der erst gegen Ende der Tertiär-Zeit aus einer Reihe von Menschen-Affen hervorgegangen ist. 12. Demnach ist die so- genannte "Weltgeschichte" -- d. h. der kurze Zeitraum von wenigen Jahrtausenden, innerhalb dessen sich die Kulturgeschichte des Menschen abgespielt hat, eine verschwindend kurze Episode in dem langen Verlaufe der organischen Erdgeschichte, ebenso wie diese selbst ein kleines Stück von der Geschichte unseres Planeten-Systems; und wie unsere Mutter Erde ein vergäng- liches Sonnenstäubchen im unendlichen Weltall, so ist der einzelne Mensch ein winziges Plasma-Körnchen in der vergänglichen or- ganischen Natur.
Nichts scheint mir geeigneter als diese großartige kosmo- logische Perspektive, um von vornherein den richtigen Maaß- stab und den weitsichtigen Standpunkt festzusetzen, welchen wir zur Lösung der großen, uns umgebenden Welträthsel einhalten müssen. Denn dadurch wird nicht nur die maaßgebende "Stellung des Menschen in der Natur" klar bewiesen, sondern auch der herr- schende anthropistische Größenwahn widerlegt, die An- maaßung, mit der der Mensch sich dem unendlichen Universum gegenüberstellt und als wichtigsten Theil des Weltalls verherrlicht. Diese grenzenlose Selbstüberhebung des eiteln Menschen hat ihn dazu verführt, sich als "Ebenbild Gottes" zu betrachten, für seine vergängliche Person ein "ewiges Leben" in Anspruch zu nehmen und sich einzubilden, daß er unbeschränkte "Freiheit des Willens" besitzt. Der lächerliche Cäsaren-Wahn des Caligula ist eine specielle Form dieser hochmüthigen Selbstvergötterung des Menschen. Erst wenn wir diesen unhaltbaren Größenwahn auf- geben und die naturgemäße kosmologische Perspektive einnehmen, können wir zur Lösung der "Welträthsel" gelangen 1.
Zahl der Welträthsel. Der ungebildete Kulturmensch ist noch ebenso wie der rohe Naturmensch auf Schritt und Tritt von unzähligen Welträthseln umgeben. Je weiter die Kultur
Haeckel, Welträthsel. 2
I. Kosmologiſche Perſpektive.
der erſt gegen Ende der Tertiär-Zeit aus einer Reihe von Menſchen-Affen hervorgegangen iſt. 12. Demnach iſt die ſo- genannte „Weltgeſchichte“ — d. h. der kurze Zeitraum von wenigen Jahrtauſenden, innerhalb deſſen ſich die Kulturgeſchichte des Menſchen abgeſpielt hat, eine verſchwindend kurze Epiſode in dem langen Verlaufe der organiſchen Erdgeſchichte, ebenſo wie dieſe ſelbſt ein kleines Stück von der Geſchichte unſeres Planeten-Syſtems; und wie unſere Mutter Erde ein vergäng- liches Sonnenſtäubchen im unendlichen Weltall, ſo iſt der einzelne Menſch ein winziges Plasma-Körnchen in der vergänglichen or- ganiſchen Natur.
Nichts ſcheint mir geeigneter als dieſe großartige kosmo- logiſche Perſpektive, um von vornherein den richtigen Maaß- ſtab und den weitſichtigen Standpunkt feſtzuſetzen, welchen wir zur Löſung der großen, uns umgebenden Welträthſel einhalten müſſen. Denn dadurch wird nicht nur die maaßgebende „Stellung des Menſchen in der Natur“ klar bewieſen, ſondern auch der herr- ſchende anthropiſtiſche Größenwahn widerlegt, die An- maaßung, mit der der Menſch ſich dem unendlichen Univerſum gegenüberſtellt und als wichtigſten Theil des Weltalls verherrlicht. Dieſe grenzenloſe Selbſtüberhebung des eiteln Menſchen hat ihn dazu verführt, ſich als „Ebenbild Gottes“ zu betrachten, für ſeine vergängliche Perſon ein „ewiges Leben“ in Anſpruch zu nehmen und ſich einzubilden, daß er unbeſchränkte „Freiheit des Willens“ beſitzt. Der lächerliche Cäſaren-Wahn des Caligula iſt eine ſpecielle Form dieſer hochmüthigen Selbſtvergötterung des Menſchen. Erſt wenn wir dieſen unhaltbaren Größenwahn auf- geben und die naturgemäße kosmologiſche Perſpektive einnehmen, können wir zur Löſung der „Welträthſel“ gelangen 1.
Zahl der Welträthſel. Der ungebildete Kulturmenſch iſt noch ebenſo wie der rohe Naturmenſch auf Schritt und Tritt von unzähligen Welträthſeln umgeben. Je weiter die Kultur
Haeckel, Welträthſel. 2
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I. Kosmologiſche Perſpektive.
der erſt gegen Ende der Tertiär-Zeit aus einer Reihe von
Menſchen-Affen hervorgegangen iſt. 12. Demnach iſt die ſo-
genannte „Weltgeſchichte“ — d. h. der kurze Zeitraum von
wenigen Jahrtauſenden, innerhalb deſſen ſich die Kulturgeſchichte
des Menſchen abgeſpielt hat, eine verſchwindend kurze Epiſode
in dem langen Verlaufe der organiſchen Erdgeſchichte, ebenſo
wie dieſe ſelbſt ein kleines Stück von der Geſchichte unſeres
Planeten-Syſtems; und wie unſere Mutter Erde ein vergäng-
liches Sonnenſtäubchen im unendlichen Weltall, ſo iſt der einzelne
Menſch ein winziges Plasma-Körnchen in der vergänglichen or-
ganiſchen Natur.
Nichts ſcheint mir geeigneter als dieſe großartige kosmo-
logiſche Perſpektive, um von vornherein den richtigen Maaß-
ſtab und den weitſichtigen Standpunkt feſtzuſetzen, welchen wir zur
Löſung der großen, uns umgebenden Welträthſel einhalten müſſen.
Denn dadurch wird nicht nur die maaßgebende „Stellung des
Menſchen in der Natur“ klar bewieſen, ſondern auch der herr-
ſchende anthropiſtiſche Größenwahn widerlegt, die An-
maaßung, mit der der Menſch ſich dem unendlichen Univerſum
gegenüberſtellt und als wichtigſten Theil des Weltalls verherrlicht.
Dieſe grenzenloſe Selbſtüberhebung des eiteln Menſchen hat ihn
dazu verführt, ſich als „Ebenbild Gottes“ zu betrachten, für
ſeine vergängliche Perſon ein „ewiges Leben“ in Anſpruch zu
nehmen und ſich einzubilden, daß er unbeſchränkte „Freiheit des
Willens“ beſitzt. Der lächerliche Cäſaren-Wahn des Caligula iſt
eine ſpecielle Form dieſer hochmüthigen Selbſtvergötterung des
Menſchen. Erſt wenn wir dieſen unhaltbaren Größenwahn auf-
geben und die naturgemäße kosmologiſche Perſpektive einnehmen,
können wir zur Löſung der „Welträthſel“ gelangen
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Zahl der Welträthſel. Der ungebildete Kulturmenſch iſt
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/33>, abgerufen am 16.07.2024.
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