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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Pantheismus und Atheismus. XV.
"gottlose Weltanschauung" fällt im Wesentlichen mit dem
Monismus oder Pantheismus unserer modernen Natur-
wissenschaft zusammen; sie giebt nur einen anderen Ausdruck dafür,
indem sie eine negative Seite derselben hervorhebt, die Nicht-
Existenz der extramundanen oder übernatürlichen Gottheit. In
diesem Sinne sagt Schopenhauer ganz richtig: "Pantheis-
mus
ist nur ein höflicher Atheismus. Die Wahrheit des Pan-
theismus besteht in der Aufhebung des dualistischen Gegensatzes
zwischen Gott und Welt, in der Erkenntniß, daß die Welt aus
ihrer inneren Kraft und durch sich selbst da ist. Der Satz des
Pantheismus: ,Gott und die Welt ist Eins' ist bloß eine höfliche
Wendung, dem Herrgott den Abschied zu geben."

Während des ganzen Mittelalters, unter der blutigen Ty-
rannei des Papismus, wurde der Atheismus als die entsetzlichste
Form der Weltanschauung mit Feuer und Schwert verfolgt. Da
der "Gottlose" im Evangelium mit dem "Bösen" schlechtweg
identificirt und ihm im ewigen Leben -- bloß wegen "Glaubens-
mangels"! -- die Höllenstrafe der ewigen Verdammniß angedroht
wird, ist es begreiflich, daß jeder gute Christ selbst den entfernten
Verdacht des Atheismus ängstlich mied. Leider besteht auch heute
noch diese Auffassung in weiten Kreisen fort. Dem atheisti-
schen
Naturforscher, der seine Kraft und sein Leben der Er-
forschung der Wahrheit widmet, traut man von vornherein
alles Böse zu; der theistische Kirchgänger dagegen, der die
leeren Ceremonien des papistischen Kultus gedankenlos mitmacht,
gilt schon deßwegen als guter Staatsbürger, auch wenn er sich
bei seinem Glauben gar nichts denkt und nebenher der ver-
werflichsten Moral huldigt. Dieser Irrthum wird sich erst klären,
wenn im 20. Jahrhundert der herrschende Aberglaube mehr der
vernünftigen Naturerkenntniß weicht und der monistischen Ueber-
zeugung der Einheit von Gott und Welt.



Pantheismus und Atheismus. XV.
gottloſe Weltanſchauung“ fällt im Weſentlichen mit dem
Monismus oder Pantheismus unſerer modernen Natur-
wiſſenſchaft zuſammen; ſie giebt nur einen anderen Ausdruck dafür,
indem ſie eine negative Seite derſelben hervorhebt, die Nicht-
Exiſtenz der extramundanen oder übernatürlichen Gottheit. In
dieſem Sinne ſagt Schopenhauer ganz richtig: „Pantheis-
mus
iſt nur ein höflicher Atheismus. Die Wahrheit des Pan-
theismus beſteht in der Aufhebung des dualiſtiſchen Gegenſatzes
zwiſchen Gott und Welt, in der Erkenntniß, daß die Welt aus
ihrer inneren Kraft und durch ſich ſelbſt da iſt. Der Satz des
Pantheismus: ‚Gott und die Welt iſt Eins‘ iſt bloß eine höfliche
Wendung, dem Herrgott den Abſchied zu geben.“

Während des ganzen Mittelalters, unter der blutigen Ty-
rannei des Papismus, wurde der Atheismus als die entſetzlichſte
Form der Weltanſchauung mit Feuer und Schwert verfolgt. Da
der „Gottloſe“ im Evangelium mit dem „Böſen“ ſchlechtweg
identificirt und ihm im ewigen Leben — bloß wegen „Glaubens-
mangels“! — die Höllenſtrafe der ewigen Verdammniß angedroht
wird, iſt es begreiflich, daß jeder gute Chriſt ſelbſt den entfernten
Verdacht des Atheismus ängſtlich mied. Leider beſteht auch heute
noch dieſe Auffaſſung in weiten Kreiſen fort. Dem atheiſti-
ſchen
Naturforſcher, der ſeine Kraft und ſein Leben der Er-
forſchung der Wahrheit widmet, traut man von vornherein
alles Böſe zu; der theiſtiſche Kirchgänger dagegen, der die
leeren Ceremonien des papiſtiſchen Kultus gedankenlos mitmacht,
gilt ſchon deßwegen als guter Staatsbürger, auch wenn er ſich
bei ſeinem Glauben gar nichts denkt und nebenher der ver-
werflichſten Moral huldigt. Dieſer Irrthum wird ſich erſt klären,
wenn im 20. Jahrhundert der herrſchende Aberglaube mehr der
vernünftigen Naturerkenntniß weicht und der moniſtiſchen Ueber-
zeugung der Einheit von Gott und Welt.



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[336/0352] Pantheismus und Atheismus. XV. „gottloſe Weltanſchauung“ fällt im Weſentlichen mit dem Monismus oder Pantheismus unſerer modernen Natur- wiſſenſchaft zuſammen; ſie giebt nur einen anderen Ausdruck dafür, indem ſie eine negative Seite derſelben hervorhebt, die Nicht- Exiſtenz der extramundanen oder übernatürlichen Gottheit. In dieſem Sinne ſagt Schopenhauer ganz richtig: „Pantheis- mus iſt nur ein höflicher Atheismus. Die Wahrheit des Pan- theismus beſteht in der Aufhebung des dualiſtiſchen Gegenſatzes zwiſchen Gott und Welt, in der Erkenntniß, daß die Welt aus ihrer inneren Kraft und durch ſich ſelbſt da iſt. Der Satz des Pantheismus: ‚Gott und die Welt iſt Eins‘ iſt bloß eine höfliche Wendung, dem Herrgott den Abſchied zu geben.“ Während des ganzen Mittelalters, unter der blutigen Ty- rannei des Papismus, wurde der Atheismus als die entſetzlichſte Form der Weltanſchauung mit Feuer und Schwert verfolgt. Da der „Gottloſe“ im Evangelium mit dem „Böſen“ ſchlechtweg identificirt und ihm im ewigen Leben — bloß wegen „Glaubens- mangels“! — die Höllenſtrafe der ewigen Verdammniß angedroht wird, iſt es begreiflich, daß jeder gute Chriſt ſelbſt den entfernten Verdacht des Atheismus ängſtlich mied. Leider beſteht auch heute noch dieſe Auffaſſung in weiten Kreiſen fort. Dem atheiſti- ſchen Naturforſcher, der ſeine Kraft und ſein Leben der Er- forſchung der Wahrheit widmet, traut man von vornherein alles Böſe zu; der theiſtiſche Kirchgänger dagegen, der die leeren Ceremonien des papiſtiſchen Kultus gedankenlos mitmacht, gilt ſchon deßwegen als guter Staatsbürger, auch wenn er ſich bei ſeinem Glauben gar nichts denkt und nebenher der ver- werflichſten Moral huldigt. Dieſer Irrthum wird ſich erſt klären, wenn im 20. Jahrhundert der herrſchende Aberglaube mehr der vernünftigen Naturerkenntniß weicht und der moniſtiſchen Ueber- zeugung der Einheit von Gott und Welt.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/352>, abgerufen am 22.11.2024.