Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.Glaube unserer Väter. XVI. desselben, und dieser wieder von demjenigen des 18. Jahrhunderts.Der letztere weicht sehr ab von dem "Glauben unserer Väter" im 17. und noch mehr im 16. Jahrhundert. Die Reformation, welche die geknechtete Vernunft von der Tyrannei des Papismus befreite, wird natürlich von dieser als ärgste Ketzerei verfolgt; aber auch der Glaube des Papismus selbst hatte sich im Laufe eines Jahrtausends völlig verändert. Und wie verschieden ist der Glaube der getauften Christen von demjenigen ihrer heidnischen Väter! Jeder selbstständig denkende Mensch bildet sich eben seinen eigenen, mehr oder weniger "persönlichen Glauben", und immer ist dieser verschieden von demjenigen seiner Väter; denn er ist ab- hängig von dem gesammten Bildungs-Zustande seiner Zeit. Je weiter wir in der Kultur-Geschichte zurückgehen, desto mehr muß uns der gepriesene "Glaube unserer Väter" als unhaltbarer Aberglaube erscheinen, dessen Formen sich beständig umbilden. Spiritismus. Eine der merkwürdigsten Formen des Aber- Glaube unſerer Väter. XVI. desſelben, und dieſer wieder von demjenigen des 18. Jahrhunderts.Der letztere weicht ſehr ab von dem „Glauben unſerer Väter“ im 17. und noch mehr im 16. Jahrhundert. Die Reformation, welche die geknechtete Vernunft von der Tyrannei des Papismus befreite, wird natürlich von dieſer als ärgſte Ketzerei verfolgt; aber auch der Glaube des Papismus ſelbſt hatte ſich im Laufe eines Jahrtauſends völlig verändert. Und wie verſchieden iſt der Glaube der getauften Chriſten von demjenigen ihrer heidniſchen Väter! Jeder ſelbſtſtändig denkende Menſch bildet ſich eben ſeinen eigenen, mehr oder weniger „perſönlichen Glauben“, und immer iſt dieſer verſchieden von demjenigen ſeiner Väter; denn er iſt ab- hängig von dem geſammten Bildungs-Zuſtande ſeiner Zeit. Je weiter wir in der Kultur-Geſchichte zurückgehen, deſto mehr muß uns der geprieſene „Glaube unſerer Väter“ als unhaltbarer Aberglaube erſcheinen, deſſen Formen ſich beſtändig umbilden. Spiritismus. Eine der merkwürdigſten Formen des Aber- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0368" n="352"/><fw place="top" type="header">Glaube unſerer Väter. <hi rendition="#aq">XVI.</hi></fw><lb/> desſelben, und dieſer wieder von demjenigen des 18. Jahrhunderts.<lb/> Der letztere weicht ſehr ab von dem „Glauben unſerer Väter“<lb/> im 17. und noch mehr im 16. Jahrhundert. Die Reformation,<lb/> welche die geknechtete Vernunft von der Tyrannei des Papismus<lb/> befreite, wird natürlich von dieſer als ärgſte Ketzerei verfolgt;<lb/> aber auch der Glaube des Papismus ſelbſt hatte ſich im Laufe<lb/> eines Jahrtauſends völlig verändert. Und wie verſchieden iſt der<lb/> Glaube der getauften Chriſten von demjenigen ihrer heidniſchen<lb/> Väter! Jeder ſelbſtſtändig denkende Menſch bildet ſich eben ſeinen<lb/> eigenen, mehr oder weniger „perſönlichen Glauben“, und immer iſt<lb/> dieſer verſchieden von demjenigen ſeiner Väter; denn er iſt ab-<lb/> hängig von dem geſammten Bildungs-Zuſtande ſeiner Zeit. Je<lb/> weiter wir in der Kultur-Geſchichte zurückgehen, deſto mehr muß<lb/> uns der geprieſene „Glaube unſerer Väter“ als unhaltbarer<lb/> Aberglaube erſcheinen, deſſen Formen ſich beſtändig umbilden.</p><lb/> <p><hi rendition="#b">Spiritismus.</hi> Eine der merkwürdigſten Formen des Aber-<lb/> glaubens iſt diejenige, welche noch heutzutage in unſerer modernen<lb/> Kulturwelt eine erſtaunliche Rolle ſpielt, der Spiritismus oder<lb/> der moderne <hi rendition="#g">Geiſterglaube</hi>. Es iſt eine ebenſo befremdende<lb/> wie betrübende Thatſache, daß noch heute Millionen gebildeter<lb/> Kulturmenſchen von dieſem finſteren Aberglauben völlig beherrſcht<lb/> ſind; ja ſogar einzelne berühmte Naturforſcher haben ſich von<lb/> demſelben nicht losmachen können. Zahlreiche ſpiritiſtiſche Zeit-<lb/> ſchriften verbreiten dieſen Geſpenſter-Glauben in weiteſten Kreiſen,<lb/> und unſere „feinſten Geſellſchafts-Kreiſe“ ſchämen ſich nicht,<lb/> „Geiſter“ erſcheinen zu laſſen, welche klopfen, ſchreiben, „Mit-<lb/> theilungen aus dem Jenſeits“ machen u. ſ. w. Man beruft<lb/> ſich in den Kreiſen der Spiritiſten oft darauf, daß ſelbſt an-<lb/> geſehene Naturforſcher dieſem Aberglauben huldigen. In Deutſch-<lb/> land werden dafür als Beiſpiele u. A. <hi rendition="#g">Zöllner</hi> und <hi rendition="#g">Fechner</hi><lb/> in Leipzig angeführt, in England <hi rendition="#g">Wallace</hi> und <hi rendition="#g">Crookes</hi> in<lb/> London. Die bedauerliche Thatſache, daß ſelbſt ſo hervorragende<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [352/0368]
Glaube unſerer Väter. XVI.
desſelben, und dieſer wieder von demjenigen des 18. Jahrhunderts.
Der letztere weicht ſehr ab von dem „Glauben unſerer Väter“
im 17. und noch mehr im 16. Jahrhundert. Die Reformation,
welche die geknechtete Vernunft von der Tyrannei des Papismus
befreite, wird natürlich von dieſer als ärgſte Ketzerei verfolgt;
aber auch der Glaube des Papismus ſelbſt hatte ſich im Laufe
eines Jahrtauſends völlig verändert. Und wie verſchieden iſt der
Glaube der getauften Chriſten von demjenigen ihrer heidniſchen
Väter! Jeder ſelbſtſtändig denkende Menſch bildet ſich eben ſeinen
eigenen, mehr oder weniger „perſönlichen Glauben“, und immer iſt
dieſer verſchieden von demjenigen ſeiner Väter; denn er iſt ab-
hängig von dem geſammten Bildungs-Zuſtande ſeiner Zeit. Je
weiter wir in der Kultur-Geſchichte zurückgehen, deſto mehr muß
uns der geprieſene „Glaube unſerer Väter“ als unhaltbarer
Aberglaube erſcheinen, deſſen Formen ſich beſtändig umbilden.
Spiritismus. Eine der merkwürdigſten Formen des Aber-
glaubens iſt diejenige, welche noch heutzutage in unſerer modernen
Kulturwelt eine erſtaunliche Rolle ſpielt, der Spiritismus oder
der moderne Geiſterglaube. Es iſt eine ebenſo befremdende
wie betrübende Thatſache, daß noch heute Millionen gebildeter
Kulturmenſchen von dieſem finſteren Aberglauben völlig beherrſcht
ſind; ja ſogar einzelne berühmte Naturforſcher haben ſich von
demſelben nicht losmachen können. Zahlreiche ſpiritiſtiſche Zeit-
ſchriften verbreiten dieſen Geſpenſter-Glauben in weiteſten Kreiſen,
und unſere „feinſten Geſellſchafts-Kreiſe“ ſchämen ſich nicht,
„Geiſter“ erſcheinen zu laſſen, welche klopfen, ſchreiben, „Mit-
theilungen aus dem Jenſeits“ machen u. ſ. w. Man beruft
ſich in den Kreiſen der Spiritiſten oft darauf, daß ſelbſt an-
geſehene Naturforſcher dieſem Aberglauben huldigen. In Deutſch-
land werden dafür als Beiſpiele u. A. Zöllner und Fechner
in Leipzig angeführt, in England Wallace und Crookes in
London. Die bedauerliche Thatſache, daß ſelbſt ſo hervorragende
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |