und andere niedere, im Wasser lebende Wirbelthiere eigenthüm- liche Sensillen in der Haut, welche mit besonderen Sinnesnerven in Verbindung stehen. In den Seiten des Fischkörpers verläuft rechts und links ein langer Kanal, der vorn am Kopfe in mehrere verzweigte Kanäle übergeht. In diesen "Schleimkanälen" liegen Nerven mit zahlreichen Aesten, deren Enden mit eigenthümlichen Nervenhügeln verbunden sind. Wahrscheinlich dient dieses aus- gedehnte "Hautsinnesorgan" zur Wahrnehmung von Unterschieden im Wasserdruck oder in anderen Eigenschaften des Wassers. Einige Gruppen sind noch durch den Besitz anderer eigenthüm- licher Sensillen ausgezeichnet, deren Bedeutung uns unbekannt ist.
Schon aus diesen Thatsachen ergiebt sich, daß unsere menschliche Sinnesthätigkeit beschränkt ist, und zwar sowohl in quantitativer als in qualitativer Hinsicht. Wir können also mit unseren Sinnen, vor allem dem Auge und dem Tastsinn, immer nur einen Theil der Eigenschaften erkennen, welche die Objekte der Außenwelt besitzen. Aber auch diese partielle Wahrnehmung ist unvollständig, insofern unsere Sinneswerkzeuge unvollkommen sind und die Sinnesnerven als Dolmetscher dem Gehirn nur die Uebersetzung der empfangenen Eindrücke mittheilen.
Diese anerkannte Unvollkommenheit unserer Sinnesthätigkeit darf uns aber nicht hindern, in deren Werkzeugen, und vor Allem im Auge, die edelsten Organe zu erblicken; im Vereine mit den Denkorganen des Gehirns sind sie das werthvollste Geschenk der Natur für den Menschen. In voller Wahrheit sagt Albrecht Rau (a. a. O.): "Alle Wissenschaft ist in letzter Linie Sinneserkenntniß; die Data der Sinne werden darin nicht negirt, sondern interpretirt. Die Sinne sind unsere ersten und besten Freunde; lange bevor sich der Verstand ent- wickelt, sagen die Sinne dem Menschen, was er thun und lassen soll. Wer die Sinnlichkeit überhaupt verneint, um ihren Gefahren zu entgehen, der handelt ebenso unbesonnen und
Grenzen der Sinnesthätigkeit. XVI.
und andere niedere, im Waſſer lebende Wirbelthiere eigenthüm- liche Senſillen in der Haut, welche mit beſonderen Sinnesnerven in Verbindung ſtehen. In den Seiten des Fiſchkörpers verläuft rechts und links ein langer Kanal, der vorn am Kopfe in mehrere verzweigte Kanäle übergeht. In dieſen „Schleimkanälen“ liegen Nerven mit zahlreichen Aeſten, deren Enden mit eigenthümlichen Nervenhügeln verbunden ſind. Wahrſcheinlich dient dieſes aus- gedehnte „Hautſinnesorgan“ zur Wahrnehmung von Unterſchieden im Waſſerdruck oder in anderen Eigenſchaften des Waſſers. Einige Gruppen ſind noch durch den Beſitz anderer eigenthüm- licher Senſillen ausgezeichnet, deren Bedeutung uns unbekannt iſt.
Schon aus dieſen Thatſachen ergiebt ſich, daß unſere menſchliche Sinnesthätigkeit beſchränkt iſt, und zwar ſowohl in quantitativer als in qualitativer Hinſicht. Wir können alſo mit unſeren Sinnen, vor allem dem Auge und dem Taſtſinn, immer nur einen Theil der Eigenſchaften erkennen, welche die Objekte der Außenwelt beſitzen. Aber auch dieſe partielle Wahrnehmung iſt unvollſtändig, inſofern unſere Sinneswerkzeuge unvollkommen ſind und die Sinnesnerven als Dolmetſcher dem Gehirn nur die Ueberſetzung der empfangenen Eindrücke mittheilen.
Dieſe anerkannte Unvollkommenheit unſerer Sinnesthätigkeit darf uns aber nicht hindern, in deren Werkzeugen, und vor Allem im Auge, die edelſten Organe zu erblicken; im Vereine mit den Denkorganen des Gehirns ſind ſie das werthvollſte Geſchenk der Natur für den Menſchen. In voller Wahrheit ſagt Albrecht Rau (a. a. O.): „Alle Wiſſenſchaft iſt in letzter Linie Sinneserkenntniß; die Data der Sinne werden darin nicht negirt, ſondern interpretirt. Die Sinne ſind unſere erſten und beſten Freunde; lange bevor ſich der Verſtand ent- wickelt, ſagen die Sinne dem Menſchen, was er thun und laſſen ſoll. Wer die Sinnlichkeit überhaupt verneint, um ihren Gefahren zu entgehen, der handelt ebenſo unbeſonnen und
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Grenzen der Sinnesthätigkeit. XVI.
und andere niedere, im Waſſer lebende Wirbelthiere eigenthüm-
liche Senſillen in der Haut, welche mit beſonderen Sinnesnerven
in Verbindung ſtehen. In den Seiten des Fiſchkörpers verläuft
rechts und links ein langer Kanal, der vorn am Kopfe in mehrere
verzweigte Kanäle übergeht. In dieſen „Schleimkanälen“ liegen
Nerven mit zahlreichen Aeſten, deren Enden mit eigenthümlichen
Nervenhügeln verbunden ſind. Wahrſcheinlich dient dieſes aus-
gedehnte „Hautſinnesorgan“ zur Wahrnehmung von Unterſchieden
im Waſſerdruck oder in anderen Eigenſchaften des Waſſers.
Einige Gruppen ſind noch durch den Beſitz anderer eigenthüm-
licher Senſillen ausgezeichnet, deren Bedeutung uns unbekannt iſt.
Schon aus dieſen Thatſachen ergiebt ſich, daß unſere
menſchliche Sinnesthätigkeit beſchränkt iſt, und zwar ſowohl in
quantitativer als in qualitativer Hinſicht. Wir können alſo mit
unſeren Sinnen, vor allem dem Auge und dem Taſtſinn, immer
nur einen Theil der Eigenſchaften erkennen, welche die Objekte
der Außenwelt beſitzen. Aber auch dieſe partielle Wahrnehmung
iſt unvollſtändig, inſofern unſere Sinneswerkzeuge unvollkommen
ſind und die Sinnesnerven als Dolmetſcher dem Gehirn nur die
Ueberſetzung der empfangenen Eindrücke mittheilen.
Dieſe anerkannte Unvollkommenheit unſerer Sinnesthätigkeit
darf uns aber nicht hindern, in deren Werkzeugen, und vor Allem
im Auge, die edelſten Organe zu erblicken; im Vereine mit den
Denkorganen des Gehirns ſind ſie das werthvollſte Geſchenk der
Natur für den Menſchen. In voller Wahrheit ſagt Albrecht
Rau (a. a. O.): „Alle Wiſſenſchaft iſt in letzter
Linie Sinneserkenntniß; die Data der Sinne werden
darin nicht negirt, ſondern interpretirt. Die Sinne ſind unſere
erſten und beſten Freunde; lange bevor ſich der Verſtand ent-
wickelt, ſagen die Sinne dem Menſchen, was er thun und laſſen
ſoll. Wer die Sinnlichkeit überhaupt verneint, um ihren
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/360>, abgerufen am 16.07.2024.
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