Charlatans, die jemals eine Religion hervorgebracht hat! -- sind beständig beflissen, durch neue Heiligsprechungen die Zahl dieser anthropomorphen Himmels-Trabanten zu vermehren. Den reichsten und interessantesten Zuwachs hat aber diese seltsame Paradies-Gesellschaft am 13. Juli 1870 dadurch bekommen, daß das vatikanische Koncil die Päpste als Stellvertreter Christi für unfehlbar erklärt und sie damit selbst zum Range von Göttern erhoben hat. Nimmt man dazu noch den von ihnen anerkannten "persönlichen Teufel" und die "bösen Engel", welche seinen Hofstaat bilden, so gewährt uns der Papismus, die heute noch meistverbreitete Form des modernen Christenthums, ein so buntes Bild des reichsten Polytheismus, daß der hellenische Olymp dagegen klein und dürftig erscheint.
Der Islam (oder der mohammedanische Mono- theismus) ist die jüngste und zugleich die reinste Form der Eingötterei. Als der junge Mohammed (geb. 570) frühzeitig den polytheistischen Götzendienst seiner arabischen Stammesgenossen verachten und das Christenthum der Nestorianer kennen lernte, eignete er sich zwar deren Grundlehren im Allgemeinen an, er konnte sich aber nicht entschließen, in Christus etwas Anderes zu erblicken als einen Propheten, gleich Moses. Im Dogma der Dreieinigkeit fand er nur das, was bei unbefangenem Nachdenken jeder vorurtheilsfreie Mensch darin finden muß, einen wider- sinnigen Glaubenssatz, der weder mit den Grundsätzen unserer Vernunft vereinbar noch für unsere religiöse Erhebung von irgend welchem Werthe ist. Die Anbetung der unbefleckten Jungfrau Maria als der "Mutter Gottes" betrachtete er mit Recht ebenso als eitle Götzendienerei wie die Verehrung von Bildern und Bildsäulen. Je länger er darüber nachdachte, und je mehr er nach einer reineren Gottes-Vorstellung hinstrebte, desto klarer wurde ihm die Gewißheit seines Hauptsatzes: "Gott ist der alleinige Gott"; es giebt keine anderen Götter neben ihm.
XV. Mohammedaniſcher Monotheismus.
Charlatans, die jemals eine Religion hervorgebracht hat! — ſind beſtändig befliſſen, durch neue Heiligſprechungen die Zahl dieſer anthropomorphen Himmels-Trabanten zu vermehren. Den reichſten und intereſſanteſten Zuwachs hat aber dieſe ſeltſame Paradies-Geſellſchaft am 13. Juli 1870 dadurch bekommen, daß das vatikaniſche Koncil die Päpſte als Stellvertreter Chriſti für unfehlbar erklärt und ſie damit ſelbſt zum Range von Göttern erhoben hat. Nimmt man dazu noch den von ihnen anerkannten „perſönlichen Teufel“ und die „böſen Engel“, welche ſeinen Hofſtaat bilden, ſo gewährt uns der Papismus, die heute noch meiſtverbreitete Form des modernen Chriſtenthums, ein ſo buntes Bild des reichſten Polytheismus, daß der helleniſche Olymp dagegen klein und dürftig erſcheint.
Der Islam (oder der mohammedaniſche Mono- theismus) iſt die jüngſte und zugleich die reinſte Form der Eingötterei. Als der junge Mohammed (geb. 570) frühzeitig den polytheiſtiſchen Götzendienſt ſeiner arabiſchen Stammesgenoſſen verachten und das Chriſtenthum der Neſtorianer kennen lernte, eignete er ſich zwar deren Grundlehren im Allgemeinen an, er konnte ſich aber nicht entſchließen, in Chriſtus etwas Anderes zu erblicken als einen Propheten, gleich Moſes. Im Dogma der Dreieinigkeit fand er nur das, was bei unbefangenem Nachdenken jeder vorurtheilsfreie Menſch darin finden muß, einen wider- ſinnigen Glaubensſatz, der weder mit den Grundſätzen unſerer Vernunft vereinbar noch für unſere religiöſe Erhebung von irgend welchem Werthe iſt. Die Anbetung der unbefleckten Jungfrau Maria als der „Mutter Gottes“ betrachtete er mit Recht ebenſo als eitle Götzendienerei wie die Verehrung von Bildern und Bildſäulen. Je länger er darüber nachdachte, und je mehr er nach einer reineren Gottes-Vorſtellung hinſtrebte, deſto klarer wurde ihm die Gewißheit ſeines Hauptſatzes: „Gott iſt der alleinige Gott“; es giebt keine anderen Götter neben ihm.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0345"n="329"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">XV.</hi> Mohammedaniſcher Monotheismus.</fw><lb/>
Charlatans, die jemals eine Religion hervorgebracht hat! —<lb/>ſind beſtändig befliſſen, durch neue Heiligſprechungen die Zahl<lb/>
dieſer anthropomorphen Himmels-Trabanten zu vermehren. Den<lb/>
reichſten und intereſſanteſten Zuwachs hat aber dieſe ſeltſame<lb/>
Paradies-Geſellſchaft am 13. Juli 1870 dadurch bekommen, daß<lb/>
das vatikaniſche Koncil die Päpſte als Stellvertreter Chriſti für<lb/><hirendition="#g">unfehlbar</hi> erklärt und ſie damit ſelbſt zum Range von<lb/><hirendition="#g">Göttern</hi> erhoben hat. Nimmt man dazu noch den von ihnen<lb/>
anerkannten „perſönlichen Teufel“ und die „böſen Engel“, welche<lb/>ſeinen Hofſtaat bilden, ſo gewährt uns der <hirendition="#g">Papismus</hi>, die<lb/>
heute noch meiſtverbreitete Form des modernen Chriſtenthums,<lb/>
ein ſo buntes Bild des reichſten <hirendition="#g">Polytheismus</hi>, daß der<lb/>
helleniſche Olymp dagegen klein und dürftig erſcheint.</p><lb/><p><hirendition="#b">Der Islam</hi> (oder der <hirendition="#g">mohammedaniſche Mono-<lb/>
theismus</hi>) iſt die jüngſte und zugleich die reinſte Form der<lb/>
Eingötterei. Als der junge Mohammed (geb. 570) frühzeitig<lb/>
den polytheiſtiſchen Götzendienſt ſeiner arabiſchen Stammesgenoſſen<lb/>
verachten und das Chriſtenthum der Neſtorianer kennen lernte,<lb/>
eignete er ſich zwar deren Grundlehren im Allgemeinen an, er<lb/>
konnte ſich aber nicht entſchließen, in Chriſtus etwas Anderes zu<lb/>
erblicken als einen Propheten, gleich Moſes. Im Dogma der<lb/>
Dreieinigkeit fand er nur das, was bei unbefangenem Nachdenken<lb/>
jeder vorurtheilsfreie Menſch darin finden muß, einen wider-<lb/>ſinnigen Glaubensſatz, der weder mit den Grundſätzen unſerer<lb/>
Vernunft vereinbar noch für unſere religiöſe Erhebung von<lb/>
irgend welchem Werthe iſt. Die Anbetung der unbefleckten<lb/>
Jungfrau Maria als der „Mutter Gottes“ betrachtete er mit<lb/>
Recht ebenſo als eitle Götzendienerei wie die Verehrung von<lb/>
Bildern und Bildſäulen. Je länger er darüber nachdachte, und<lb/>
je mehr er nach einer reineren Gottes-Vorſtellung hinſtrebte, deſto<lb/>
klarer wurde ihm die Gewißheit ſeines Hauptſatzes: „Gott iſt<lb/>
der alleinige Gott“; es giebt keine anderen Götter neben ihm.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[329/0345]
XV. Mohammedaniſcher Monotheismus.
Charlatans, die jemals eine Religion hervorgebracht hat! —
ſind beſtändig befliſſen, durch neue Heiligſprechungen die Zahl
dieſer anthropomorphen Himmels-Trabanten zu vermehren. Den
reichſten und intereſſanteſten Zuwachs hat aber dieſe ſeltſame
Paradies-Geſellſchaft am 13. Juli 1870 dadurch bekommen, daß
das vatikaniſche Koncil die Päpſte als Stellvertreter Chriſti für
unfehlbar erklärt und ſie damit ſelbſt zum Range von
Göttern erhoben hat. Nimmt man dazu noch den von ihnen
anerkannten „perſönlichen Teufel“ und die „böſen Engel“, welche
ſeinen Hofſtaat bilden, ſo gewährt uns der Papismus, die
heute noch meiſtverbreitete Form des modernen Chriſtenthums,
ein ſo buntes Bild des reichſten Polytheismus, daß der
helleniſche Olymp dagegen klein und dürftig erſcheint.
Der Islam (oder der mohammedaniſche Mono-
theismus) iſt die jüngſte und zugleich die reinſte Form der
Eingötterei. Als der junge Mohammed (geb. 570) frühzeitig
den polytheiſtiſchen Götzendienſt ſeiner arabiſchen Stammesgenoſſen
verachten und das Chriſtenthum der Neſtorianer kennen lernte,
eignete er ſich zwar deren Grundlehren im Allgemeinen an, er
konnte ſich aber nicht entſchließen, in Chriſtus etwas Anderes zu
erblicken als einen Propheten, gleich Moſes. Im Dogma der
Dreieinigkeit fand er nur das, was bei unbefangenem Nachdenken
jeder vorurtheilsfreie Menſch darin finden muß, einen wider-
ſinnigen Glaubensſatz, der weder mit den Grundſätzen unſerer
Vernunft vereinbar noch für unſere religiöſe Erhebung von
irgend welchem Werthe iſt. Die Anbetung der unbefleckten
Jungfrau Maria als der „Mutter Gottes“ betrachtete er mit
Recht ebenſo als eitle Götzendienerei wie die Verehrung von
Bildern und Bildſäulen. Je länger er darüber nachdachte, und
je mehr er nach einer reineren Gottes-Vorſtellung hinſtrebte, deſto
klarer wurde ihm die Gewißheit ſeines Hauptſatzes: „Gott iſt
der alleinige Gott“; es giebt keine anderen Götter neben ihm.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/345>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.