jammervolle Zuſtand der Naturerkenntniß und ihrer Litteratur im Mittelalter. Nicht nur wurden die reichen Geiſtesſchätze, welche das klaſſiſche Alterthum hinterlaſſen hatte, zum größten Theile vernichtet oder der Ver- breitung entzogen, ſondern Folterknechte und Scheiterhaufen ſorgten dafür, daß jeder „Ketzer“, d. h. jeder ſelbſtſtändige Denker, ſeine vernünftigen Gedanken für ſich behielt. That er das nicht, ſo mußte er ſich darauf gefaßt machen, lebendig verbrannt zu werden, wie es dem großen moniſtiſchen Philoſophen Giordano Bruno, dem Reformator Johann Huß und mehr als hunderttauſend anderen „Zeugen der Wahrheit“ geſchah. Die Geſchichte der Wiſſenſchaften im Mittelalter belehrt uns auf jeder Seite, daß das ſelbſtſtändige Denken und die empiriſche wiſſenſchaftliche Forſchung unter dem Drucke des allmächtigen Papismus durch zwölf traurige Jahrhunderte wirklich völlig begraben blieben. Papismus und Chriſtenthum. Alles das, was wir am wahren Chriſtenthum im Sinne ſeines Stifters und ſeiner edelſten Nachfolger hochſchätzen, und was wir aus dem unaus- bleiblichen Untergang dieſer „Weltreligion“ in unſere neue, moniſtiſche Religion hinüber zu retten ſuchen müſſen, liegt auf ſeiner ethiſchen und ſocialen Seite. Die Principien der wahren Humanität, der goldenen Regel, der Toleranz, der

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/382>, abgerufen am 23.11.2024.