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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XIII. Raum und Zeit.
fortdauert. Bei einem großen Theile der modernen Metaphysiker
hat sich die Ansicht befestigt, daß dieser "kritischen That" als
Ausgangspunkt einer "rein idealistischen Erkenntniß-Theorie" die
größte Bedeutung beizulegen sei, und daß damit die natürliche
Ansicht des gesunden Menschen-Verstandes von der Realität
des Raumes und der Zeit
widerlegt sei. Diese einseitige
und ultraidealistische Auffassung jener beiden Grundbegriffe ist
die Quelle der größten Irrthümer geworden; sie übersieht, daß
Kant mit jenem Satze nur die eine Seite des Problems, die
subjektive, streifte, daneben aber die andere, die objektive,
als gleichberechtigt anerkannte; er sagte: "Raum und Zeit haben
empirische Realität, aber transscendentale Ideali-
tät
." Mit diesem Satze Kant's kann sich unser moderner
Monismus wohl einverstanden erklären, nicht aber mit jener
einseitigen Geltendmachung der subjektiven Seite des Problems;
denn diese führt in ihrer Konsequenz zu jenem absurden Idealis-
mus, der in Berkeley's Satze gipfelt: "Körper sind nur Vor-
stellungen, ihr Dasein besteht im Wahrgenommenwerden." Dieser
Satz sollte heißen: "Körper sind für mein persönliches Bewußt-
sein nur Vorstellungen; ihr Dasein ist ebenso real wie dasjenige
meiner Denkorgane, nämlich der Ganglienzellen des Großhirns,
welche die Eindrücke der Körper auf meine Sinnesorgane auf-
nehmen und durch Associon derselben jene Vorstellungen bilden."
Ebenso gut, wie ich die "Realität von Raum und Zeit" bezweifle,
oder gar leugne, kann ich auch diejenige meines eigenen Bewußt-
seins leugnen; im Fieber-Delirium, in Hallucinationen, im Traum,
im Doppelbewußtsein halte ich Vorstellungen für wahr, welche
nicht real, sondern "Einbildungen" sind; ich halte sogar meine
eigene Person für eine andere (S. 214); das berühmte "Cogito
ergo sum"
gilt hier nicht mehr. Dagegen ist die Realität
von Raum und Zeit
jetzt endgültig bewiesen durch die Er-
weiterung unserer Weltanschauung, welche wir dem Substanz-

XIII. Raum und Zeit.
fortdauert. Bei einem großen Theile der modernen Metaphyſiker
hat ſich die Anſicht befeſtigt, daß dieſer „kritiſchen That“ als
Ausgangspunkt einer „rein idealiſtiſchen Erkenntniß-Theorie“ die
größte Bedeutung beizulegen ſei, und daß damit die natürliche
Anſicht des geſunden Menſchen-Verſtandes von der Realität
des Raumes und der Zeit
widerlegt ſei. Dieſe einſeitige
und ultraidealiſtiſche Auffaſſung jener beiden Grundbegriffe iſt
die Quelle der größten Irrthümer geworden; ſie überſieht, daß
Kant mit jenem Satze nur die eine Seite des Problems, die
ſubjektive, ſtreifte, daneben aber die andere, die objektive,
als gleichberechtigt anerkannte; er ſagte: „Raum und Zeit haben
empiriſche Realität, aber transſcendentale Ideali-
tät
.“ Mit dieſem Satze Kant's kann ſich unſer moderner
Monismus wohl einverſtanden erklären, nicht aber mit jener
einſeitigen Geltendmachung der ſubjektiven Seite des Problems;
denn dieſe führt in ihrer Konſequenz zu jenem abſurden Idealis-
mus, der in Berkeley's Satze gipfelt: „Körper ſind nur Vor-
ſtellungen, ihr Daſein beſteht im Wahrgenommenwerden.“ Dieſer
Satz ſollte heißen: „Körper ſind für mein perſönliches Bewußt-
ſein nur Vorſtellungen; ihr Daſein iſt ebenſo real wie dasjenige
meiner Denkorgane, nämlich der Ganglienzellen des Großhirns,
welche die Eindrücke der Körper auf meine Sinnesorgane auf-
nehmen und durch Aſſocion derſelben jene Vorſtellungen bilden.“
Ebenſo gut, wie ich die „Realität von Raum und Zeit“ bezweifle,
oder gar leugne, kann ich auch diejenige meines eigenen Bewußt-
ſeins leugnen; im Fieber-Delirium, in Hallucinationen, im Traum,
im Doppelbewußtſein halte ich Vorſtellungen für wahr, welche
nicht real, ſondern „Einbildungen“ ſind; ich halte ſogar meine
eigene Perſon für eine andere (S. 214); das berühmte „Cogito
ergo ſum“
gilt hier nicht mehr. Dagegen iſt die Realität
von Raum und Zeit
jetzt endgültig bewieſen durch die Er-
weiterung unſerer Weltanſchauung, welche wir dem Subſtanz-

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[283/0299] XIII. Raum und Zeit. fortdauert. Bei einem großen Theile der modernen Metaphyſiker hat ſich die Anſicht befeſtigt, daß dieſer „kritiſchen That“ als Ausgangspunkt einer „rein idealiſtiſchen Erkenntniß-Theorie“ die größte Bedeutung beizulegen ſei, und daß damit die natürliche Anſicht des geſunden Menſchen-Verſtandes von der Realität des Raumes und der Zeit widerlegt ſei. Dieſe einſeitige und ultraidealiſtiſche Auffaſſung jener beiden Grundbegriffe iſt die Quelle der größten Irrthümer geworden; ſie überſieht, daß Kant mit jenem Satze nur die eine Seite des Problems, die ſubjektive, ſtreifte, daneben aber die andere, die objektive, als gleichberechtigt anerkannte; er ſagte: „Raum und Zeit haben empiriſche Realität, aber transſcendentale Ideali- tät.“ Mit dieſem Satze Kant's kann ſich unſer moderner Monismus wohl einverſtanden erklären, nicht aber mit jener einſeitigen Geltendmachung der ſubjektiven Seite des Problems; denn dieſe führt in ihrer Konſequenz zu jenem abſurden Idealis- mus, der in Berkeley's Satze gipfelt: „Körper ſind nur Vor- ſtellungen, ihr Daſein beſteht im Wahrgenommenwerden.“ Dieſer Satz ſollte heißen: „Körper ſind für mein perſönliches Bewußt- ſein nur Vorſtellungen; ihr Daſein iſt ebenſo real wie dasjenige meiner Denkorgane, nämlich der Ganglienzellen des Großhirns, welche die Eindrücke der Körper auf meine Sinnesorgane auf- nehmen und durch Aſſocion derſelben jene Vorſtellungen bilden.“ Ebenſo gut, wie ich die „Realität von Raum und Zeit“ bezweifle, oder gar leugne, kann ich auch diejenige meines eigenen Bewußt- ſeins leugnen; im Fieber-Delirium, in Hallucinationen, im Traum, im Doppelbewußtſein halte ich Vorſtellungen für wahr, welche nicht real, ſondern „Einbildungen“ ſind; ich halte ſogar meine eigene Perſon für eine andere (S. 214); das berühmte „Cogito ergo ſum“ gilt hier nicht mehr. Dagegen iſt die Realität von Raum und Zeit jetzt endgültig bewieſen durch die Er- weiterung unſerer Weltanſchauung, welche wir dem Subſtanz-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/299>, abgerufen am 25.11.2024.